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# taz.de -- Neues Album von DJ Batida: Lust am Mashup
> DJ Batida aus Lissabon spielt auf seinem neuen Album „Neon Colonialismo“
> mit der portugiesischen Geschichte. Und dazu kann man auch noch tanzen.
Bild: DJ Batida, sein Name bedeutet „Beat“ auf Portugiesisch
Innerhalb Europas hat es Portugal ja ganz gut geschafft, sich den Anschein
eines verlässlichen EU-Partnerlands zu verschaffen – ganz am westlichen
Rand gelegen, landschaftlich schön, wildes Meer, Hauptstadt hip. Aus einer
globalgeschichtlichen Perspektive betrachtet hat die ehemalige
Kolonialmacht aber eher den Ruf eines Hooligans.
Seine Geschichte ist mit Gewalt verbunden. Portugal ist mehr oder weniger
Erfinder des Konzepts vom kolonialen Imperium, schon ab 1415 hatte das
Königreich Besitztümer in Afrika, erst 1999 gab es seine letzte Kolonie
auf, das nun wieder zu China gehörende Macau.
Zimperlich ging Portugal dabei nie zur Sache. Früh stiegen portugiesische
Seefahrer in Westafrika in den Sklavenhandel ein. Und noch bis kurz vor der
[1][Nelkenrevolution 1974], Portugal war damals eine autoritäre Diktatur,
führte es einen blutigen Krieg in seinen afrikanischen Kolonien.
In Angola hat dieser Krieg sogar einen direkten Bezug zur dortigen
elektronischen Musik, womit der Blick auf Batida fällt. Der in Angola
geborene Lissabonner DJ – sein Name bedeutet „Beat“ auf Portugiesisch –
versucht seit einem Jahrzehnt, die zeitgenössischen Klangsprachen dieser
portugiesisch beeinflussten Welt zu erkunden und zu einem globalen Sound
tanzbarer europäisch-afrikanisch-südamerikanischer Provenienz zu verbinden.
Zehn Jahre nach seinem Debütalbum und dem kleinen Hit „Alegria“ gibt er nun
einen weiteren Zwischenstand: „Neon Colonialismo“ heißt das Werk und
eröffnet schon im Titel sowohl eine augenzwinkernde Perspektive auf die
Geschichte, wie es die Frage stellt, ob die Rekonstruktion des Empire in
Electro aus der Metropole heraus nicht doch auch selbst koloniale Aspekte
hat.
## Pop entdeckte das subsaharische Afrika
„Alegria“ mixte damals Elemente des zeitgenössischen angolanischen
Kuduro-Stils mit Samples des angolanischen Sembas aus den 1970ern und den
Gitarren der kongolesischen Rumba Lingala zu einem Feelgood-Stück, das jede
Definition als „Weltmusik“ hinter sich ließ. Voll im Trend: Um die Wende zu
den 2010er Jahren entdeckte der Pop gerade das subsaharische Afrika.
Santigold klang wie Fela Kuti als 80er-Jahre-Britin, Vampire Weekend ließen
den Highlife in ihre Indiepop-Stücke scheinen, die kongolesischen Konono
No. 1 wurden mit „Congotronics“ zu Darlings der US-Avantgarde. Auch Batida
alias Pedro Coquenão kooperierte 2016 mit der Gruppe. Eine Öffnung, die
musikalisch damals nötig war, nachhaltig die Koordinaten verschob, die
Indie-Szene konnte nicht mehr so homogen bleiben.
Aber von diesen Diskursen unberührt entwickelte sich in der Region ja
tatsächlich Musik weiter, die über das hinausgeht, was gern als
„afrikanische Tradition“ umschrieben wird – das Festival Nyege Nyege in
Uganda etwa gilt als eine der weltweit wichtigsten Adressen der
elektronischen Musik.
Der angolanische Stil Kuduro, in Europa durch das Lissabonner Kollektiv
Buraka Som Sistema bekannt gemacht, ist eine elektrische Reaktion auf die
Energie von Punk-Zerstörung und Eurodance, transportiert im Tanzstil aber
zugleich die Bedrohung durch Landminen, die seit dem Kolonialkrieg vor
fünfzig Jahren präsent ist – Gliedmaßen, die sich isoliert bewegen, die im
Tanzen abzufallen scheinen.
## Album hat Mixtape-Vibes
In dieser Gemengelage agiert Batida auf „Neon Colonialismo“ nun noch
intensiver. Jedes Stück ist eine Kooperation. Die Protagonist*innen
kommen dabei aus völlig unterschiedliche Stilen, das Album hat so gewisse
Mixtape-Vibes. Aber gleichzeitig herrscht doch große Harmonie im
Batida-Klanguniversum:
Die kapverdische Sängerin Mayra Andrade, bekannt für einen Sound zwischen
Latin und Jazz, trägt den Upbeat-Ohrwurm „Bom Bom“, während die
brasilianische Ikone Lia de Itamaracá, Jahrgang 1944, und Produzentin DJ
Dolores das Stück „Tem Dor (Africa de Itamaracá)“ zu einer Techno-Pop-Hym…
aufbohrt, wie sie DJ Koze nicht besser hinbekäme – den titelgebenden
Schmerzen zum Trotz.
Große Namen der angolanischen Popgeschichte der 1970er treten neben jungen
Afrohouse-DJs aus europäischen Metropolen auf. So spricht aus dieser Lust
am klangforschenden, dennoch stets verführerischen, sonnig tanzbaren
Mashup, sowohl ein gewachsenen Bewusstsein für die nachhaltige Wirkung
kolonialer Zusammenhänge, gleichzeitig aber auch ein Hang zu einer
Gefälligkeit, die fast apologetisch wirkt.
21 Dec 2022
## LINKS
[1] /Portugiesischer-Saenger-Jose-Afonso/!5868781
## AUTOREN
Steffen Greiner
## TAGS
Afrobeat
Pop
Techno
Angola
Kolonialismus
Pop
Nigeria
London
Musik
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