# taz.de -- Leben mit Long Covid: Erschöpft und frustriert | |
> Wer Long Covid hat, kämpft gegen eine kaum erforschte Krankheit. | |
> Betroffene fühlen sich oft nicht ernst genommen – auch von Ärzt*innen. | |
Vor ein paar Wochen hat er sich einen Gehörschutz gekauft. Nicht gegen | |
Baustellenlärm, sondern um sich für die ganz alltägliche Berliner | |
Geräuschkulisse zu wappnen – zu laut, zu schrill, zu viel für ihn. Seit Jan | |
Niklas Lehmann Ende 2020 an Long Covid erkrankt ist, überfordert den | |
29-Jährigen das Leben in der Großstadt. Wenn er es schafft, seine Wohnung | |
zu verlassen, um nach draußen zu gehen, ist der Gehörschutz eine echte | |
Hilfe. | |
So wie an diesem warmen Freitag, an dem er im Bezirk Friedrichshain am | |
Boxhagener Platz auf einer schattigen Bank sitzt. „Das ist mein Highlight | |
heute“, sagt Lehmann und lächelt. Auf der Wiese sonnen sich junge Menschen, | |
in den Büschen lärmt ein Schwarm Spatzen. Der Gehörschutz liegt griffbereit | |
neben Lehmann auf der Bank. Er weiß, nach diesem kurzen Gespräch wird er | |
sich erst mal ausruhen müssen. | |
Früher war Jan Niklas Lehmann ständig auf Reisen und ging mehrmals pro | |
Woche ins Fitnessstudio. Sportlich sieht Lehmann immer noch aus, doch wurde | |
bei ihm das chronische Erschöpfungssyndrom Fatigue diagnostiziert, das | |
häufig bei Long Covid auftritt. Typisch dafür ist, dass Betroffene bereits | |
von geringen Anstrengungen erschöpft sind, im Fachjargon heißt das | |
Post-Exertional Malaise oder kurz PEM. | |
So ist es für Lehmann schon ein Kraftakt, für ein paar Minuten draußen | |
unterwegs zu sein. Und wenn er sich übernimmt, dann liegt er auch mal drei | |
Tage lang flach und hat unerklärliche Muskelschmerzen. Müde fühle er sich | |
dann zwar nicht, aber er brauche Ruhe. „Bei mir ist es am besten, in einem | |
dunklen Raum zu sein, möglichst abgeschirmt“, erzählt er. Am Kragen seines | |
T-Shirts baumelt eine Brille mit abgedunkelten Gläsern, Sonnenlicht reizt | |
ihn ebenso wie Lärm. Eigentlich leitet Lehmann ein Team bei einem | |
Reiseveranstalter. Aber seit anderthalb Jahren kann er nicht mehr | |
arbeiten. | |
Im Oktober 2020 hat Lehmann sich mit Corona angesteckt – die akute Phase | |
verlief mild bei ihm. Obwohl er sich auch danach ein wenig erschöpft | |
fühlte, ging er im November und Dezember wieder zur Arbeit. „Damals habe | |
ich mir gar nichts dabei gedacht“, erzählt er. „Ich war ja ansonsten kaum | |
krank und schob die Erschöpfung darauf, dass ich lange keinen Sport gemacht | |
hatte. Aber dann im Januar, dann ging's halt gar nicht mehr.“ Seitdem sucht | |
er nach Fachärzt*innen und Studien und möchte vor allem eins: wieder | |
gesund werden. | |
## Symptome, die bleiben | |
Unter Long Covid werden alle Symptome gefasst, die Infizierte auch vier | |
Wochen nach der akuten Corona-Erkrankung haben und für die es keine | |
wahrscheinlichere andere Erklärung gibt. Die Erkrankten sind dann nicht | |
mehr ansteckend, aber am gesellschaftlichen Leben können viele trotzdem | |
weiterhin nicht teilhaben. Dauern die Symptome drei Monate an, definiert | |
die Weltgesundheitsorganisation WHO das als Post-Covid-Zustand. | |
Aber trotz WHO-Definition: Bisher ist die [1][Krankheit nur schlecht | |
erforscht] – aus wissenschaftlicher Sicht sind zwei Jahre sehr kurz. Wegen | |
fehlender Studien können viele Mediziner*innen nichts mit der | |
Krankheit anfangen und [2][Patient*innen fühlen sich nicht ernst | |
genommen]. | |
Um mehr über die Krankheit zu erfahren, stellte das | |
Bundesforschungsministerium im vorigen Jahr 6,5 Millionen Euro für Studien | |
bereit, in diesem Jahr kamen weitere 5 Millionen für klinische Studien | |
hinzu. Auch einzelne Bundesländer investieren Millionenbeträge, wie zum | |
Beispiel Niedersachsen mit etwa 10 Millionen Euro. Das sei zu wenig, | |
kritisieren Forscher*innen und Betroffene. In den USA etwa stellt die | |
Gesundheitsbehörde eine Milliarde Dollar für die Forschung zu Long Covid | |
zur Verfügung. | |
Warum Menschen Long Covid entwickeln, ist also noch unklar. Es fehlen aber | |
sogar Daten dazu, wie viele Menschen tatsächlich an Long Covid erkrankt | |
sind. Die bundesweite Initiative Long Covid Deutschland schätzt, es seien | |
mehr als 500.000. Sicher ist: Einige von ihnen waren selbst als | |
Krankenpfleger*innen oder Ärzt*innen im Gesundheitswesen tätig und | |
infizierten sich während der ersten Infektionswellen. | |
Erste [3][Studien legen] nahe, dass die Wahrscheinlichkeit, Long Covid zu | |
entwickeln, durch [4][die Omikron-Variante gesunken] ist. Ebenso verringern | |
nach ersten [5][Erkenntnissen Coronaimpfungen das Risiko]. Verringerte | |
Wahrscheinlichkeiten und Risiken bedeuten leider weiterhin: Infiziert man | |
sich, sind Langzeitfolgen möglich, auch für Kinder und Jugendliche. Wenn | |
das passiert, geht es aber nicht allen Menschen genau wie Jan Niklas | |
Lehmann, denn Long Covid verläuft vielfältig. | |
## Wie ein dunkler Schleier | |
Die taz hat für diesen Text mit neun Long-Covid-Betroffenen gesprochen. | |
Eine 50-Jährige, die anonym bleiben möchte und vor der Infektion in einer | |
Altenpflegeeinrichtung gearbeitet hat, berichtet, sie hätte anfangs kaum | |
einen Satz zustande gebracht, weil ihr ständig Worte entfallen seien. Eine | |
andere Betroffene leidet bis heute vor allem unter starker Atemnot – ihr | |
Asthma hat sich durch die Coronainfektion verschlimmert, kurz danach bekam | |
sie eine Lungenentzündung. Sprechen fällt ihr schwer, sie kann weder den | |
Weg zur Arbeit laufen, noch zum Supermarkt für den Einkauf. | |
Ein 30-jähriger Informatiker berichtet von Muskelzuckungen, die immer | |
wieder auftreten. Andere leiden unter Haarausfall oder sogenanntem Brain | |
Fog, Gehirnnebel. Das sei wie ein dunkler Schleier, der die Konzentration | |
stört und alles um sie herum abdämpft, berichten Betroffene. Insgesamt | |
gehen Studien von [6][mehr als 60] bis [7][200 möglichen] Symptomen aus, | |
die bei Long-Covid-Patient*innen auftreten können. | |
Die Internistin und Pneumologin Jördis Frommhold behandelte ihren ersten | |
Long-Covid-Fall am 14. April 2020, dem Dienstag nach Ostern. An diesen Tag | |
erinnert sich die Chefärztin der Median-Reha-Klinik in Heiligendamm, ohne | |
im Kalender nachschauen zu müssen. Seitdem wurden bei ihr in der Klinik | |
mehr als 4.500 Fälle behandelt. „Es gibt Kardinalsymptome, die relativ | |
häufig vorkommen, wie das chronische Erschöpfungssyndrom Fatigue, Atemnot | |
unter Belastung, aber auch kognitive Einschränkungen oder Gelenk- und | |
Muskelschmerzen.“ | |
Weil die Krankheit noch so unbekannt ist und eine Vielzahl der Symptome | |
nicht organisch nachgewiesen werden kann, kämpfen die Patient*innen | |
gegen Unverständnis in ihrem Umfeld und bei Ärzt*innen. Auch Jan Niklas | |
Lehmann ging das so: „Mein Arzt damals war nicht aufgeklärt und hat mich | |
auch nicht für voll genommen.“ | |
Lehmann bekam eine fünfwöchige Reha genehmigt – allerdings eine für | |
psychosomatische Symptome. Das Problem: Bei solchen Therapien steht auch | |
Sport auf der Tagesordnung. „Für das chronische Erschöpfungssyndrom, ist | |
das aber gerade kontraproduktiv.“ Wenn Lehman sich anstrengt, kann es zu | |
einem sogenannten Crash kommen. Dann geht bei ihm gar nichts mehr und er | |
muss sich ausruhen. | |
## Wieder lernen, richtig zu atmen | |
Zurzeit bestehe die Gefahr für Long-Covid-Patient*innen, die falsche | |
Behandlung zu bekommen, bestätigt Jördis Frommhold. Vor allem, wenn zu | |
schnell die Diagnose gestellt wird, dass [8][Long Covid rein psychisch | |
verursacht] sei, obwohl es eigentlich körperliche Probleme gebe. | |
Psychosomatische Schmerzen seien als Symptome zwar möglich, sagt sie, aber | |
in den meisten Fällen „aufgesattelt und nicht ursächlich“. Mittlerweile | |
gebe es aber schon mehr Akzeptanz für die Erkrankten, sagt Frommhold. | |
Dabei könnten Ärzt*innen den Betroffenen helfen. Bei vielen würden | |
Rehamaßnahmen gut anschlagen, betont Frommhold. Je nach Symptomen seien | |
allerdings unterschiedliche Therapien nötig. Manche hätten sich während | |
ihrer Coronainfektion eine flache Schonatmung angewöhnt und müssten erst | |
wieder lernen, richtig zu atmen. Andere müssten lernen, ihre Energie | |
richtig einzuteilen und Überforderung zu vermeiden – Pacing nennt sich das. | |
Doch die richtige Reha zu finden, ist gar nicht so leicht, erzählt | |
Christiane Wirtz. Sie ist studierte Kunsttherapeutin und lebt heute in | |
Offenbach am Main. | |
Wirtz lächelt häufig, spricht ruhig und bedacht. In Offenbach ist es an | |
diesem Julitag sehr warm, die Hitze setzt ihr zu, erzählt sie. Durch die | |
offene Balkontür weht eine Brise, aber sie kühlt kaum. | |
## „Wegen des Drucks, wieder zu funktionieren“ | |
Wie Lehmann sagt sie, dass sie nach dem Gespräch erst mal ein paar Stunden | |
Ruhe brauchen wird. Dabei ist ihr Long Covid kaum anzusehen. Sie schiebt | |
sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Oft möchten die Leute die Krankheit | |
sehen“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Zurzeit könne sie nicht | |
einmal den 20-minütigen Weg bis zu ihrem Atelier laufen, wo sie sonst | |
Bilder gemalt hat. | |
Wirtz begleitete vor ihrer Infektion ein Kind mit | |
Autismus-Spektrum-Störung in einer Schule. Dort infizierte sie sich im | |
November 2020 mit Corona, vier Wochen war sie mit starken Symptomen in | |
Isolierung. Wie Jan Niklas Lehmann ging die heute 31-Jährige danach wieder | |
arbeiten, obwohl sie sich noch schwach fühlte. „Auch wegen des Drucks, | |
wieder zu funktionieren, den man sich selbst macht oder der von außen | |
kommt.“ | |
Sechs Wochen kämpfte sie sich ab, schlief häufig auf dem Stuhl ein und | |
brauchte Sitzpausen im Treppenhaus. Dann stellte ein Kardiologe bei ihr | |
eine Herzmuskelentzündung fest. Obwohl sie die zu Hause auskurierte, litt | |
sie weiter an Beschwerden – Long Covid, wie sie mittlerweile weiß. | |
Noch während ihrer Herzmuskelentzündung beantragte Christiane Wirtz eine | |
Reha. Es dauert aber ein halbes Jahr, bis sie eine passende in Sankt | |
Peter-Ording bekam. „Doch trotzdem waren die Leute da nicht auf Long | |
Covid vorbereitet“, kritisiert sie. Sie liest bis heute Studien über Long | |
Covid, oft habe sie das Gefühl, mehr zu wissen als ihre Ärzt*innen. „Lange | |
Zeit war ich ein Pflegefall, ich konnte kaum laufen.“ Ohne ihren Partner | |
hätte sie das nicht geschafft, ist sie sich sicher. | |
## Es geht ihr besser, aber noch lange nicht gut | |
Er ist inzwischen bei ihr in die Wohnung in Offenbach eingezogen. Gemeinsam | |
haben sie die Zimmer eingerichtet, viel naturbelassenes Holz, Grünpflanzen, | |
die Wände künstlerisch gestaltet. Es geht Christiane Wirtz heute zwar | |
besser, aber noch lange nicht gut. Sie sitzt auf ihrem Bett, vor sich ihren | |
„Long-Covid-Ordner“, in dem sie alle Dokumente sammelt. Korrespondenzen mit | |
Ärzt*innen, Bescheinigungen oder ihre Anerkennung von Long Covid als | |
Berufsunfall. | |
Um sich weiter künstlerisch auszudrücken, schreibt Christiane Wirtz nun | |
[9][Kurzgeschichten darüber, wie sie Long Covid] erlebt. Schreiben, das | |
gehe auch vom Bett aus. Mittlerweile hat sie die Geschichten unter dem | |
Titel „Trauermücke“ auf ihrem Blog und [10][auf Instagram | |
veröffentlicht]. Darüber komme sie mit anderen Long-Covid-Betroffenen in | |
Kontakt, erzählt sie. Der Erfahrungsaustausch tue ihr gut. Aber was auch | |
sie vor allem möchte, ist: wieder gesund sein. | |
Wie schnell medizinische Lösungen bereitstehen, bleibt abzuwarten. Eine | |
Krankheit mit teils ähnlichen Symptomen ist das Chronische | |
Fatigue-Syndrom, abgekürzt mit ME/CFS. Vor der Pandemie ging die | |
Bundesregierung von schätzungsweise 300.000 bis 400.000 | |
ME/CFS-Patient*innen in Deutschland aus. Viele von ihnen sind dauerhaft | |
bettlägerig, bisher wurde kein Medikament gegen die Krankheit zugelassen. | |
Obwohl ME/CFS 1969 von der WHO als eigenständige Krankheit eingestuft | |
wurde, klagen Patient*innen bis heute darüber, dass Ärzt*innen sie | |
nicht ernst nehmen und zu wenig geforscht werde. Das brachten sie im | |
Februar auch [11][bei einer Petitionsanhörung im Bundestag vor]. Der Staat | |
tue zu wenig für die Betroffenen. Würde die Regierung mehr Geld in Studien | |
investieren, dann gäbe es Therapiemöglichkeiten – von denen nun auch die | |
Long-Covid-Patient*innen profitiert hätten. | |
## Hilfe suchen in der Facebook-Gruppe | |
Als Jan Niklas Lehmann in Berlin auch der zweite Arzt nicht helfen konnte, | |
suchte er weitere Ärzt*innen auf. Bis heute hat er mehr als 20 | |
konsultiert. Online recherchiert er nach Mitteln, die anderen helfen. Dafür | |
ist er zum Beispiel bei der Facebookgruppe „Leben mit Long Covid“, in der | |
sich etwa 9.000 Betroffene austauschen, von Erfolgen und Misserfolgen | |
berichten, Artikel teilen oder um Hilfe fragen. Für Facebook überraschend: | |
Der Ton ist stets freundlich. Aber wenn es um Politik geht, klingen viele | |
resigniert. | |
Für die Versorgung von Long-Covid-Patient*innen fehle es an Geld, | |
kritisiert unter anderem die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Das Budget | |
von Kranken- und Pflegekassen reiche langfristig nicht dafür, die | |
Betroffenen zu versorgen. Besser wäre ein „Post-Covid-Fonds“, den die | |
Regierung anlegen müsse, forderte der Stiftungsvorstand Eugen Brysch schon | |
im Mai gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. | |
Jan Niklas Lehmann stürzt sich derweil privat in Unkosten. Was in | |
Onlineberichten positiv bewertet wird, probiert er aus: | |
Nahrungsergänzungsmittel, Sauerstofftherapie, Blutwäsche. Dafür muss er | |
selbst zahlen, denn es ist bisher nicht durch Studien belegt, dass etwas | |
davon gegen Long Covid hilft, und so übernimmt seine Krankenkasse nichts. | |
Was Lehmann macht, zählt lediglich zur Kategorie „individuelle | |
Heilversuche“, viele Tausend Euro hat er schon dafür ausgegeben. Geholfen | |
hat ihm bislang nichts. | |
Bei der sogenannten Blutwäsche hat er erst ein paar Sitzungen hinter sich. | |
Grob erklärt, entnimmt ihm dabei eine Maschine Blut, filtert es und leitet | |
es zurück in seinen Körper. Die Theorie: Was Long Covid auslöst, befindet | |
sich im Blut und wird beim Filtern herausgelöst. Aber auch bei der | |
Blutwäsche gilt: Belegt ist ihre Wirkung nicht und entsprechend zahlt | |
Lehmann mehr als tausend Euro pro Sitzung. | |
## Hoffen auf das Herzmedikament | |
Andere Patient*innen kritisieren die Therapieversuche als bloße | |
Geldmacherei. Zudem fehle es bei Sauerstofftherapie und Blutwäsche an | |
Evidenz, und sie seien nicht risikofrei. Darum sei es gut, wenn | |
Mediziner*innen nicht dazu raten. Bettina Hohberger kann das | |
nachvollziehen: „Wenn man Patienten als Arzt Behandlungsratschläge gibt, | |
muss das aufgrund klarer wissenschaftlicher Fakten beruhen.“ Sie ist selbst | |
Ärztin und forscht in Erlangen am Herzmedikament BC 007, das bereits in | |
vier einzelnen Fällen Long Covid heilen konnte. Derzeit führt Hohberger | |
[12][die erste klinische Studie] unter dem Titel „reCOVer“ durch. | |
BC 007 ist die große Hoffnung vieler Long-Covid-Patient*innen. Die Idee | |
dahinter lautet: Eine fehlgeleitete Immunantwort mit Autoantikörpern führt | |
zu einer Durchblutungsstörung. Dagegen soll eine BC-007-Infusion helfen – | |
aber noch ist auch das nicht klinisch belegt. Als die reCOVer-Studie | |
bekannt wurde, bewarben sich Tausende Betroffene als Proband*innen, erzählt | |
Hohberger, auch aus Großbritannien oder den USA. Alle können nicht | |
teilnehmen, sie kämen nicht mal hinterher, allen zu antworten. | |
Aber Hohberger will keine unrealistischen Erwartungen wecken: „Ich bin mir | |
sicher, dass wenn sich BC 007 in den klinischen Studien durchsetzt, | |
sicherlich nicht alle Long-Covid-Patienten von BC 007 profitieren werden“, | |
sagt sie in deutlichem Ton. Warum? Weil aktuelle Forschungsergebnisse | |
darauf hindeuten, dass es unterschiedliche Untergruppen von Long Covid | |
gibt. | |
Um die Ursachen besser zu verstehen, gibt es in Erlangen noch eine zweite | |
Studie [13][mit dem Titel „disCOVer“]. Der Forschungsansatz geht von drei | |
Ursachengruppen bei Betroffenen aus: Die erste leidet darunter, dass nach | |
der akuten Infektion der Virus in geringen Mengen im Körper verblieben ist | |
und weiterhin Beschwerden auslöst. Die zweite leidet unter konkreten | |
Organschäden, verursacht durch die akute Corona-Erkrankung. Bei dieser | |
Gruppe seien Rehamaßnahmen bereits effektiv. Und bei der dritten Gruppe | |
wären die eben erwähnten Autoantikörper ursächlich für die | |
Long-Covid-Symptome. Nur dieser Gruppe würde BC 007 theoretisch helfen. | |
## 78 Wochen Krankengeld | |
Ob die Einteilung so zutrifft und wie groß die einzelnen Gruppen sind, ist | |
noch nicht klar. „Wenn das disCOVer-Projekt beendet ist, können wir mehr | |
darüber sagen“, sagt Hohberger. Forschung braucht eben Zeit und Geld. Zwar | |
erhält reCOVer etwa 1,5 Millionen von den 6,5 Millionen Euro, die das | |
Bundesforschungsministerium 2021 bereitstellte, und wird disCOVer in | |
gleicher Höhe vom Freistaat Bayern finanziert, aber Hohberger schätzt, das | |
reiche nicht für die Lösung. | |
Für viele Betroffene wirkt sich die [14][schlechte Studienlage auch | |
finanziell aus]. Wie andere Erkrankte, bekommen | |
Long-Covid-Patient*innen maximal 78 Wochen Krankengeld. Krankengeld, | |
das bedeutet: 70 Prozent des letzten Bruttogehalts, maximal aber 90 Prozent | |
des letzten Nettogehalts. | |
Das federt die Verluste ab, die entstehen, wenn sie nicht arbeiten können. | |
Aber von einer Rückkehr zum Vollzeitjob sind viele auch nach 78 Wochen noch | |
weit entfernt. Trotzdem werden sie dann von ihrer Krankenkasse | |
„ausgesteuert“ und müssen entweder eine Erwerbsminderungsrente beantragen | |
oder auf Arbeitslosengeld zurückgreifen. Und das, wo in Zeiten der | |
Inflation die Lebensmittel- und Energiepreise preise steigen und viele | |
Branchen dringend nach Arbeitskräften suchen. | |
Dabei könnten einige Long-Covid-Patient*innen arbeiten, wenn auch | |
eingeschränkt, sagt Chefärztin Jördis Frommhold. Sie prognostiziert: „Wir | |
werden unsere gesamtgesellschaftlichen Ansichten, was Arbeitszeitmodelle, | |
was flexible Arbeitszeiten angeht, überdenken müssen.“ Homeoffice sei eine | |
Idee. Durch wegfallende Arbeitswege sparen sich die | |
Long-Covid-Patient*innen einige Energie. Eine andere Idee sei eben | |
Teilzeit. | |
## Arbeitgeberin mit Verständnis | |
Das versucht mittlerweile auch die Kunsttherapeutin Christiane Wirtz. In | |
ihren alten Beruf an der Schule habe sie nicht wieder einsteigen können. | |
Die Belastung sei zu hoch gewesen. Aber nach einiger Zeit fand sie eine | |
Arbeitgeberin, die Verständnis für ihre Situation gezeigt habe. „Ich habe | |
ihr alles offen erzählt und sie kannte privat wen mit Long Covid“, | |
berichtet Wirtz. „Ich denke, das macht etwas aus.“ | |
Seit Februar arbeitet sie wieder 30 Stunden in der Woche als | |
Kunsttherapeutin gemeinsam mit chronisch psychisch kranken Menschen. Doch | |
im Juni hat Christiane Wirtz sich erneut mit Corona infiziert, und wurde | |
wegen des hohen Fiebers, ihrer Herz- und Lungenprobleme ins Krankenhaus auf | |
die Covid-Station eingeliefert. Nach einer Woche ging sie aber wieder nach | |
Hause, war auch dann zunächst krankgeschrieben, fühlte sich aber nicht wohl | |
dabei. Sie wollte schnell wieder zurück in den Job. | |
„Aber was, wenn es dann wieder schlimmer wird?“, fragt Christiane Wirtz | |
besorgt. Bei der Arbeit mit Menschen könne sie nicht einfach sagen: „Ich | |
mach jetzt Pause.“ Doch aufgeben will sie auf keinen Fall. | |
Auch Jan Niklas Lehmann möchte wieder arbeiten. Allerdings sei Teilzeit | |
nicht überall möglich, gibt er zu bedenken, es komme auf die Branche an. | |
Zudem bedeutet weniger Arbeit auch weniger Geld. Bei 20 Stunden in der | |
Woche müsste Lehmann sein Leben komplett umkrempeln, seine Wohnung in | |
Berlin-Friedrichshain könnte er sich langfristig nicht mehr leisten. | |
„Trotzdem bin ich froh, wenn ich erst mal wieder ein paar Stunden arbeiten | |
kann“, sagt er. Aber dafür reicht seine Energie noch lange nicht. | |
7 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.thelancet.com/journals/lanres/article/PIIS2213-2600(22)00135-7/… | |
[2] /Bekaempfung-der-Coronapandemie/!5851966 | |
[3] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35447302/ | |
[4] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)00941-2/… | |
[5] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2022.01.05.22268800v2 | |
[6] https://www.nature.com/articles/s41591-022-01909-w | |
[7] https://www.thelancet.com/journals/eclinm/article/PIIS2589-5370(21)00299-6/… | |
[8] /TK-Gesundheitsreport-2022/!5866090 | |
[9] https://naniblog.de/trauermuecke/ | |
[10] https://www.instagram.com/trauer_muecke/ | |
[11] /Petition-zum-Fatigue-Syndrom/!5835731 | |
[12] https://www.augenklinik.uk-erlangen.de/forschung/ag-long-covid-me/cfs/reco… | |
[13] https://www.augenklinik.uk-erlangen.de/forschung/ag-long-covid-me/cfs/disc… | |
[14] /Experte-ueber-Long-Covid/!5861283 | |
## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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