# taz.de -- Erinnerung an Afrobeat-Begründer: Der Erlöser ist immun | |
> Erykah Badu, US-Soulstar, kuratiert eine Albensammlung von Fela Kuti. Er | |
> war Afrobeat-Pionier, Unruhestifter, Polygamist – und Händel-Fan. | |
Bild: Fela Kuti am 3. Juli 1984 in London | |
Es muss schon außergewöhnlich gewesen sein, 1979 beim Berliner Jazzfest – | |
als ein sehr weißes Jazz-Publikum dem Konzert des nigerianischen | |
Jazzfunk-Künstlers und Afrobeatpioniers Fela Kuti beiwohnte. Der | |
Nigerianer, angekündigt als Mischung aus Messias und Naturgewalt, war im | |
englischsprachigen Afrika bereits als „Black President“ gefeiert, als | |
Polygamist gefürchtet und als Unruhestifter von gleich mehreren | |
westafrikanischen Regierungen gehasst. | |
In Europa und den USA blieb Fela Kuti trotz etlicher Alben ein Gerücht. Und | |
das, obwohl Künstlerkollegen wie Paul McCartney und James Brown voll der | |
Ehrfurcht waren, die ihn in Nigerias Hauptstadt Lagos live gesehen hatten. | |
In Berlin, am Ende des produktivsten Jahrzehnts von Fela Kuti, kündigte | |
sich 1979 nichts weniger an als die Stunde null: „Heute schlagen wir ein | |
neues Kapitel des Jazz auf, eine grundlegend andere Erfahrung afrikanischer | |
Musik steht an, dargeboten von einem einzigartigen Künstler: Fela Kuti. | |
Sein Konzert verspricht mehr zu werden als nur eine Liveaufführung von | |
Musik. Sie werden Zeugen einer religiösen Zeremonie sein und kommen in den | |
Genuss von sehr politischen Botschaften“, hebt der Moderator des Berliner | |
Jazzfests an. „Sie werden gebannt sein!“ | |
Mit dieser Ansage begann nicht nur Felas Konzert, sie steht auch zu Anfang | |
der Songauswahl „V.I.P.“ – V.I.P, das steht auf diesem Live-Album für | |
„Vagabonds In Power“, für jene Neureichen in Nigeria, die den Alltag der | |
ärmeren Menschen nicht im Blick haben, obschon sie über deren Leben | |
herrschen. | |
## Jazz und westafrikanischer Highlifesound | |
Es ist Teil eines üppigen Boxsets mit neu aufgelegten Vinyl-Alben Fela | |
Kutis – das vierte in einer Reihe des New Yorker Freejazzlabels Knitting | |
Factory, das sich seit Jahren um eine vollständige Wiederveröffentlichung | |
seiner Aufnahmen bemüht. Wurden vorherige Ausgaben etwa von | |
Roots-Schlagzeuger Questlove kuratiert, hat diesmal US-Soulqueen Erykah | |
Badu die sieben Alben ausgewählt und kommentiert. | |
Badus Lieblingsalbum ist Felas „Coffin For Head Of State“ von 1980, das auf | |
seinen Protest gegen die Zerstörung seines musikalischen und spirituellen | |
Zentrums in Lagos, Kalakuta, verweist: Felas Mutter starb kurz zuvor an den | |
Folgen der Misshandlungen durch Soldaten, Kuti stellte symbolisch einen | |
Sarg vor das Hauptquartier des verantwortlichen Generals: „Them steal all | |
the money/ Them kill many students/ Them burn many houses/ Them burn my | |
house too/ Them kill my mama/ So I carry the coffin, I waka waka waka“, | |
singt Kuti. Und Badu erzählt in den Liner Notes, wie ihre fast | |
ausschließlich weißen Nachbarn sie bei Gemeinschaftstreffen wegen ihrer | |
Vorliebe für Kuti ignorieren. | |
Badus zwischen Sarkasmus und Verehrung vibrierende Kommentare treffen die | |
Ambivalenzen in Kutis Charakter ziemlich gut. Der nigerianische Künstler | |
wurde 1938 geboren, sein Vater Chef der Lehrergewerkschaft, seine Mutter | |
feministische Aktivistin. Ende der 1950er studierte er in London Musik, | |
gründete seine erste Band, Koola Lobitos, die eine Mischung aus Jazz und | |
dem westafrikanischen Highlifesound ausprobierten. | |
## Geprägt durch Black-Power-Aktivisten | |
1969, als die Band erstmals in den USA tourte, wurde Fela Kuti durch ein | |
abgelaufenes Visum kurzzeitig zum illegalen Einwanderer – diese Erfahrung | |
und die Begegnung mit der Black-Panther-Aktivistin Sandra Smith prägten | |
sein Denken: Kutis Jargon wurde der eines Revolutionärs. | |
Er sprach sich für schwarzes Selbstbewusstsein aus und promotete | |
Panafrikanismus, bot den Machthabern der postkolonialen neuen Staaten die | |
Stirn. Seine Gruppe hieß nun Africa 70, lebte in der Kalakuta-Kommune in | |
Lagos und spielte einen Stil, der ebenfalls durch Black-Power Aktivisten in | |
den USA geprägt war: Afrobeat. | |
Damit wurde Kuti zum Held der breiten Massen, berühmt für seine | |
ekstatischen Shows und den offenen Protest gegen die Mächtigen Nigerias. Er | |
entwickelte allerdings auch einen Hang zu Verschwörungstheorien und | |
Esoterik, lernte Frauen zu verachten, hielt stets mehrere Ehefrauen um sich | |
und predigte noch als Aids-Kranker kurz vor seinem Tod im Jahr 1997, der | |
Gebrauch von Kondomen sei unafrikanisch. | |
## Und zugleich die Liebe für Händel | |
Fela Kuti ist ein widersprüchlicher Künstler, dessen Alben oftmals die | |
Fliehkräfte abbilden, die an ihm gezogen haben. Erykah Badou bringt das in | |
ihrem ironischen Kommentar zum Album „Yellow Fever“ (1976) auf den Punkt. | |
Der Titelsong richtet sich gegen das Schönheitsideal gebleichter Haut, „Na | |
Poi 75“, ein Song auf der B-Seite, erklärt dann aber aus maskuliner Sicht | |
banal, wie Sex funktioniert. „Hier ist er also der Erlöser“, schreibt Badu. | |
„Wo meine Haut inakzeptabel zu schwarz ist, ist mein Arsch gerade fett | |
genug. Danke, Fela. Danke, Jesus.“ | |
Vielleicht ist das – neben dem wahnwitzigen Drive, den Felas Musik nach wie | |
vor entwickelt, die langen Songs aus den mittleren 1970ern funktionierten | |
wie tagesaktuelle Medien – das wichtigste Erbe des Afrobeat: Fela Kuti | |
durfte immer ein ambivalenter Charakter sein, ein Künstler, der sich weder | |
in rassistische Stereotype noch in naive Weltverbesserungsfantasien packen | |
ließ, der fürchtete, Europäer könnten seine Musik stehlen, wie sie auch | |
sein Land gestohlen hätten, und der zugleich den Barockkomponisten Händel | |
liebte. | |
„I want to present myself as an African“, stellt sich Kuti 1979 in Berlin | |
vor. „I want you to look at me as something new, that you do not have any | |
knowledge about.“ | |
16 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Steffen Greiner | |
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