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# taz.de -- Bekämpfung der Coronapandemie: Zeit für „Fuck you, Omikron“-S…
> Wir können nach zwei Jahren Pandemie endlich durchatmen? Nicht, wenn wir
> an Long Covid denken.
Bild: Trotz milderer Verläufe des Omikron-Virus können Langzeitfolgen auftret…
Die fünfte Coronawelle ebbt zum Glück langsam ab. Fast alle
Präventionsmaßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, Masken- und Testpflichten
oder Isolationszeiten wurden abgeschafft oder zurückgefahren. Es klingt
nach allgemeiner Entwarnung, und es fühlt sich für viele Menschen auch so
an.
Aber Omikron ist noch nicht fertig. Auch jetzt ist die Zahl der deutschen
Neuinfektionen höher als in allen Wellen zuvor. Auch in dieser Woche wurden
in Deutschland im Mittel noch rund 150 Corona-Todesfälle pro Tag gemeldet.
Omikron ist wesentlich ansteckender als seine Vorgänger, aber es verursacht
mit geringerer Wahrscheinlichkeit schwere Verläufe oder Todesfälle.
Vergangene Woche [1][stand daher an dieser Stelle], dass es Zeit sei, tief
durchzuatmen, dass es Zeit sei für „Danke, Omikron!“-T-Shirts. Angesichts
der Tatsache, dass viele Menschen wegen Omikron wirklich nicht mehr
(durch)atmen können, klingt das wie der pure Hohn – wenn irgendwas auf
T-Shirts gedruckt werden soll, dann ja wohl „Fuck You, Omikron!“. Wenn
jemand Dankbarkeit verdient, dann das medizinische Personal und alle, die
dafür gesorgt haben, dass nicht alles zusammenbricht, obwohl sie dabei
verheizt werden. Danke für Impfung, Lieferdienste, Krankengeld.
Vielleicht sollte erst Entwarnung gegeben werden, wenn die Welle wirklich
abgeebbt ist? Noch kann nicht abgeschätzt werden, wie viel bleibenden
Schaden das Virus angerichtet hat. Dabei sollte auf die „Pandemie nach der
Pandemie“, [2][wie der Atlantic sie nannte], unbedingt genauer geschaut
werden.
## Omikrons Milde ist trügerisch
Das Phänomen wird von der WHO ab vier Wochen nach Infektion Long Covid
genannt, ab drei Monaten auch Post-Covid-Syndrom. Das Robert Koch-Institut
(RKI) [3][spricht auch übergreifend von „gesundheitlichen Langzeitfolgen
einer SARS-CoV-2-Infektion“]. Atemnot, Herz- und Kreislaufprobleme,
Schmerzen, Schwäche, Belastungsintoleranz, kognitive Probleme,
Geruchsverlust, die Liste ist lang. Besonders stark betroffen sind Frauen
jüngeren und mittleren Alters. Die Menge derer, die zwar als genesen
gezählt werden, aber noch nicht wieder gesund sind, weil sie Long Covid
haben, kann nur geschätzt werden.
Long Covid ist individuell und gesellschaftlich ein gravierendes Problem.
Oft bessert sich der Zustand der Betroffenen in den ersten Monaten wieder.
Doch auch das bedeutet schon Schmerzen, Sorgen, Ausfall in Familie und
Beruf. Bei etlichen chronifiziert es sich, sie werden bettlägerig und
arbeitsunfähig. Nicht nur eine systematische Erfassung der Fälle fehlt.
Ärzt*innen verstehen bisher die genauen Ursachen und Mechanismen nicht,
es gibt entsprechend noch keine Heilung, auch wenn es in Teilbereichen
einige Fortschritte gibt. Klar ist: Es ist real – und es ist schlimm.
Der Fokus in der Pandemiebekämpfung lag zunächst logischerweise darauf,
schwere akute Verläufe und Tod zu vermeiden. Die Impfung hat geholfen,
diese Zahlen drastisch zu reduzieren. Sie reduziert vermutlich auch das
Risiko für Long Covid um die Hälfte. Aber Omikrons Milde ist trügerisch,
wenn ihretwegen enorm viele Infektionen zugelassen werden. Allein in
Deutschland wurden 15 Millionen Omikronfälle gemeldet. Wenn auch nur ein
kleiner Prozentsatz der Infizierten längerfristig ausfällt und stark leidet
– ist es dann nicht vernünftig, zu versuchen, so viele Ansteckungen wie
möglich zu vermeiden?
Betroffene berichten über ihre verzweifelte Suche nach Besserung [4][unter
dem Twitter-Hashtag #LongCovid]. Unter [5][#MillionsMissing] machen
hauptsächlich Menschen, die unter dem Chronischen Fatigue Syndrom (ME/CFS)
leiden, ihr Verschwinden aus dem öffentlichen Raum sichtbar. Seit durch
Covid viele Menschen ähnliche Beschwerden haben, werden sie seltener als
psychosomatisch abgetan und besser erforscht. Long-Covid-Patient*innen
profitieren von ihren langjährigen Erfahrungen, zum Beispiel mit
[6][„Pacing“]: Kleine Schritte machen und viele Pausen, um den Zustand
nicht zu verschlimmern. Auf Instagram veröffentlicht [7][die Kampagne
@nichtgenesen] Porträts von Menschen, die nicht mehr zurück in ihren
früheren Alltag können, und fordert Lösungen.
## Hinschauen statt Bagatellisieren
Die Datenlage zu Long Covid ist lückenhaft. Allerdings weisen die
vorhandenen Studien auf ein größeres Public-Health-Problem hin: Das RKI
zitiert [8][eine Überblicksstudie], die auf eine geschätzte Prävalenz
zwischen 7,5 und 41 Prozent bei den milden Verläufen bei Erwachsenen
verweist, 37,6 Prozent bei hospitalisierten Erwachsenen, und 2 bis 3,5
Prozent bei nicht hospitalisierten Kindern.
Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung hat bis März 2022 bei 146.038
Menschen eine Covid-Infektion [9][als Berufskrankheit anerkannt], wofür
strenge Kriterien erfüllt sein müssen. Eine [10][weitere Studie fand
heraus], dass bis Februar 2021 5,8 Prozent der Erwachsenen nach der
Covid-Diagnose noch mindestens vier Wochen krankgeschrieben waren.
[11][Eine aktuelle britische Studie] kommt bei dreifach Geimpften auf 7,8
Prozent Long-Covid-Fälle für die an der Omikron-Variante BA.1 Erkrankten,
auf 9,3 Prozent für die inzwischen dominante BA.2-Variante.
Auch wenn die Zahlen zu Long Covid nicht so übersichtlich in einem
Dashboard stehen wie die reinen Infizierten- und Totenzahlen – Forschung
und Journalismus sollten umso genauer hinschauen und versuchen, sie
herauszufinden und nicht zu bagatellisieren.
Denn es ist keinesfalls so, dass Betroffene schicksalhaft durchs Raster
fallen müssen. Politische Entscheidungen könnten auch auf Schutz setzen, um
die Zahl der Neuerkrankungen wenigstens deutlich zu reduzieren – auch wenn
das FDP-bis-Querdenker-Spektrum dann nörgelt. Das aber nicht zu tun, beruht
auf der Prämisse, dass Omikron mild sei und Infektionen unvermeidlich
seien, vielleicht sogar hilfreich, weil sich – so die Hoffnung, versprechen
kann das niemand, denn es fehlt die Erfahrung – eine bessere Immunität
gegen kommende Varianten aufbaut. Und auf dem Narrativ, dass eine
vermeintlich nicht vulnerable Mehrheit lange genug für vulnerable oder
ängstliche Minderheiten eingeschränkt wurde.
## Was ist anstrengender, Vorsicht oder Nachwirkungen?
„Team Vorsicht“ wird oft lächerlich gemacht. Aber sollte [12][der Schmerz
des FDP-Papas], dessen asymptomatisch infizierte Tochter nicht mit auf die
Klassenfahrt darf, Vorrang haben vor dem Schmerz der Mutter, die ihre
[13][Tochter auf die Terrasse trägt], damit sie nicht immer nur im Bett
liegen muss? Sich jeden Morgen vor der Arbeit zu testen ist vielleicht
nicht so anstrengend wie wochenlang den kranken Kollegen zu ersetzen. Die
Maske beim Einkaufen zu tragen ist vielleicht eine kleinere Einschränkung
als nicht einkaufen gehen zu können, weil kaum noch jemand Maske trägt. An
Luftfiltern zu sparen, lohnt sich auf Dauer vielleicht nicht. Und
Kitakindern könnten durchaus PCR-Pooltests gegönnt werden.
Infektionen jetzt weiterhin konsequent zu vermeiden, löst mehrere Probleme:
Es verringert die Zahl chronisch Kranker, für deren Versorgung die
Infrastruktur nicht ausgerüstet ist. Menschen mit Vorerkrankungen können am
öffentlichen Leben teilnehmen. Es wäre auch sozial gerechter, da
benachteiligte Menschen ein höheres Infektionsrisiko haben und somit ein
höheres Risiko für Spätfolgen. Denn der neue Fokus auf „Eigenverantwortung…
verkennt, dass sich viele Menschen nicht selbst schützen können, sei es auf
der Arbeit, in beengten Wohnverhältnissen, aufgrund ihres Gesundheitsstatus
oder weil sie zu jung sind für Impfung und Maske.
Was nun? Wir brauchen die Anstrengung, Long Covid zu verstehen und zu
behandeln – ähnlich wie es mit der Impfung für akute Infektionen erreicht
wurde. Und bis dahin? Ein ganz crazy Vorschlag: Wie wäre es, wenn wir die
sechste Welle verhindern?
14 May 2022
## LINKS
[1] /Zwei-Jahre-Coronapandemie/!5850490
[2] https://www.theatlantic.com/health/archive/2022/03/long-covid-risk/627031/
[3] https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Gesundheitliche_Langze…
[4] https://twitter.com/hashtag/LongCovid?src=hashtag_click
[5] https://twitter.com/hashtag/MillionsMissing?src=hashtag_click
[6] https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/pacing/
[7] https://www.instagram.com/nichtgenesen/
[8] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35359614/
[9] https://www.dguv.de/medien/inhalt/mediencenter/hintergrund/covid/dguv_zahle…
[10] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S120197122100552X?via%3D…
[11] https://www.ons.gov.uk/peoplepopulationandcommunity/healthandsocialcare/co…
[12] https://twitter.com/micFDP/status/1521553468598763520
[13] /Die-Long-Covid-Erkrankung-meiner-Tochter/!5845177
## AUTOREN
Anna Böcker
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