# taz.de -- Datenschutz bei Menstruationsapps: Auf den Spuren des Zyklus | |
> Millionen Menschen nutzen Period-Tracking-Apps. Doch gerade in den USA | |
> können sie nun für die Nutzer:innen gefährlich werden. | |
Bild: Die Apps sind mehr als ein Kalender, sie erinnern auch andie Pille oder a… | |
Gibt man das Wort „Menstruation“ in das Suchfeld eines beliebigen | |
App-Stores ein, strahlen einem rosa Herzchen, Blümchen und Störche | |
entgegen. Die bunten Apps, Menstruations-App oder auch Zyklus-Tracker | |
genannt, sollen zeigen: Sie sind mehr als nur ein Kalender. Sie sagen die | |
nächste Periode voraus, erinnern – wenn nötig – an die Pille oder daran, | |
ausreichend Wasser zu trinken. Die allermeisten bieten zusätzlich Foren an, | |
um sich zum Thema Kinderwunsch, Schwangerschaft, Verhütung oder | |
Elternschaft auszutauschen. | |
Der Hauptaspekt der unterschiedlichen Apps ist jedoch: Die Periode wird in | |
einem digitalen Kalender festgehalten und kann somit über einen langen | |
Zeitraum hinweg beobachtet werden. Die Nutzerinnen sollen so also | |
überprüfen können, wie regelmäßig ihre Menstruation stattfindet. Zusätzli… | |
versorgen manche Apps Nutzer:innen mit Tabellen sowie Statistiken und | |
berechnen den Beginn des nächsten Zyklus. Auch fordern die allermeisten | |
einen dazu auf, täglich seine Laune festzuhalten. Später wird man über | |
mögliche „Muster“ in der persönlichen Stimmung informiert. | |
Genutzt werden diese Apps enorm. Doch genaue Zahlen lassen sich kaum | |
finden. Auf die sehr ungenauen Angaben der App-Stores von Apple und Google | |
will man sich kaum berufen. Außerdem lässt sich so auch keine aktive | |
Nutzung nachweisen. Teilweise veröffentlichen die Unternehmen jeweils ihre | |
Zahlen. Schätzungen zufolge nutzen weltweit rund 100 Millionen Menschen | |
Period-Tracking-Apps. | |
Schon seit die unterschiedlichen Apps auf dem Markt sind, stehen sie in der | |
Kritik, wenn es um das Thema Datenschutz geht. Denn die Information, was | |
mit all den eingegebenen Daten passiert, muss man in den meisten | |
App-Beschreibungen länger suchen. Im Jahr [1][2018 untersuchte die | |
britische Organisation Privacy International] verschiedene Apps und fand | |
heraus, dass 21 von 36 App-Anbietern ihre Daten automatisch an Facebook | |
sendeten, wenn die Apps geöffnet wurden. Neben der Nutzungszeit schickten | |
sie auch Details der Eingaben und persönliche Notizen aus der App an | |
Facebook weiter. Im vergangenen Jahr offenbarte ein Bericht des Wall Street | |
Journal, dass [2][die Perioden-App Flo von 2016 bis 2019] Daten | |
beispielsweise über die Schwangerschaft von Nutzer:innen mit fremden | |
Firmen teilte, obwohl in den Nutzungsbedingungen den Nutzer:innen genau | |
das Gegenteil versichert wurde. | |
## Das Geschäft boomt | |
Daraufhin zeigte die amerikanische Konsumentenschutzbehörde FTC das | |
Unternehmen an. Ein gerichtlicher Vergleich verpflichtet die App nun, | |
besser über den Umgang mit Nutzerdaten zu informieren. Was auch immer das | |
konkret heißen mag. Auch bei all den Recherchen und Enthüllungen hat sich | |
bisher nicht viel getan. Das potenzielle Geld ist auch sehr verlockend. | |
Schon 2018 prognostizierten Analysten des Guardian, in dem boomenden | |
Geschäft der persönlichen Daten der Nutzer:innen steckten bis zum Jahr | |
2025 mindestens 50 Milliarden Dollar. | |
Nun kommt mit dem gekippten Recht auf Schwangerschaftsabbruch eine neue | |
Sorge hinzu. Denn anders als in der EU ist das grenzenlose Datensammeln und | |
Zusammenführen in den USA nicht verboten und wird auch nicht überwacht. Und | |
damit könnten die Daten eben auch Behörden und Abtreibungsgegnern in die | |
Hände gespielt werden. In den USA gibt es kein grundsätzliches Recht mehr | |
auf einen Schwangerschaftsabbruch. Das hat der [3][Supreme Court am 24. | |
Juni entschiede]n und damit eine Entscheidung aus dem Jahr 1973 für | |
ungültig erklärt. | |
Etwa die Hälfe der fünfzig Bundesstaaten in den USA hat oder will zukünftig | |
Schwangerschaftsabbruch bis auf wenige Ausnahmefälle verbieten oder | |
zumindest massiv einschränken. Wer sie weiterhin durchführt oder dabei | |
hilft, macht sich strafbar. Damit sind die Apps nicht mehr nur für | |
Werbetreibende interessant, sondern möglicherweise eben auch für Behörden | |
und die Polizei, um einen Schwangerschaftsabbruch nachzuweisen und die | |
Beteiligten strafrechtlich zu verfolgen. Die IT-Sicherheitsexpertin Eva | |
Galperin von der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation | |
(EFF) bringt es auf Twitter auf den Punkt: „Der Unterschied zum letzten | |
Mal, als Abtreibung in den Vereinigten Staaten illegal war, besteht darin, | |
dass wir heute in einer Ära beispielloser digitaler Überwachung leben.“ | |
## Ist mit dem Löschen der App alles gut? | |
Denn theoretisch ist es den amerikanischen Behörden nun möglich, bei | |
Hinweisen auf einen unerlaubten Schwangerschaftsabbruch die Anbieter der | |
Apps mit einem richterlichen Beschluss zur Herausgabe der Daten zu zwingen. | |
Damit könnten die Behörden beispielsweise erfahren, wann eine | |
menstruierende Person zuletzt ihre Periode hatte oder ob sie Angaben zu | |
Schwangerschaftstest oder zur Verhütung gemacht hat. Falls die App auch | |
noch die Standortdaten erhebt, könnte auch ausgewertet werden, ob die | |
Person sich in der Nähe einer Klinik oder einer Praxis aufgehalten hat, die | |
unerlaubt Abbrüche durchgeführt haben könnte. | |
Nun rufen vor allem Datenschützer:innen und Aktivist:innen dazu | |
auf, die Apps einfach direkt auf dem Smartphone zu löschen. Damit wäre das | |
Problem natürlich nur bedingt gelöst, denn zuvor müsste auch beim Anbieter | |
eine zusätzliche Löschung bereits gespeicherter Daten beantragt werden. | |
Außerdem wollen Nutzer:innen ja auch weiterhin den Service dieser Apps | |
beanspruchen, denn für viele bedeutet die Auswertung ihres Zyklus eine | |
bessere Planung für ihren Alltag oder ihren Kinderwunsch. Oft empfehlen | |
auch Gynäkologen, den eigenen Zyklus genauer zu überwachen, um mögliche | |
Symptome zu erkennen. Natürlich sollen sich aber die Nutzer:innen dabei | |
keine Sorgen wegen möglicher Konsequenzen aufgrund ihrer gespeicherten | |
Daten machen müssen. Daher werden nun auch die Anbieter aktiv, um ihre | |
Kund:innen nicht zu verlieren. | |
Einer der größten Anbieter von Zyklus-Apps in den USA ist die Berliner | |
Firma Clue. Die teilt auf ihrer Webseite mit: „Mit Blick auf die zunehmende | |
Kriminalisierung von Abtreibungen in den USA verstehen wir, dass viele | |
unserer US-Kundinnen in Sorge sind, dass ihre Daten von | |
US-Staatsanwaltschaften gegen sie verwendet werden könnten. Als europäische | |
Firma sind wir gemäß der weltweit strengsten Datenschutzgesetze, der DSGVO, | |
verpflichtet, besondere Schutzmaßnahmen für Gesundheitsdaten zu ergreifen.“ | |
Außerdem gibt das Unternehmen auf seiner Webseite noch weitere Tipps, wie | |
die Nutzer:innen ihre Daten besser schützen können, zum Beispiel mit der | |
Aktivierung der Remote-Löschung. Damit können alle Daten auf dem Handy auch | |
bei Verlust oder Diebstahl von einem anderen Gerät aus gelöscht werden und | |
nicht in falsche Hände gelangen. | |
Die App Flo hingegen [4][kündigt auf Twitter an, einen „anonymen Modus“] | |
einzuführen. Somit wären Name, E-Mail-Adresse und technische | |
Identifizierungsmerkmale nicht mehr mit dem Konto verknüpft. Zudem können | |
bisher gespeicherte Daten auf Anfrage gelöscht werden. | |
## Der Blick ins Kleingedruckte ist wichtig | |
Um möglichem Datenmissbrauch entgegenzuwirken, haben Aktivist:innen in | |
den USA den Digital Defense Fund gegründet – eine Organisation, die darüber | |
informiert, wie man eine Abtreibung planen kann, ohne viele Spuren im | |
Internet zu hinterlassen. In ihrem Ratgeber wird beispielsweise erklärt, | |
wie man seine Werbe-ID auf dem Smartphone zurücksetzt. Damit wird es für | |
Werbetreibende schwieriger, ein umfassendes Profil zu erstellen. Oder wie | |
verhindert werden kann, dass Google Suchanfragen und Aufenthaltsorte | |
speichert, indem die Privatsphäreneinstellung aktiviert wird. Die | |
Organisation rät sogar für die Kommunikation mit Kliniken und Arztpraxen, | |
ausschließlich Internettelefonie (VoIP) oder verschlüsselte | |
Messengerdienste oder sogar ein separates Smartphone mit VPN-Anbieter zu | |
nutzen, um die eigene IP-Adresse zu verschleiern. | |
Für die Schwangeren bedeutet all dies einen enormen Aufwand und eine | |
weitere Belastung. Und trotzdem könnten all diese Vorkehrungen in manchen | |
Bundesstaaten in den USA Leben retten. Es ist mühsam und deprimierend und | |
trotzdem, auch wenn der Kampf für das Selbstbestimmungsrecht über den | |
eigenen Körper verloren scheint, muss wenigstens der Kampf für die | |
persönlichen Daten und gegen die Verfolgung im Netz weitergehen. | |
In Deutschland ist die Gesetzeslage eine andere. Sowohl beim Thema | |
Datenschutz als auch bei Schwangerschaftsabbruch – auch wenn diese | |
[5][immer noch durch den Paragrafen 218 bis zur 12. Woche rechtswidrig], | |
aber straffrei sind. Doch auch hier sollten sich die Nutzer:innen vor | |
einer Verwendung der verschiedenen Apps genau anschauen, wem sie ihre Daten | |
anvertrauen und was im Kleingedruckten steht, um gegebenenfalls die | |
richtigen Schutzmaßnahmen zur Datenweitergabe zu treffen. Denn es möchte | |
wohl niemand seine persönlichen Gesundheitsinformationen für Werbezwecke | |
freigeben. | |
18 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.privacyinternational.org/long-read/3196/no-bodys-business-mine-… | |
[2] https://www.wsj.com/articles/ftc-reaches-settlement-with-flo-health-over-fe… | |
[3] /Supreme-Court-kippt-Recht-auf-Abtreibung/!5863405 | |
[4] https://twitter.com/flotracker/status/1542527122790440962 | |
[5] /Selbstbestimmt-leben/!5859268 | |
## AUTOREN | |
Malaika Rivuzumwami | |
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