# taz.de -- Wahlkampf in Niedersachsen: Kliniken vor Amputation | |
> Gerade erst schien Niedersachsen im Gesundheitssektor kleine Fortschritte | |
> zu machen. Doch bald wird es wohl um Standortschließungen gehen. | |
Bild: Die Wut ist groß: Protest von Krankenhaus-Personal in Hannover | |
HANNOVER taz | [1][An den Kliniken brennt es.] In verschiedenen | |
Bundesländern hat das Bündnis „Alarmstufe Rot – Krankenhäuser in Gefahr�… | |
Protesten aufgerufen – jede Woche versammeln sich regionale | |
Klinikmitarbeiter und Krankenhausfunktionäre an einem anderen Ort und | |
demonstrieren. | |
In Hannover standen sie in der vergangenen Woche vor der Marktkirche – | |
gezielt abgepasst zur letzten Sitzung des Landtages in dieser | |
Legislaturperiode. Die Krankenhäuser fordern einen Inflationsausgleich und | |
einen Rettungsschirm, weil sie die aktuellen Energiepreissteigerungen aus | |
ihren kompliziert und mit langem Vorlauf ausgehandelten Budgets nicht | |
abdecken können. | |
In Niedersachsen hatten Gesundheitsministerin Daniela Behrens und | |
Energieminister Olaf Lies (beide SPD) schon Ende August zum Krisengipfel | |
gerufen und den [2][Krankenhäusern Unterstützung zugesagt.] Viel passiert | |
ist seitdem allerdings nicht, weil alle darauf warten, was dazu in Berlin | |
zwischen Bund und Ländern ausgehandelt wird. | |
Aber für den Bund ist dies eben nicht die einzige Baustelle, auch die | |
niedergelassenen Ärzte gehen auf die Barrikaden, gerade erst haben die | |
Hamburger Kassenärzte einen Protest in der kommenden Woche angekündigt. Sie | |
befürchten hinten runterzufallen. Vor allem die Streichung der | |
Neupatientenregelung (mit der neue Patienten außerhalb des Budgets | |
abgerechnet werden dürfen) hatte hier für Aufregung gesorgt. | |
## Bundes- statt Landespolitik | |
So überlagert auch in diesem Themenfeld die Bundespolitik mal wieder die | |
Landespolitik, die im niedersächsischen Wahlkampf ja eigentlich die | |
Hauptrolle spielen sollte. Da hatte es zuletzt tatsächlich so etwas wie | |
Bewegung in diesem festgefahrenen Gesundheitssektor gegeben: Mehr | |
Medizinstudienplätze zum Beispiel, vor allem für Landärzte und höhere | |
Investitionen. | |
Nun droht die aktuelle Lage aber selbst die kleinen Erfolge zu | |
verschlingen, weil zum Beispiel die 150 Millionen Euro, um die man die | |
Krankenhausinvestitionen in diesem Sommer aufgestockt hatte, von den | |
davongaloppierenden Baukosten aufgefressen werden. Auch bei den | |
Prestigeprojekten, wie etwa den Neubauten für die Uni-Kliniken in | |
Göttingen, Hannover und Oldenburg und den Klinik-Großprojekte in | |
Georgsheil, im Heidekreis und im Landkreis Diepholz mit einem Volumen von | |
bisher 1,4 Milliarden Euro, knirscht es. | |
Dabei hat Niedersachsen gerade noch ein Krankenhausgesetz verabschiedet, | |
das von Experten als durchaus ambitioniert und wegweisend beschrieben wird. | |
Zwei Jahre lang hatte eine Enquetekommission mit Fachleuten aus dem | |
Gesundheitswesen darüber gebrütet, wie die ärztliche Versorgung vor allem | |
in strukturschwachen, ländlichen Gebieten gesichert werden könnte. Das | |
daraus entstandene Krankenhausgesetz wurde kurz vor der Sommerpause mit den | |
Stimmen von SPD, CDU und Grünen im Parlament verabschiedet. | |
## Drei verschiedene Versorgungsstufen | |
Mit dem Gesetz werden Krankenhäuser künftig in drei verschiedene | |
Versorgungsstufen eingeteilt: Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung, | |
Schwerpunktkrankenhäuser mit Fachabteilungen (zu denen allerdings auch die | |
Geburtshilfe zählen soll) und Maximalversorger wie Universitätskliniken. | |
Das Land wird in acht Versorgungsregionen unterteilt, die jeweils einen | |
Maximalversorger haben sollen. Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung | |
müssen in 30 Minuten, Schwerpunkthäuser in 45 Minuten erreichbar sein. | |
Das Gesetz zielt darauf, dem Wildwuchs von „Alle machen irgendwie alles“ | |
entgegen zu wirken, nimmt die Krankenhäuser aber auch sonst stärker an die | |
Kandare: Vorgeschrieben werden etwa die Ernennung von Demenzbeauftragten | |
und die Teilnahme am Ivena-System, mit dem Notfälle sinnvoll auf die | |
Kliniken verteilt werden. Bei letzterem hatte es immer wieder Ärger | |
gegeben, weil sich einzelne Kliniken – vor allem privater Betreiber – | |
daraus abgemeldet hatten, obwohl sie im Krankenhausplan als | |
Notfallversorger vorgesehen sind. | |
Für Krankenhäuser, die den Anforderungen des Gesetzes auf die Dauer nicht | |
gewachsen sind, soll es einen Ausweg geben. Die neuen sogenannten | |
„Regionalen Gesundheitszentren“ sollen vor allem im ländlichen Raum mehrere | |
Hausärzte und Fachärzte, aber auch beispielsweise Physiotherapeuten und | |
Pflegedienste zusammenschließen, die dann auch Betten für kleinere | |
Operationen, Notfälle oder zu überwachende Patienten hätten. Damit soll | |
eine wohnortnahe Grundversorgung gesichert werden, während gleichzeitig der | |
ambulante und stationäre Sektor besser verzahnt wird. | |
Das ist eine Forderung, die sowohl Ärzteverbände als auch Patientenschützer | |
schon lange erheben. Damit könnte zum Beispiel vielen älteren Patienten | |
geholfen werden, für die Liegezeiten im Krankenhaus oft zu kurz bemessen | |
sind, die aber auch nicht einfach so nach Hause entlassen werden können, | |
weil eine angemessene pflegerische Versorgung so schnell oft nicht | |
sicherzustellen ist. | |
## Schließungen stehen bevor | |
Während diese Grundprinzipien auf verblüffend breite Zustimmung stoßen, | |
setzt anderswo schon das bange Warten ein. Von den 168 Krankenhäusern in | |
Niedersachsen könnten in den kommenden zehn Jahren 30 bis 40 schließen, | |
hieß es aus der Enquetekommission. Proteste wird es erst geben, wenn klar | |
ist, wen das trifft. Die genaue Definition der unterschiedlichen | |
Versorgungsstufen und die Zuordnung der bestehenden Krankenhäuser dazu | |
erfolgt über Erlasse, die derzeit im Gesundheitsministerium erarbeitet | |
werden. | |
Dafür gerade stehen muss dann die neue Gesundheitsministerin, die aber | |
vielleicht auch die alte bleibt. Die aktuelle Amtsinhaberin Daniela Behrens | |
(SPD) hat jedenfalls durchblicken lassen, dass sie weder diese noch andere | |
Herausforderungen scheut. | |
3 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Kostensteigerungen-durch-Inflation/!5880090 | |
[2] /Suchtabteilung-im-Klinikum-Emden/!5872051 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
## TAGS | |
Landtagswahl in Niedersachsen | |
Niedersachsen | |
Gesundheitspolitik | |
Medizin | |
Krankenhäuser | |
Hamburg | |
Frauenkörper | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kostensteigerungen durch Inflation: Kliniken fürchten Versorgungslücken | |
Hamburger Kliniken wollen einen Inflationszuschlag, um ihre Kosten decken | |
zu können. Hilfe fordern auch Häuser in Niedersachsen und | |
Schleswig-Holstein. | |
Abtreibungen in Bremen: Ungewollt Schwangere ohne Hilfe | |
In Bremen muss das Medizinische Zentrum bald erneut wegen Ärztemangels | |
schließen. Pro Woche erhalten 30 bis 50 Frauen keinen | |
Schwangerschaftsabbruch. | |
Leben mit Long Covid: Erschöpft und frustriert | |
Wer Long Covid hat, kämpft gegen eine kaum erforschte Krankheit. Betroffene | |
fühlen sich oft nicht ernst genommen – auch von Ärzt*innen. |