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# taz.de -- Frauenrechte in Deutschland: Nicht ob, sondern wie
> Frauen brechen ungewollte Schwangerschaften ab, legal oder illegal.
> Zentral ist die Frage, wie das für alle Beteiligten am schonendsten
> ablaufen kann.
Bild: Paragraf 218: Zwangsberatung und Bedenkfrist verzögern Abläufe
Ob in Deutschland ein „Kulturkampf“ drohe, weil Grüne und SPD
[1][Abtreibungen legalisieren wollen], fragte jüngst Die Zeit und stieg mit
einer Doppelseite in den Ring – gegen das Vorhaben. [2][Eine
US-amerikanische Juristin verbrämte das im Interview] gar als
feministisches Anliegen: Politiker:innen seien gezwungen,
frauenfreundliche Gesetze zu erlassen, wenn Abtreibungen unmöglich sind.
In einem zweiten Text ging es um den deutschen Paragrafen 218, der
Schwangerschaftsabbrüche als Tötungsdelikte unter Strafe stellt. Das sei
[3][ein „gutmütig-fauler Kompromiss“], schreibt die Autorin. Weil das
Gesetz Ausnahmen erlaube. Wer die Schwangerschaft innerhalb der ersten
zwölf Wochen nach Pflichtberatung und dreitägiger Bedenkzeit abbrechen
lässt, wird nicht bestraft. Das führe dazu, glaubt sie, „dass eine Frau in
den ersten drei Monaten mit dem Fötus machen kann, was sie will“.
Falsch, denn sie darf sich keine Kleiderbügel einführen; die
Schwangerschaft muss von einem Arzt oder einer Ärztin abgebrochen werden.
Aber ja, jede Person darf eine Schwangerschaft austragen – egal, wie
Lebensumstände und charakterliche Eignung sind.
Die Wochenzeitung, die sich gerne als Stimme der vernünftigen Mitte
geriert, sortiert sich damit zwischen CDU, FDP und AfD ein, die der Linken,
Grünen und SPD vorwerfen, kaltherzig Föten auf dem Altar der Emanzipation
zu opfern. Das können Konservative, weil in Deutschland stets die Frage
gestellt wird, ob Frauen Schwangerschaften abbrechen dürfen. „Nein! Weil
Babys sterben!“, jammern die einen, „Doch! Weil Frauen keine Gebärmaschinen
sind!“, schreien die anderen.
Dabei gerät aus dem Blick, dass nach dem wie gefragt werden müsste. Denn
selbst wenn sie Strafen befürchten oder weit reisen müssen: Menschen mit
Uterus brechen Schwangerschaften ab. Das zeigt die deutsche Geschichte, das
zeigen Ländervergleiche. Auch der Paragraf 218 hat daran nichts geändert,
obwohl das Auftrag des Bundesverfassungsgerichts war. [4][Das hatte 1993
einen „Schutzauftrag“ des Staates erkannt]. Der Gesetzgeber soll
überprüfen, ob das Gesetz ihn erfüllt. Getan hat er das nie.
## Trennungen sind häufiger Grund
Es gibt nur die Zahlen des statistischen Bundesamts. Danach brachen 1996
0,66 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter eine Schwangerschaft ab,
2021 waren es fast genau so viele: 0,56 Prozent. In diesem Zeitraum hat
sich Jugendstudien zufolge unter anderem das Verhütungsverhalten
verbessert. Weil es vor 1996 keine Statistik gab, lässt sich nicht prüfen,
ob der Anteil davor signifikant höher war.
Die Lieblingsthese derjenigen, die Abtreibungen erschweren wollen, ist,
dass Frauen die Kinder bekommen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. [5][So
argumentierte Die Zeit im März 2018], als sie davor warnte, [6][Paragraf
218] zu kippen: „Wer Schwangeren helfen will, muss etwas für Hebammen tun,
bessere Betreuungsmöglichkeiten schaffen und Alleinerziehende
unterstützen.“ Ähnliches sagten Redner:innen im Bundestag, als sie 1995
das gültige Abtreibungsrecht beschlossen.
Nun hat sich seitdem einiges getan. So gibt es einen Rechtsanspruch auf
Kindertagesbetreuung. Und fast genau so viele Abbrüche. Wie individuell die
Gründe sind, nicht jede Schwangerschaft auszutragen, zeigen Studien. Den
größten Einfluss haben, nach [7][einer Untersuchung] an der Universität
Bremen, Trennungen.
Die Frage kann daher nur lauten: Wie können Schwangerschaften so
abgebrochen werden, dass alle Beteiligten am wenigsten leiden? Erste
Antwort: So früh wie möglich. Weil dann das Komplikationsrisiko am
niedrigsten ist und weil ein fünf Millimeter großer Embryo in der siebten
Woche etwas anderes ist als ein fünf Zentimeter großer Fötus in der 12.
Woche mit Armen und Beinen. Kein „Kind“ – aber auch kein „Zellklumpen�…
Zweite Antwort: Möglichst oft [8][medikamentös].
## Je früher desto besser
Das ist schonender für Frau, Ärztin und womöglich auch für den Fötus. Ob er
dabei stirbt oder nie leben wird wie tausende Frühgeburten, ist eine
metaphysische Diskussion, die juristisch und sachpolitisch ins Nichts
führt. Wichtiger sind die Fakten: Medikamentöse Abbrüche liegen in
Deutschland mit einem Anteil von 31,5 Prozent deutlich unter dem anderer
europäischer Länder.
Abbrüche vor der 12. Woche fanden 2021 im Durchschnitt zwar etwas früher
statt als 2010, aber das gilt nicht für alle Bundesländer, und wie es in
den Landkreisen aussieht, aus denen Frauen 100 Kilometer und mehr reisen
müssen, ist unbekannt. Und: Die späten Abbrüche nach der 12. Woche nehmen
stetig zu.
Zwangsberatung und Bedenkfrist verzögern Abläufe. Zudem tragen die
restriktiven Gesetze dazu bei, dass [9][immer weniger Kliniken und Praxen]
Schwangerschaftsabbrüche anbieten, was zu Wartezeiten führt. Belegt sei das
nicht, schreibt Die Zeit. Stimmt. Aber dass jemand eine medizinische
Leistung, die als Straftat geächtet wird, gerne anbietet, darf bezweifelt
werden. Die Krönung dieses weltweit einmaligen Gesetzes: Es schließt
Einflussmöglichkeiten des Staates auf Versorgungsstrukturen aus.
Die Sorge, dass Frauen überstürzt handeln, wenn man ihnen keine Steine in
den Weg legt, ist übrigens unbegründet. Auch das haben Befragungen gezeigt.
Vielleicht könnten sie sogar früher und besser eine Entscheidung für oder
gegen einen Schwangerschaft treffen, wenn sie Abtreibung als normalen,
manchmal traurigen Vorgang erleben würden. Und nicht als dramatische
Ausnahmesituation, aus der sie mit blauem Auge davonkommen, wie es das
Gesetz und der Diskurs darüber suggerieren.
Dass Konservative es geschafft haben, letzteren über Jahrzehnte zu
bestimmen, haben sich auch die Befürworter:innen eines liberalen
Abtreibungsrechts zuzuschreiben. Sie hatten zu lange gehofft, „Mein Bauch
gehört mir“, sei Argument genug. Wenn sie aufhören, sich am Kampf um
Frauen- versus Fötusrechte zu beteiligen, können sie gewinnen.
18 Jul 2022
## LINKS
[1] /Selbstbestimmt-leben/!5859268
[2] https://www.zeit.de/2022/27/schwangerschaftsabbruch-usa-supreme-court-femin…
[3] https://www.zeit.de/2022/27/deutschland-schwangerschaftsabbruch-spd-gruenen…
[4] /Abtreibungsgesetze-in-Deutschland/!5693086
[5] https://www.zeit.de/2018/13/schwangerschaftsabbruch-werbung-paragraf-219a-k…
[6] /Selbstbestimmt-leben/!5859268
[7] /Studie-zu-Schwangerschaftsabbruechen/!5816493
[8] /Britische-Aerztin-ueber-Abtreibungen/!5760130
[9] /Abtreibung-in-Deutschland/!5386152
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Paragraf 218
Schwerpunkt Abtreibung
Schwerpunkt Paragraf 219a
Frauenrechte
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Frauenkörper
Menstruation
Kristina Hänel
Paragraf 218
Schwerpunkt Abtreibung
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