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# taz.de -- Musikfestival FEMUA in Elfenbeinküste: Falsche und richtige Verhei…
> Eindrücke vom Musikfestival FEMUA im westafrikanischen Abidjan. Sein
> Rahmenprogramm widmete sich dieses Jahr dem Thema Ernährungssicherheit.
Bild: Das Publikum feiert alle Künstler:innen gleich
Bei Ankunft in Bouaké darf dann auch die Entourage des ivorischen
Musikfestivals FEMUA ihren Popstar-Moment haben. Der Bus, in dem
Künstler:innen, Techniker und die Presse aus dem 350 Kilometer entfernten
Abidjan für den letzten Festivaltag anreisen – der findet traditionell in
einer anderen Stadt statt –, kann sich durch die wartende Menschenmenge
kaum den Weg zum Hotel bahnen. Alle, die aussteigen, werden jeweils
frenetisch begrüßt.
Die zweitgrößte ivorische Stadt mit geschätzt einer halben Million
Einwohner hat in den Jahren zwischen 2002 und 2012, als die Elfenbeinküste
von politischen Krisen und einem Bürgerkrieg erschüttert wurde, besonders
gelitten. Nun, so erklärt Salif Traoré alias A’salfo, Festivalbegründer und
Sänger der Band Magic System – hierzulande nicht zuletzt durch ihre
Stadion-Feelgood-Hymne „Magic in the Air“ bekannt – wolle man dazu
beitragen, Bouaké als Kulturort neu zu beleben.
Besonders fiebert man hier Baaba Maal entgegen. Viele tragen
selbstbedruckte T-Shirts mit seinem Konterfei. Am Freitag, da noch in
Abidjan, hatte sich die international prominenteste Stimme des Senegal,
Amalgamierer von Griot-Tradition und zeitgenössischen Sounds, vor seinem
flirrend-energetischen Set, in einer emotionalen Ansprache an die „schöne
Jugend von Afrika“ gewandt.
Diese solle bitte nicht ihr Leben bei einer Mittelmeerüberquerung aufs
Spiel setzen, um falschen Verheißungen nachzujagen. Sondern mit Stolz auf
diesem sonnigen Kontinent voller Ressourcen Verantwortung für ihre Zukunft
übernehmen.
## Jede:r Künstler:in wird gefeiert
Bemerkenswert, wie das Publikum des Festivals, [1][das sich über Sponsoren
und TV-Übertragungsrechte finanziert], dadurch freien Eintritt gewährt und
mit den Profiten zudem Schulen baut (zwei in diesem Jahr, eine davon in
Bouaké) – jede:n Künstler:in feiert; weit jenseits von der auf Festivals
verbreiteten Mentalität, nur großen Namen entgegenzufiebern.
A’salfo zufolge kennen allein auf dem afrikanischen Kontinent 200 Millionen
Menschen das FEMUA, das nun zum 15. Mal stattfindet; weltweit seien es 300
Millionen. Zwölf Acts spielen auf der Hauptbühne, 100 weitere Showcases
finden auf der Dorfbühne statt.
Erstaunlich mutet auch die Textsicherheit des Publikums an. Ein:e jede:r
verfügt über ein Repertoire von Songs, Wort für Wort wird mitgesungen. So
auch bei der ivorischen Zouglou-Künstlerin Roseline Layo.
Ihre französischen Texte – sie singt auch in anderen Sprachen der
Elfenbeinküste, etwa der Mande-Sprache Dyula – erzählen unter anderem von
nutzlosen Eierschauklern, die sich von ihren Freundinnen aushalten lassen.
Sie sei, so sagt sie in einer Ansage, keineswegs männerfeindlich, wie ihr
viele unterstellen; Layo fordere nur, dass die ihre Arbeit machen.
## Düstere Seite des Internetfames
[2][Die Geschlechterthematik wird fast slapstickhaft auch in der Bühnenshow
aufgegriffen]. Überhaupt bereiten die Tanzeinlagen bei diesem Festival
mindestens ebenso viel Vergnügen wie die Musik. Ein paar Tage zuvor hatte
Layo bei einer sogenannten Masterclass, gesponsert vom Mobilfunkanbieter
MTN, davon berichtet, wie ihre Präsenz in den sozialen Medien ihre Karriere
nach vorne gebracht hat. Während der Pandemie hat sie, digital organisiert,
Fans sogar mit Essen beliefert.
Doch sie kennt auch die düstere Seite von Internetfame: Nach der Geburt
ihres Kindes war ihr Bauch nach Meinung einiger Hater nicht schnell genug
wieder in Form. Für derart kritische Anmerkungen ist bei dieser
MTN-Sponsorenveranstaltung leider zu wenig Raum, das erzählt sie im
Interview.
Auf dem Gelände vor dem Zelt vergnügen sich derweil Kinder auf Hüpfburgen;
die meisten kommen aus dem Slumviertel Anoumabo in Abidjan, von da stammen
auch Magic System und auf einem weitläufigen Sportgelände dort findet das
FEMUA nach wie vor statt.
Wie jedes Jahr gibt es ein seriöses Rahmenprogramm. Das widmet sich diesmal
dem Thema Ernährungssicherheit und nachhaltige Landwirtschaft. Ältere
Jugend und junge Erwachsene schwitzen am Mittwoch bei einer
Diskussionsrunde. Neben dem Klimawandel und der großen Abhängigkeit von
cash crops sind es die Krisen der letzten Jahre, unterbrochene Lieferketten
in Folge des Ukrainekriegs und der Pandemie, die diesem Thema in Westafrika
neue Dringlichkeit verleihen.
Das Interesse ist groß, das Problembewusstsein scheint ausgeprägt. 90
Prozent der Städter haben Familie auf dem Land, besitzen oft Boden, der von
der Verwandtschaft bewirtschaftet wird und die Menschen in Abidjan
miternährt.
## Reis verträgt Überschwemmungen im Land
Nachhaltige Landwirtschaft, das wird schnell klar, ist in Elfenbeinküste
kein Synonym für Bioanbau, ökonomische und soziale Komponenten sind
mindestens so wichtig. Star auf dem Panel, zwischen Politikern und
Offiziellen, die Erwartbares von sich geben, ist eine junge Reisbäuerin,
die ohne staatliche Unterstützung ein Unternehmen zum Reisanbau auf die
Beine gestellt hat.
Gegenwärtig wird das Grundnahrungsmittel Reis zu einem guten Teil aus Asien
importiert. Davon will man sich unabhängig machen, Reisanbau will auch die
ivorische Regierung fördern, nicht zuletzt, weil das Getreide die immer
häufiger auftretenden Überschwemmungen im Land verträgt.
Bei allem Enthusiasmus für unterschiedlichste Sounds – den
pathetisch-kitschigen kongolesischen Rumba von Ferre Gola oder den
Afro-Jazz, mit dem Hortenese Naya aus Togo, dem diesjährigen
FEMUA-Gastland, die Voodoo-Kultur feiert, neben ivorischem HipHop und
natürlich Coupé décalé, der Tanzmusik der Elfenbeinküste – stellte sich
heraus, dass es doch einen klaren Publikumsliebling gibt: ausgerechnet den
französischen Gangsta-Rapper Booba.
Für den in Miami lebenden Superstar drängeln sich die Jungmänner aus der
Nachbarschaft schon in der Mittagshitze vor die Bühne. Testosteronwellen
tosen durch die Reihen – da hilft es kaum, dass man, vermutlich zwecks
Deeskalation, vor ihm den christlichen Gospelpop-Sänger KS Bloom auftreten
lässt.
## Durch die Rushhour in Abidjan
Booba liefert mit Playback und autogetunter Stimme eine dröge Show ab. Mehr
geht wohl nicht, schließlich machte er während seines Auftritts eine
Flasche Jack Daniels und zwei Flaschen Champagner leer, unterbrochen von
technischen Problemen und Besänftigungen der übermütigen Crowd.
Am Ende wird alles gut. So wie auch bei der Abreise, als es auf der
Rückfahrt aus Bouaké zwischendurch fraglich erscheint, ob es auch die
Pressevertreter:innen zum Flughafen schaffen. Doch der Gendarm, der
den Bus mit Motorrad eskortiert, bahnt eine Rettungsgasse, und so
schlängelt man sich wundersam durch die Rushhour in Abidjan.
Die Recherche zu diesem Text wurde von der Unesco unterstützt.
4 May 2023
## LINKS
[1] /Musikfestival-in-der-Elfenbeinkueste/!5589354
[2] /Ivorische-Saengerin-ueber-ihr-Herkunftsland/!5504289
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
Afrika
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