# taz.de -- Neues Album von Jazzerin Nala Sinephro: Unendlichkeit als Musikther… | |
> Jazz meets Electronica: Die in London ansässige belgische Harfenistin | |
> Nala Sinephro mischt diese beiden Zutaten auf „Endlessness“ elegant | |
> zusammen. | |
Bild: Stufen des Erfolgs: Nala Sinephro | |
Wie aus einer Spielkonsole tönt ein pluckernder Synthiesound in Form eines | |
Arpeggios: ein Akkord, dessen Töne nicht gleichzeitig erklingen, sondern | |
kurz hintereinander abgespielt werden. Dieses Motiv wird in den weiteren | |
Tracks des zweiten Albums der [1][in London lebenden belgischen | |
Harfenistin] und Jazzkomponistin Nala Sinephro oft erklingen; | |
bezeichnenderweise bedeutet der Titel ihres Albums „Endlessness“ auf | |
deutsch Unendlichkeit. | |
Beim Auftaktsong „Continuum 1“ – die weiteren neun Stücke tragen den exa… | |
gleichen Titel und sind zur Unterscheidung durchnummeriert – [2][schmiegt | |
sich bald schon das warme, luftig flatternde Saxofon von James Mollison | |
(Ezra Collective)] kontrapunktisch an das Arpeggio. | |
In den folgenden 45 Minuten steht das Motiv zwischendurch im Vordergrund, | |
ein anderes Mal verschwindet es langsam, um erneut wie aus dem Nichts | |
aufzutauchen. Mal langsamer oder von einem Instrument gespielt, dann | |
wieder, wie beim Track „Continuum 8“, als Vorlage eines Drum-Pattern. | |
## Ein Nerv mit der Harfe treffen | |
Sinephros großartiges Debütalbum „Space 1.8“ (2021), eine elegant erhabene | |
Verschränkung von Jazz und elektronischem Ambientsound, traf mit seiner | |
tröstlichen Anmutung im Jahr zwei der Pandemie einen Nerv beim Publikum. | |
Kaum eine der enthusiastischen Plattenkritiken kam umhin, Sinephros | |
soghafte und doch beruhigende Musik als meditativ oder gar heilsam zu | |
feiern – und Vergleiche zum Spiritual-Jazz einer Alice Coltrane zu ziehen. | |
Von der US-Jazzkünstlerin hörte Sinephro offenbar jedoch erst, als sie sich | |
längst in ihre Harfe verliebt hatte. Auch die 28-jährige Belgierin, die | |
schon seit einer Weile Teil der umtriebigen Jazzszene von London ist, nennt | |
ihr Musikschaffen „therapeutisch“ – und berichtet in Interviews, ihre | |
Synthesizer seien auf eine Frequenz von 432 Hertz gestimmt. Diese sorge für | |
Klarheit, innere Ruhe und dergleichen. | |
An das Nachfolgealbum ging Sinephro, vielleicht aus Angst, sonst in einer | |
Schublade zu laden, ziemlich anders heran. Musik will sie ganz sicher nicht | |
als Entspannungs-App machen, dazu ist die Multiinstrumentalistin und | |
Autodidaktin zu experimentierfreudig. Und dockt nicht zuletzt an ihre | |
eklektizistische Sozialisation an, die auch bei ihren Sendungen für das | |
britische Online-Radio NTS stets durchschien. | |
## Jamsession statt Vorlesung | |
Aufgewachsen ist sie in einem musikaffinen Haushalt: Die Mutter | |
Klavierlehrerin, der Vater Saxofonist mit karibischen Wurzeln. In ihre | |
Jugend stürzte sie sich in die Brüsseler Hardcore-Techno-Szene. Später zog | |
sie nach London, um Jazz zu studieren – was sie nach drei Wochen abbrach; | |
ihr Jamsessions bei der dortigen Jazzszene erwiesen sich als zielführender. | |
[3][Schon bald arbeitete sie eng mit der Saxofonistin Nubya Garcia]. | |
Auf dem neuen Album steuerten unter anderem Sheila Maurice-Gray, | |
Trompeterin der Afrojazz-Band Kokoroko, und die beiden Schlagzeuger Morgan | |
Simpson, vormals bei black midi, und Edward Wakili-Hick (Sons of Kemet) | |
teils wilde Improvisationen bei. | |
Ihr Musikschaffen beschreibt Sinephro als „exercise in simplicity“. Diesmal | |
lässt sie mit ihren Mitstreiter:innen jedoch etwas Chaos zu, das stets | |
nach seiner Auflösung strebt. Die Songs auf dem neuen Album sind alles | |
andere als gleichförmig und doch schwer auseinanderzuhalten: Ein | |
klanggewordener See, an dessen Oberfläche es Turbulenzen gibt, der stets | |
jedoch nach Ausgleich strebt – wie Wasser es eben tut. | |
Dabei gelingt es Sinephro, Instrumente mit eindeutigem Image in ein neues | |
Licht zu setzen: ihr Harfenspiel bedient kein Klischee entrückten | |
Wohlklangs, sondern wirkt fast agitiert; die Streicher sorgen nicht für | |
Überzuckerung, sondern erzeugen nüchterne Zurückgenommenheit. | |
Und das Arpeggio-Motiv dient nicht nur als Anker, sondern wird immer wieder | |
neu kontextualisiert – auch wenn Sinephros konsequentes Durchexerzieren | |
ihres Konzepts bisweilen etwas ermüdet. Doch über weite Strecken gelingt | |
ihr mit „Endlessness“ ein bemerkenswerter Spagat: Die kaum | |
kategorisierbaren Tracks, eher Avantgarde-Electronica als Ambient, sind | |
präzise und ausufernd zugleich. | |
19 Sep 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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