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# taz.de -- Saxofonistin Nubya Garcia: Von Cumbia bis Dub
> Die junge Londoner Jazz-Saxofonistin Nubya Garcia ist eine gefragte
> Vertreterin ihres Instruments. Ihr Debütalbum „Source“ lebt von ihrer
> Neugier.
Bild: Gerade erst ein Debütalbum und schon schwer nachgefragt: Nubya Garcia
„Holidays? Ha!“ Da kann Nubya Garcia nur auflachen. Der Reporter, der sich
an britische Umgangsformen erinnert, hatte das Interview mit einer
klassischen Smalltalk-Frage beenden wollen. Aber von Urlaubsplanung sind
die meisten Londoner im Corona-Sommer 2020 weit entfernt. Auch dort werden
bereits neue [1][Lockdown-Szenarien] diskutiert.
Also sitzt Nubya Garcia (ausgesprochen „Nubaia“), die Saxofonistin mit den
guyanisch-karibischen Wurzeln, in ihrer Londoner Wohnung und seufzt. „Wie
gerne würde ich das tun: wieder neben jemandem in einem schwitzigen Club
stehen! Aber wir müssen jetzt alles anders machen. Auch hier gibt es jetzt
Open-Air-Konzerte, aber wer weiß schon, wie es weitergeht.“
Immerhin: die 29-jährige Künstlerin hat einen Grund, sich zu freuen. Gerade
ist ihr Debütalbum erschienen: „Source“. „Lang ersehnt“ ist eine
Behauptung, die Musikjournalist*innen jeder zweiten Pressemeldung entnehmen
können. Doch hier stimmt sie: Vor mehr als drei Jahren kam Garcias Debüt-EP
heraus. In der Folge lernte sie Clubs in ganz England kennen, trat beim
[2][Jazzfest Berlin] auf, war Mitgründerin von gleich zwei Bands. Wichtiger
noch: die Saxofonistin wurde, neben Shabaka Hutchings, zur gefragteste
Vertreterin ihres Instruments in der britischen Hauptstadt.
Garcias bis zum Bersten gespannter Saxofon-Sound, von der taz als
[3][„Volle-Ölkanne -Sound“] beschrieben, wollten alle auf ihrem Album
haben: der Tubist Theon Cross, die Afrobeat-Truppe Ezra Collective und
sogar der Chicagoer Drummer [4][Makaya McCraven] rief an.
## Erst Violine, dann Viola
Nubya Garcia hat ihr ganzes Leben an der Themse gelebt: als jüngste von
vier Geschwistern kam sie 1991 im Stadtteil Camden als Tochter einer
guyanischen Mutter und eines trinidadischen Vaters zur Welt. Sie lernte
erst die Violine, dann Viola. Im Alter von 10 Jahren schenkte ihr der
Stiefvater, dem sie auf „Source“ eine Ballade widmet, ein Saxofon.
Familiäre Einflüsse prägen seitdem Garcias musikalisches Schaffen. Ihr Song
„Before us in Demerara & Caura“ mit dem flirrenden Rocksteady-Piano und
den hymnischen Bläsern nennt die Namen von Orten in Guyana und Trinidad, an
denen ihre Ahnen lebten.
„Ich war immer neugierig“, erklärt Garcia. „Folk- und traditionelle Musik
aus der Karibik haben mich schon als Kind interessiert. Letztes Jahr hatte
ich das Glück, zweimal nach Kolumbien fahren zu können, um dort mit der
Band La Perla aufzunehmen. Jetzt ist ein Cumbia-Track auf dem Album. Aber
auch Dub-Einflüsse sind groß. Ich hatte eine exakte Vorstellung davon,
welche Sounds ich für mein Album wollte, auch elektronische Einflüsse wie
FlyLo sind dabei.“
Garcias Songs wirken fokussierter als die abgespacten
Frickel-Jazz-HipHop-Tracks des Los Angelitos [5][Flying Lotus.] Die
Slow-Soul-Burner „Together …“ und „Boundless Beings“ kühlen dabei di…
lupenreinen Siebziger-Souljazz-Tracks wie „The Message Continues“ erhitzten
Gemüter. Was stets anklingt und im Titelsong „Source“ so prominent wummert,
ist der Dub. Keyboarder Joe Armon-Jones, sonst Tastenmann bei Ezra
Collective, spielt in „Source“ ein entrücktes Rhodes-Solo, auf das diese
bekifft verhallten Spiritual-Jazz-Chöre folgen, die man in London derzeit
so schätzt. Zwölf Minuten perfekter Groove – was für ein Stück!
## Musik als Kraftbrühe
Als Garcia die Bedeutung des Album-Titels erklären soll, wirkt sie etwas
nebulös. „Ich habe mich gefragt, was mir Energie gibt. Ich möchte für mich
und andere präsent sein. Me as a musician – das hat Kraft! Musik kann so
viel Kraft spenden, besonders in Form eines Konzerts, ist es eine mächtige,
aber auch meditative Kraft. Wer eine harte Woche hatte und müde ist, kann
sich damit wieder aufladen.“
In Zeiten von Social Distancing muss die Musik von „Source“ als
Kraftspender ausreichen. Garcias Soli auf dem Album sind stets mit Verve
gespielt, ihr durchdringendes Tenorsaxofon funktioniert als Wecker. So viel
Kraft kann auch anstrengend sein. Stilistisch ist „Source“ jedoch mit
Anklängen an Broken-Beat, Cumbia und Post-Dubstep enorm vielfältig. Ohne
bemüht zu wirken. So vielfältig wie London.
„Ich habe nie länger woanders gelebt“, sagt Garcia über ihre Heimatstadt.
„Die Unterschiede zwischen Arm und Reich waren hier immer schon enorm groß.
Das ist hart, andererseits ist die Kultur genau deswegen unglaublich reich.
Immer wenn ich woanders bin, frage ich mich: Könnte ich hier leben? Und die
Antwort ist: Natürlich könnte ich das. Aber würde ich, so wie in London,
innerhalb eines ganz ordinären Tages so viele verschiedene Menschen mit so
vielen verschiedenen Leben beobachten können? Die es fertigbringen,
friedlich nebeneinander zu existieren?“
Die Künstlerin pausiert, man glaubt durchs Telefon zu hören, wie sie durchs
Fenster auf die geschäftige Camden High Street blickt. „Es ist keine
perfekte Stadt, aber es ist mein Zuhause.“
25 Aug 2020
## LINKS
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[4] /Aus-dem-Nachlass-von-Gil-Scott-Heron/!5658736/
[5] /Electronic-Jazz-von-Flying-Lotus/!5030353/
## AUTOREN
Jan Paersch
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