# taz.de -- Abtreibungen in Bremen: Ungewollt Schwangere ohne Hilfe | |
> In Bremen muss das Medizinische Zentrum bald erneut wegen Ärztemangels | |
> schließen. Pro Woche erhalten 30 bis 50 Frauen keinen | |
> Schwangerschaftsabbruch. | |
Bild: In Bremen ist dieser Teil der Gesundheitsversorgung prekär: Schwangersch… | |
BREMEN taz | Verzweifelt und wütend seien die beiden Frauen gewesen, | |
erzählt am Donnerstag Lea Pawlik, die Geschäftsführerin des Bremer | |
Landesverbands von „pro familia“ am Telefon, sie ist hörbar aufgewühlt. D… | |
zwei Ukrainerinnen hätten am Vortag einen Arzt oder eine Ärztin sprechen | |
wollen, der oder die [1][einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen] kann. | |
Doch an dem Tag sei nur ein Arzt da gewesen, der eine Sterilisation bei | |
Männern machte, sagt Pawlik, und die wenigen Termine für Abtreibungen, die | |
sie in ihrem medizinischen Zentrum in Schwachhausen derzeit anbieten | |
können, seien Wochen im Voraus ausgebucht. „Sie haben uns angeschrien und | |
sind ins Haus eingedrungen“, sagt Pawlik. Am Ende habe sie die Polizei | |
rufen müssen. Sonst würden sie „nur“ am Telefon beschimpft. „Das haben … | |
seit einigen Wochen täglich.“ | |
Pawlik führt den Landesverband seit einem Jahr und ist seitdem wie ihre | |
Vorgängerin mit fast nichts anderem beschäftigt als der Suche nach Ärzten | |
und Ärztinnen, die tageweise Schwangerschaftsabbrüche bis zur 14. Woche | |
durchführen. | |
Seit Jahren spitzt sich die Personalnot immer mehr zu, muss das Angebot | |
eingeschränkt werden. Im August schloss das medizinische Zentrum sogar für | |
zwei Wochen, eine weitere Woche konnten nur Abbrüche an einem Tag | |
durchgeführt werden. Im Oktober, so kündigt Pawlik an, wird das Zentrum | |
wieder für ein oder zwei Wochen schließen. | |
30 bis 50 Frauen pro Woche bleiben dann unversorgt in Bremen, so wie im | |
August. Da kam erschwerend hinzu, dass die kommunalen Kliniken wegen | |
Personalmangels keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchführten. Es gibt | |
nur wenige niedergelassene Bremer Gynäkolog:innen, die Abtreibungen machen, | |
in der Regel nur bei eigenen Patient:innen. | |
„Wir haben den Frauen Adressen in Hamburg, Oldenburg und Verden gegeben“, | |
sagt Pawlik, die daraufhin den Praxen und Kliniken erklären musste, warum | |
so viele bei ihnen anriefen. Denn in Großstädten gibt es – zumindest in | |
Norddeutschland – meistens noch genug Praxen, die wenigstens einen | |
medikamentösen Schwangerschaftsabbruch anbieten, so wie in Hamburg und | |
Hannover. | |
## 150 Kilometer bis zur nächsten Praxis | |
In Bremen ist das anders, weil es [2][seit 1979 das medizinische Zentrum | |
von „pro familia“] gibt, eine Tagesklinik für ambulante Operationen. Im | |
Durchschnitt finden hier 85 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche im Land | |
Bremen statt. Etwa die Hälfte der Frauen kommt aus Niedersachsen, wo es | |
Landkreise gibt, in denen es im Umkreis von bis zu 150 Kilometern keine | |
Praxis oder Klinik gibt, die Schwangeren in diesen Fällen hilft. | |
Das ist ein Problem, das ganz Deutschland betrifft. Vor allem in katholisch | |
geprägten Regionen war das immer schon so. In anderen [3][wie in Bremen | |
gehen Ärzt:innen in Rente], die Schwangerschaftsabbrüche als Teil ihres | |
Berufs verstanden haben, ihre Nachfolger:innen hingegen verweigern | |
diese medizinische Leistung. Möglich ist dies, weil es in Deutschland das | |
Schwangerschaftskonfliktgesetz gibt, in dem fest gelegt ist, dass niemand | |
zur Teilnahme an einem Abbruch gezwungen werden kann. | |
Zur Bremer „pro familia“ kommen auch deshalb viele Personen, weil der | |
Eingriff hier auch in lokaler Narkose durchgeführt wird und sie bis zur 14. | |
Schwangerschaftswoche behandelt werden. Vielen andere Praxen und Kliniken | |
machen dies nur bis zur neunten oder zehnten Woche. | |
Dabei wird bis zur 14. Woche nach der letzten Menstruation eine Abtreibung | |
nicht strafrechtlich verfolgt. Vorausgesetzt, es gab vorher ein | |
Beratungsgespräch und eine dreitägige Bedenkfrist. Nach Ablauf der Frist | |
entscheiden Ärzt:innen, ob ein Austragen der Schwangerschaft nach ihrer | |
Ansicht zumutbar ist. Eine Chance auf einen Abbruch haben Frauen fast nur | |
dann, wenn eine Behinderung des Fötus diagnostiziert wird. Dabei steht im | |
Gesetz ausdrücklich, dass es um den körperlichen oder seelischen Zustand | |
der Frau geht, der ausschlaggebend sein soll. | |
In Bremen und Niedersachsen wird es jetzt einige geben, deren | |
Schwangerschaft zu weit fortgeschritten ist, um legal und sicher | |
abgebrochen zu werden. Wer es sich leisten kann, fährt nach Holland, [4][wo | |
nach taz-Recherchen jede dritte bis vierte Schwangere] mit Wohnsitz | |
Deutschland im zweiten Trimenon die Schwangerschaft abbrechen lässt. Sie | |
müssen die Kosten selbst tragen. | |
In Holland ist der Eingriff bis zur 24. Schwangerschaftswoche in | |
spezialisierten Tageskliniken möglich. „Es kommen jetzt immer mehr Frauen | |
aus Deutschland schon im ersten Schwangerschaftsdrittel zu uns, weil ihnen | |
niemand hilft“, erzählt Gabie Raven am Telefon. | |
Die Ärztin leitet eine solche Klinik mit Standorten in Rotterdam und | |
Roermond, die auch zu Verhütung und Wechseljahren berät. Roermond liegt | |
nahe der deutschen Grenze zu Mönchengladbach. „Erst gestern hatte ich zwei | |
Frauen hier, die in Deutschland niemand gefunden haben oder deren Termine | |
so lange verschoben wurden, bis sie über die 14-Wochen-Frist waren.“ | |
## Bremen setzt mehr auf medikamentöse Abbrüche | |
Lösen kann ein Bundesland wie Bremen das Problem nicht. „Das Gesetz bindet | |
uns die Hände“, sagt Diana Schlee, Sprecherin der Bremer | |
Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard von der Linken. Denn der Paragraf 218 | |
im Strafgesetzbuch [5][nimmt dem Staat jegliche Einflussmöglichkeit.] Eine | |
Straftat darf nicht gefördert werden, sie ist keine Kassenleistung, | |
weswegen Kliniken nicht verpflichtet werden können, die Versorgung | |
sicherzustellen. | |
„Das einzige, was wir machen können, sind Gespräche mit Ärzten und | |
Ärztinnen zu führen, um sie zu überzeugen, die Leistung anzubieten“, sagt | |
Schlee. In Kooperation mit der Bremer Ärztekammer gab es am Samstag eine | |
Fortbildung zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch, 19 Ärzt:innen, | |
darunter auch Hausärzt:innen, hatten sich angemeldet. In Bremen wird | |
diese Methode, die im Vergleich zum chirurgischen Abbruch relativ leicht | |
durchzuführen ist, nur in einem Fünftel der Eingriffe angewendet, im | |
Bundesdurchschnitt sind es ein Drittel, in Berlin sogar die Hälfte. | |
Allerdings ist der medikamentöse Abbruch in Deutschland nur bis zur 9. | |
Schwangerschaftswoche möglich. Und die meisten Ärzt:innen würden das wie | |
„pro familia“ nur machen, wenn die Frau ausreichend Deutsch versteht, sagt | |
Landesgeschäftsführerin Lea Pawlik. Denn die Frau müsse wissen, was | |
passiert, wenn zu Hause die Blutungen einsetzen. | |
Pawlik überlegt, an der Eingangstür ein Schild aufzuhängen, das einerseits | |
den Ärzt:innenmangel erklärt und andererseits, das „pro familia“ eine | |
private Organisation sei. „Viele denken, wir machen das im Auftrag des | |
Landes oder sind gar eine staatliche Einrichtung, aber wir schließen ja nur | |
eine Lücke, die der Staat mit dem Paragrafen 218 geschaffen hat.“ Gewinne | |
erwirtschafte man so nicht, im Gegenteil. „Wir machen das nur für die | |
Frauen. Aber wie lange noch, das kann ich nicht sagen“, meint Pawlik. | |
4 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Frauenrechte-in-Deutschland/!5866465 | |
[2] /Pro-Familia-Zentrum-in-Bremen/!5642194 | |
[3] /Diskussion-um-Paragraf-218/!5565165 | |
[4] /Spaetabtreibungen-in-Deutschland/!5681768 | |
[5] /Paragraf-218-verhindert-Loesungen/!5777253 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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