Introduction
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# taz.de -- Leben mit Long Covid: Erschöpft und frustriert
> Wer Long Covid hat, kämpft gegen eine kaum erforschte Krankheit.
> Betroffene fühlen sich oft nicht ernst genommen – auch von Ärzt*innen.
Vor ein paar Wochen hat er sich einen Gehörschutz gekauft. Nicht gegen
Baustellenlärm, sondern um sich für die ganz alltägliche Berliner
Geräuschkulisse zu wappnen – zu laut, zu schrill, zu viel für ihn. Seit Jan
Niklas Lehmann Ende 2020 an Long Covid erkrankt ist, überfordert den
29-Jährigen das Leben in der Großstadt. Wenn er es schafft, seine Wohnung
zu verlassen, um nach draußen zu gehen, ist der Gehörschutz eine echte
Hilfe.
So wie an diesem warmen Freitag, an dem er im Bezirk Friedrichshain am
Boxhagener Platz auf einer schattigen Bank sitzt. „Das ist mein Highlight
heute“, sagt Lehmann und lächelt. Auf der Wiese sonnen sich junge Menschen,
in den Büschen lärmt ein Schwarm Spatzen. Der Gehörschutz liegt griffbereit
neben Lehmann auf der Bank. Er weiß, nach diesem kurzen Gespräch wird er
sich erst mal ausruhen müssen.
Früher war Jan Niklas Lehmann ständig auf Reisen und ging mehrmals pro
Woche ins Fitnessstudio. Sportlich sieht Lehmann immer noch aus, doch wurde
bei ihm das chronische Erschöpfungssyndrom Fatigue diagnostiziert, das
häufig bei Long Covid auftritt. Typisch dafür ist, dass Betroffene bereits
von geringen Anstrengungen erschöpft sind, im Fachjargon heißt das
Post-Exertional Malaise oder kurz PEM.
So ist es für Lehmann schon ein Kraftakt, für ein paar Minuten draußen
unterwegs zu sein. Und wenn er sich übernimmt, dann liegt er auch mal drei
Tage lang flach und hat unerklärliche Muskelschmerzen. Müde fühle er sich
dann zwar nicht, aber er brauche Ruhe. „Bei mir ist es am besten, in einem
dunklen Raum zu sein, möglichst abgeschirmt“, erzählt er. Am Kragen seines
T-Shirts baumelt eine Brille mit abgedunkelten Gläsern, Sonnenlicht reizt
ihn ebenso wie Lärm. Eigentlich leitet Lehmann ein Team bei einem
Reiseveranstalter. Aber seit anderthalb Jahren kann er nicht mehr
arbeiten.
Im Oktober 2020 hat Lehmann sich mit Corona angesteckt – die akute Phase
verlief mild bei ihm. Obwohl er sich auch danach ein wenig erschöpft
fühlte, ging er im November und Dezember wieder zur Arbeit. „Damals habe
ich mir gar nichts dabei gedacht“, erzählt er. „Ich war ja ansonsten kaum
krank und schob die Erschöpfung darauf, dass ich lange keinen Sport gemacht
hatte. Aber dann im Januar, dann ging's halt gar nicht mehr.“ Seitdem sucht
er nach Fachärzt*innen und Studien und möchte vor allem eins: wieder
gesund werden.
## Symptome, die bleiben
Unter Long Covid werden alle Symptome gefasst, die Infizierte auch vier
Wochen nach der akuten Corona-Erkrankung haben und für die es keine
wahrscheinlichere andere Erklärung gibt. Die Erkrankten sind dann nicht
mehr ansteckend, aber am gesellschaftlichen Leben können viele trotzdem
weiterhin nicht teilhaben. Dauern die Symptome drei Monate an, definiert
die Weltgesundheitsorganisation WHO das als Post-Covid-Zustand.
Aber trotz WHO-Definition: Bisher ist die [1][Krankheit nur schlecht
erforscht] – aus wissenschaftlicher Sicht sind zwei Jahre sehr kurz. Wegen
fehlender Studien können viele Mediziner*innen nichts mit der
Krankheit anfangen und [2][Patient*innen fühlen sich nicht ernst
genommen].
Um mehr über die Krankheit zu erfahren, stellte das
Bundesforschungsministerium im vorigen Jahr 6,5 Millionen Euro für Studien
bereit, in diesem Jahr kamen weitere 5 Millionen für klinische Studien
hinzu. Auch einzelne Bundesländer investieren Millionenbeträge, wie zum
Beispiel Niedersachsen mit etwa 10 Millionen Euro. Das sei zu wenig,
kritisieren Forscher*innen und Betroffene. In den USA etwa stellt die
Gesundheitsbehörde eine Milliarde Dollar für die Forschung zu Long Covid
zur Verfügung.
Warum Menschen Long Covid entwickeln, ist also noch unklar. Es fehlen aber
sogar Daten dazu, wie viele Menschen tatsächlich an Long Covid erkrankt
sind. Die bundesweite Initiative Long Covid Deutschland schätzt, es seien
mehr als 500.000. Sicher ist: Einige von ihnen waren selbst als
Krankenpfleger*innen oder Ärzt*innen im Gesundheitswesen tätig und
infizierten sich während der ersten Infektionswellen.
Erste [3][Studien legen] nahe, dass die Wahrscheinlichkeit, Long Covid zu
entwickeln, durch [4][die Omikron-Variante gesunken] ist. Ebenso verringern
nach ersten [5][Erkenntnissen Coronaimpfungen das Risiko]. Verringerte
Wahrscheinlichkeiten und Risiken bedeuten leider weiterhin: Infiziert man
sich, sind Langzeitfolgen möglich, auch für Kinder und Jugendliche. Wenn
das passiert, geht es aber nicht allen Menschen genau wie Jan Niklas
Lehmann, denn Long Covid verläuft vielfältig.
## Wie ein dunkler Schleier
Die taz hat für diesen Text mit neun Long-Covid-Betroffenen gesprochen.
Eine 50-Jährige, die anonym bleiben möchte und vor der Infektion in einer
Altenpflegeeinrichtung gearbeitet hat, berichtet, sie hätte anfangs kaum
einen Satz zustande gebracht, weil ihr ständig Worte entfallen seien. Eine
andere Betroffene leidet bis heute vor allem unter starker Atemnot – ihr
Asthma hat sich durch die Coronainfektion verschlimmert, kurz danach bekam
sie eine Lungenentzündung. Sprechen fällt ihr schwer, sie kann weder den
Weg zur Arbeit laufen, noch zum Supermarkt für den Einkauf.
Ein 30-jähriger Informatiker berichtet von Muskelzuckungen, die immer
wieder auftreten. Andere leiden unter Haarausfall oder sogenanntem Brain
Fog, Gehirnnebel. Das sei wie ein dunkler Schleier, der die Konzentration
stört und alles um sie herum abdämpft, berichten Betroffene. Insgesamt
gehen Studien von [6][mehr als 60] bis [7][200 möglichen] Symptomen aus,
die bei Long-Covid-Patient*innen auftreten können.
Die Internistin und Pneumologin Jördis Frommhold behandelte ihren ersten
Long-Covid-Fall am 14. April 2020, dem Dienstag nach Ostern. An diesen Tag
erinnert sich die Chefärztin der Median-Reha-Klinik in Heiligendamm, ohne
im Kalender nachschauen zu müssen. Seitdem wurden bei ihr in der Klinik
mehr als 4.500 Fälle behandelt. „Es gibt Kardinalsymptome, die relativ
häufig vorkommen, wie das chronische Erschöpfungssyndrom Fatigue, Atemnot
unter Belastung, aber auch kognitive Einschränkungen oder Gelenk- und
Muskelschmerzen.“
Weil die Krankheit noch so unbekannt ist und eine Vielzahl der Symptome
nicht organisch nachgewiesen werden kann, kämpfen die Patient*innen
gegen Unverständnis in ihrem Umfeld und bei Ärzt*innen. Auch Jan Niklas
Lehmann ging das so: „Mein Arzt damals war nicht aufgeklärt und hat mich
auch nicht für voll genommen.“
Lehmann bekam eine fünfwöchige Reha genehmigt – allerdings eine für
psychosomatische Symptome. Das Problem: Bei solchen Therapien steht auch
Sport auf der Tagesordnung. „Für das chronische Erschöpfungssyndrom, ist
das aber gerade kontraproduktiv.“ Wenn Lehman sich anstrengt, kann es zu
einem sogenannten Crash kommen. Dann geht bei ihm gar nichts mehr und er
muss sich ausruhen.
## Wieder lernen, richtig zu atmen
Zurzeit bestehe die Gefahr für Long-Covid-Patient*innen, die falsche
Behandlung zu bekommen, bestätigt Jördis Frommhold. Vor allem, wenn zu
schnell die Diagnose gestellt wird, dass [8][Long Covid rein psychisch
verursacht] sei, obwohl es eigentlich körperliche Probleme gebe.
Psychosomatische Schmerzen seien als Symptome zwar möglich, sagt sie, aber
in den meisten Fällen „aufgesattelt und nicht ursächlich“. Mittlerweile
gebe es aber schon mehr Akzeptanz für die Erkrankten, sagt Frommhold.
Dabei könnten Ärzt*innen den Betroffenen helfen. Bei vielen würden
Rehamaßnahmen gut anschlagen, betont Frommhold. Je nach Symptomen seien
allerdings unterschiedliche Therapien nötig. Manche hätten sich während
ihrer Coronainfektion eine flache Schonatmung angewöhnt und müssten erst
wieder lernen, richtig zu atmen. Andere müssten lernen, ihre Energie
richtig einzuteilen und Überforderung zu vermeiden – Pacing nennt sich das.
Doch die richtige Reha zu finden, ist gar nicht so leicht, erzählt
Christiane Wirtz. Sie ist studierte Kunsttherapeutin und lebt heute in
Offenbach am Main.
Wirtz lächelt häufig, spricht ruhig und bedacht. In Offenbach ist es an
diesem Julitag sehr warm, die Hitze setzt ihr zu, erzählt sie. Durch die
offene Balkontür weht eine Brise, aber sie kühlt kaum.
## „Wegen des Drucks, wieder zu funktionieren“
Wie Lehmann sagt sie, dass sie nach dem Gespräch erst mal ein paar Stunden
Ruhe brauchen wird. Dabei ist ihr Long Covid kaum anzusehen. Sie schiebt
sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Oft möchten die Leute die Krankheit
sehen“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Zurzeit könne sie nicht
einmal den 20-minütigen Weg bis zu ihrem Atelier laufen, wo sie sonst
Bilder gemalt hat.
Wirtz begleitete vor ihrer Infektion ein Kind mit
Autismus-Spektrum-Störung in einer Schule. Dort infizierte sie sich im
November 2020 mit Corona, vier Wochen war sie mit starken Symptomen in
Isolierung. Wie Jan Niklas Lehmann ging die heute 31-Jährige danach wieder
arbeiten, obwohl sie sich noch schwach fühlte. „Auch wegen des Drucks,
wieder zu funktionieren, den man sich selbst macht oder der von außen
kommt.“
Sechs Wochen kämpfte sie sich ab, schlief häufig auf dem Stuhl ein und
brauchte Sitzpausen im Treppenhaus. Dann stellte ein Kardiologe bei ihr
eine Herzmuskelentzündung fest. Obwohl sie die zu Hause auskurierte, litt
sie weiter an Beschwerden – Long Covid, wie sie mittlerweile weiß.
Noch während ihrer Herzmuskelentzündung beantragte Christiane Wirtz eine
Reha. Es dauert aber ein halbes Jahr, bis sie eine passende in Sankt
Peter-Ording bekam. „Doch trotzdem waren die Leute da nicht auf Long
Covid vorbereitet“, kritisiert sie. Sie liest bis heute Studien über Long
Covid, oft habe sie das Gefühl, mehr zu wissen als ihre Ärzt*innen. „Lange
Zeit war ich ein Pflegefall, ich konnte kaum laufen.“ Ohne ihren Partner
hätte sie das nicht geschafft, ist sie sich sicher.
## Es geht ihr besser, aber noch lange nicht gut
Er ist inzwischen bei ihr in die Wohnung in Offenbach eingezogen. Gemeinsam
haben sie die Zimmer eingerichtet, viel naturbelassenes Holz, Grünpflanzen,
die Wände künstlerisch gestaltet. Es geht Christiane Wirtz heute zwar
besser, aber noch lange nicht gut. Sie sitzt auf ihrem Bett, vor sich ihren
„Long-Covid-Ordner“, in dem sie alle Dokumente sammelt. Korrespondenzen mit
Ärzt*innen, Bescheinigungen oder ihre Anerkennung von Long Covid als
Berufsunfall.
Um sich weiter künstlerisch auszudrücken, schreibt Christiane Wirtz nun
[9][Kurzgeschichten darüber, wie sie Long Covid] erlebt. Schreiben, das
gehe auch vom Bett aus. Mittlerweile hat sie die Geschichten unter dem
Titel „Trauermücke“ auf ihrem Blog und [10][auf Instagram
veröffentlicht]. Darüber komme sie mit anderen Long-Covid-Betroffenen in
Kontakt, erzählt sie. Der Erfahrungsaustausch tue ihr gut. Aber was auch
sie vor allem möchte, ist: wieder gesund sein.
Wie schnell medizinische Lösungen bereitstehen, bleibt abzuwarten. Eine
Krankheit mit teils ähnlichen Symptomen ist das Chronische
Fatigue-Syndrom, abgekürzt mit ME/CFS. Vor der Pandemie ging die
Bundesregierung von schätzungsweise 300.000 bis 400.000
ME/CFS-Patient*innen in Deutschland aus. Viele von ihnen sind dauerhaft
bettlägerig, bisher wurde kein Medikament gegen die Krankheit zugelassen.
Obwohl ME/CFS 1969 von der WHO als eigenständige Krankheit eingestuft
wurde, klagen Patient*innen bis heute darüber, dass Ärzt*innen sie
nicht ernst nehmen und zu wenig geforscht werde. Das brachten sie im
Februar auch [11][bei einer Petitionsanhörung im Bundestag vor]. Der Staat
tue zu wenig für die Betroffenen. Würde die Regierung mehr Geld in Studien
investieren, dann gäbe es Therapiemöglichkeiten – von denen nun auch die
Long-Covid-Patient*innen profitiert hätten.
## Hilfe suchen in der Facebook-Gruppe
Als Jan Niklas Lehmann in Berlin auch der zweite Arzt nicht helfen konnte,
suchte er weitere Ärzt*innen auf. Bis heute hat er mehr als 20
konsultiert. Online recherchiert er nach Mitteln, die anderen helfen. Dafür
ist er zum Beispiel bei der Facebookgruppe „Leben mit Long Covid“, in der
sich etwa 9.000 Betroffene austauschen, von Erfolgen und Misserfolgen
berichten, Artikel teilen oder um Hilfe fragen. Für Facebook überraschend:
Der Ton ist stets freundlich. Aber wenn es um Politik geht, klingen viele
resigniert.
Für die Versorgung von Long-Covid-Patient*innen fehle es an Geld,
kritisiert unter anderem die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Das Budget
von Kranken- und Pflegekassen reiche langfristig nicht dafür, die
Betroffenen zu versorgen. Besser wäre ein „Post-Covid-Fonds“, den die
Regierung anlegen müsse, forderte der Stiftungsvorstand Eugen Brysch schon
im Mai gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Jan Niklas Lehmann stürzt sich derweil privat in Unkosten. Was in
Onlineberichten positiv bewertet wird, probiert er aus:
Nahrungsergänzungsmittel, Sauerstofftherapie, Blutwäsche. Dafür muss er
selbst zahlen, denn es ist bisher nicht durch Studien belegt, dass etwas
davon gegen Long Covid hilft, und so übernimmt seine Krankenkasse nichts.
Was Lehmann macht, zählt lediglich zur Kategorie „individuelle
Heilversuche“, viele Tausend Euro hat er schon dafür ausgegeben. Geholfen
hat ihm bislang nichts.
Bei der sogenannten Blutwäsche hat er erst ein paar Sitzungen hinter sich.
Grob erklärt, entnimmt ihm dabei eine Maschine Blut, filtert es und leitet
es zurück in seinen Körper. Die Theorie: Was Long Covid auslöst, befindet
sich im Blut und wird beim Filtern herausgelöst. Aber auch bei der
Blutwäsche gilt: Belegt ist ihre Wirkung nicht und entsprechend zahlt
Lehmann mehr als tausend Euro pro Sitzung.
## Hoffen auf das Herzmedikament
Andere Patient*innen kritisieren die Therapieversuche als bloße
Geldmacherei. Zudem fehle es bei Sauerstofftherapie und Blutwäsche an
Evidenz, und sie seien nicht risikofrei. Darum sei es gut, wenn
Mediziner*innen nicht dazu raten. Bettina Hohberger kann das
nachvollziehen: „Wenn man Patienten als Arzt Behandlungsratschläge gibt,
muss das aufgrund klarer wissenschaftlicher Fakten beruhen.“ Sie ist selbst
Ärztin und forscht in Erlangen am Herzmedikament BC 007, das bereits in
vier einzelnen Fällen Long Covid heilen konnte. Derzeit führt Hohberger
[12][die erste klinische Studie] unter dem Titel „reCOVer“ durch.
BC 007 ist die große Hoffnung vieler Long-Covid-Patient*innen. Die Idee
dahinter lautet: Eine fehlgeleitete Immunantwort mit Autoantikörpern führt
zu einer Durchblutungsstörung. Dagegen soll eine BC-007-Infusion helfen –
aber noch ist auch das nicht klinisch belegt. Als die reCOVer-Studie
bekannt wurde, bewarben sich Tausende Betroffene als Proband*innen, erzählt
Hohberger, auch aus Großbritannien oder den USA. Alle können nicht
teilnehmen, sie kämen nicht mal hinterher, allen zu antworten.
Aber Hohberger will keine unrealistischen Erwartungen wecken: „Ich bin mir
sicher, dass wenn sich BC 007 in den klinischen Studien durchsetzt,
sicherlich nicht alle Long-Covid-Patienten von BC 007 profitieren werden“,
sagt sie in deutlichem Ton. Warum? Weil aktuelle Forschungsergebnisse
darauf hindeuten, dass es unterschiedliche Untergruppen von Long Covid
gibt.
Um die Ursachen besser zu verstehen, gibt es in Erlangen noch eine zweite
Studie [13][mit dem Titel „disCOVer“]. Der Forschungsansatz geht von drei
Ursachengruppen bei Betroffenen aus: Die erste leidet darunter, dass nach
der akuten Infektion der Virus in geringen Mengen im Körper verblieben ist
und weiterhin Beschwerden auslöst. Die zweite leidet unter konkreten
Organschäden, verursacht durch die akute Corona-Erkrankung. Bei dieser
Gruppe seien Rehamaßnahmen bereits effektiv. Und bei der dritten Gruppe
wären die eben erwähnten Autoantikörper ursächlich für die
Long-Covid-Symptome. Nur dieser Gruppe würde BC 007 theoretisch helfen.
## 78 Wochen Krankengeld
Ob die Einteilung so zutrifft und wie groß die einzelnen Gruppen sind, ist
noch nicht klar. „Wenn das disCOVer-Projekt beendet ist, können wir mehr
darüber sagen“, sagt Hohberger. Forschung braucht eben Zeit und Geld. Zwar
erhält reCOVer etwa 1,5 Millionen von den 6,5 Millionen Euro, die das
Bundesforschungsministerium 2021 bereitstellte, und wird disCOVer in
gleicher Höhe vom Freistaat Bayern finanziert, aber Hohberger schätzt, das
reiche nicht für die Lösung.
Für viele Betroffene wirkt sich die [14][schlechte Studienlage auch
finanziell aus]. Wie andere Erkrankte, bekommen
Long-Covid-Patient*innen maximal 78 Wochen Krankengeld. Krankengeld,
das bedeutet: 70 Prozent des letzten Bruttogehalts, maximal aber 90 Prozent
des letzten Nettogehalts.
Das federt die Verluste ab, die entstehen, wenn sie nicht arbeiten können.
Aber von einer Rückkehr zum Vollzeitjob sind viele auch nach 78 Wochen noch
weit entfernt. Trotzdem werden sie dann von ihrer Krankenkasse
„ausgesteuert“ und müssen entweder eine Erwerbsminderungsrente beantragen
oder auf Arbeitslosengeld zurückgreifen. Und das, wo in Zeiten der
Inflation die Lebensmittel- und Energiepreise preise steigen und viele
Branchen dringend nach Arbeitskräften suchen.
Dabei könnten einige Long-Covid-Patient*innen arbeiten, wenn auch
eingeschränkt, sagt Chefärztin Jördis Frommhold. Sie prognostiziert: „Wir
werden unsere gesamtgesellschaftlichen Ansichten, was Arbeitszeitmodelle,
was flexible Arbeitszeiten angeht, überdenken müssen.“ Homeoffice sei eine
Idee. Durch wegfallende Arbeitswege sparen sich die
Long-Covid-Patient*innen einige Energie. Eine andere Idee sei eben
Teilzeit.
## Arbeitgeberin mit Verständnis
Das versucht mittlerweile auch die Kunsttherapeutin Christiane Wirtz. In
ihren alten Beruf an der Schule habe sie nicht wieder einsteigen können.
Die Belastung sei zu hoch gewesen. Aber nach einiger Zeit fand sie eine
Arbeitgeberin, die Verständnis für ihre Situation gezeigt habe. „Ich habe
ihr alles offen erzählt und sie kannte privat wen mit Long Covid“,
berichtet Wirtz. „Ich denke, das macht etwas aus.“
Seit Februar arbeitet sie wieder 30 Stunden in der Woche als
Kunsttherapeutin gemeinsam mit chronisch psychisch kranken Menschen. Doch
im Juni hat Christiane Wirtz sich erneut mit Corona infiziert, und wurde
wegen des hohen Fiebers, ihrer Herz- und Lungenprobleme ins Krankenhaus auf
die Covid-Station eingeliefert. Nach einer Woche ging sie aber wieder nach
Hause, war auch dann zunächst krankgeschrieben, fühlte sich aber nicht wohl
dabei. Sie wollte schnell wieder zurück in den Job.
„Aber was, wenn es dann wieder schlimmer wird?“, fragt Christiane Wirtz
besorgt. Bei der Arbeit mit Menschen könne sie nicht einfach sagen: „Ich
mach jetzt Pause.“ Doch aufgeben will sie auf keinen Fall.
Auch Jan Niklas Lehmann möchte wieder arbeiten. Allerdings sei Teilzeit
nicht überall möglich, gibt er zu bedenken, es komme auf die Branche an.
Zudem bedeutet weniger Arbeit auch weniger Geld. Bei 20 Stunden in der
Woche müsste Lehmann sein Leben komplett umkrempeln, seine Wohnung in
Berlin-Friedrichshain könnte er sich langfristig nicht mehr leisten.
„Trotzdem bin ich froh, wenn ich erst mal wieder ein paar Stunden arbeiten
kann“, sagt er. Aber dafür reicht seine Energie noch lange nicht.
7 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.thelancet.com/journals/lanres/article/PIIS2213-2600(22)00135-7/…
[2] /Bekaempfung-der-Coronapandemie/!5851966
[3] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35447302/
[4] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)00941-2/…
[5] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2022.01.05.22268800v2
[6] https://www.nature.com/articles/s41591-022-01909-w
[7] https://www.thelancet.com/journals/eclinm/article/PIIS2589-5370(21)00299-6/…
[8] /TK-Gesundheitsreport-2022/!5866090
[9] https://naniblog.de/trauermuecke/
[10] https://www.instagram.com/trauer_muecke/
[11] /Petition-zum-Fatigue-Syndrom/!5835731
[12] https://www.augenklinik.uk-erlangen.de/forschung/ag-long-covid-me/cfs/reco…
[13] https://www.augenklinik.uk-erlangen.de/forschung/ag-long-covid-me/cfs/disc…
[14] /Experte-ueber-Long-Covid/!5861283
## AUTOREN
David Muschenich
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