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# taz.de -- Die Long Covid-Erkrankung meiner Tochter: Ratschläge sind auch Sch…
> Meine Tochter ist schwer an Long Covid erkrankt. Es ist ein Alptraum, bei
> dem gut gemeinte Ratschläge mehr belasten, als helfen.
Bild: Eine Möglichkeit, füreinander da zu sein: gemeinsamer Blick in die Wolk…
Unsere 13jährige Tochter Olivia ist an Long Covid erkrankt. Seit Wochen ist
sie nun bettlägerig. Auch im Rollstuhl kann sie nicht mehr sitzen. Sie kann
weder ihren Oberkörper noch ihren Kopf halten. Mit viel Mühe schaffen wir
es vom Bett auf den Toilettenstuhl und zurück. Danach weint sie oft, weil
Anstrengung und Schmerzen zu groß waren.
Wir beten, dass dieser Alptraum nicht für immer anhält. Aber erst einmal
müssen wir damit leben. Nach Meinung aller Ärztinnen, die wir bis jetzt
gesehen haben, können wir vorerst nichts tun, außer unser Kind unbedingt zu
schonen. Natürlich bekommt Olivia Vitamine und sogar dreimal 15
[1][Globuli] kosmisches Eisen am Tag – was für mich wie der Inbegriff des
„Nichtstun“ ist.
Diese Machtlosigkeit ist kaum aushalten. Und noch schwieriger wird es, wenn
die Leute um uns herum rufen: „Was? Das kann doch gar nicht sein. Ihr müsst
etwas tun!“ Dabei sind wir von morgens bis abends dabei, etwas zu tun. Mein
Mann arbeitet für zwei und ich pflege ein schwer behindertes und ein schwer
krankes Kind gleichzeitig – wovon das eine laute Musik und das andere
komplette Ruhe braucht.
Die immer wieder gestellte Frage „Haben sie denn diesmal im Krankenhaus
endlich etwas gefunden?“, zeigt mir, wie schwer es vielen fällt, die
Diagnose [2][Long Covid] zu fassen. Irgendwie ist der Glaube verbreitet, es
gäbe für jede Erkrankung eine ganz einfache Behandlung. Im Prinzip erklärt
man damit alle chronisch Kranken und Mediziner für bescheuert.
## Im wahrsten Sinne des Wortes kaputt
Apropos bescheuert: Sogar für meinen Sohn Willi mit Down-Syndrom wurde mir
schon mal eine „Heilung“ angeboten. Damals habe ich mit den Worten: „Viel…
Dank, er ist nicht kaputt“ belustigt abgelehnt. Aber Olivia ist im wahrsten
Sinne des Wortes kaputt. Neulich hat sie mir unter Tränen gesagt, sie sei
gar kein richtiger Mensch mehr, sondern nur noch irgendein Wurm.
Da fällt es mir schwer, angemessen auf den gut gemeinten Rat „Genieße doch
einfach die schöne Zeit mit Deiner Tochter“ zu reagieren. Vielleicht bin
ich zu empfindlich, aber es verletzt mich, wenn andere meinen, mein Kind
würde mit genug Ingwertee oder Meeresluft ganz schnell gesund werden.
Long Covid ist eine [3][komplexe Autoimmunerkrankung]. Uns helfen im Moment
wirklich nur Ratschläge von Fachleuten und Betroffenen. Von den anderen
wünsche ich mir, dass sie mit uns aushalten, wie schlimm es ist und mich
nicht damit belasten, dass sie ihren Hausarzt oder eine Heilpraktikerin
gefragt haben oder irgendwas gelesen und bei YouTube gesehen haben.
Die vielen sich ausschließenden Ratschläge fühlen sich manchmal an wie
echte Schläge. Sie sind der Grund, weshalb ich am liebsten mit fast
niemandem mehr reden mag.
## Kernkompetenz Liebe
Ich würde ALLES für mein Kind tun, aber kann doch unmöglich all das tun,
was man mir sagt. Zu der Angst, vielleicht doch etwas zu verpassen, weil
ich mich nicht mit Shiatsu oder Mitochondrien auseinandersetze, kommt noch
mein schlechtes Gewissen, dass ich mich undankbar verhalte gegenüber
Menschen, die uns doch nur helfen möchten.
Aber diese Art Hilfe verunsichert mich. Darf ich der Schulmedizin wirklich
nicht trauen? Muss man für die richtige Behandlung seines Kindes
tatsächlich kämpfen? Und natürlich kämpfe ich – aber ich kann nur einen
Schritt nach dem anderen tun.
Daneben habe ich aus allen Therapievorschlägen jetzt erst mal die Liegekur
ausgesucht. Wenn Willi in der Schule ist und mir jemand helfen kann, Olivia
auf die Terrasse zu tragen, liegen wir beide dort nebeneinander und schauen
Wolkenbilder oder unsere Hühner an. Am liebsten würde ich dann nie wieder
aufstehen. Und ich fühle, dass dies meine eigentliche Aufgabe ist: Für
meine Kinder da zu sein! Meine Kernkompetenz ist Liebe.
17 Apr 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Birte Müller
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Long Covid
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