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# taz.de -- Experte über Long Covid: „Wirklich eine erkleckliche Zahl“
> Viele Menschen leiden noch Jahre nach der Corona-Infektion unter
> Symptomen. Das wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus, sagt Markus
> Bassler.
Bild: Genesen – aber nicht gesund: Atemtraining nach einer Covid-Erkrankung
taz: Herr Bassler, die Infektionszahlen sind aktuell sehr hoch, trotzdem
rechnen Expert*innen auch mit einer [1][weiteren Welle im Herbst]. Was
kann die Bundesregierung tun, um das einzudämmen?
Markus Bassler: Wir orientieren uns grundsätzlich an der Vorgabe des
nationalen Ethikrates, vorrangig die Überlastung des Gesundheitswesens zu
vermeiden. Die gegenwärtig ruhige Situation könnte sich hier im Herbst und
Winter jedoch wegen der erwartbar steigenden Inzidenzzahlen rasch
verschärfen. Erschwerend könnte dabei hinzukommen, dass die Leute nach
ihrem Sommerurlaub möglicherweise mit neuen und gefährlicheren
Virusvarianten als bisher zurückkehren.
Darum ist es wichtig, dass die Bundesregierung möglichst bald dafür sorgt,
dass die derzeit bis zum 23. September gültigen gesetzlichen
Rahmenbedingungen verlängert werden, damit die Länder sie individuell an
ihre regionalen Situationen anpassen können. Darauf drängen eigentlich
alle, die mit diesen Dingen fachlich vertraut sind und wissen, was da auf
uns zukommen könnte.
Wahrscheinlich entwickeln dann auch noch mehr Menschen [2][Long Covid].
Viele fühlen sich damit nicht ernst genommen. Könnte man da mehr machen?
Das ist sehr komplex, bisher wissen wir noch nicht genauer, wie hoch die
Quote von Long Covid bei Omikron ist. Aber die wichtigste Anlaufstelle für
Betroffene, und darüber sind sich alle einig, sollte der Hausarzt sein, der
hier eine wichtige Art Lotsen-Funktion übernimmt. Dieser kann bei
Fachärzten kurzfristige Termine bekommen, um dort spezielle diagnostische
Fragen weiter abzuklären. Das Problem, was im Augenblick fachlich besteht,
ist, dass es wahrscheinlich unterschiedliche Ursachen gibt und sich
Symptome, die man von verschiedenen Krankheiten kennt, stark überlappen.
Manche dieser Beschwerden kann man diagnostisch nicht einfach, sagen wir
mal, eindeutigen körperlichen Ursachen zuordnen. Da besteht dann die
Gefahr, dass man das dann nicht so ernst nimmt. Zudem haben die Betroffenen
einen hohen Gesprächs- und Aufklärungsbedarf, den viele Ärzt*innen
aufgrund ihrer terminlichen Möglichkeiten einfach nicht leisten können.
Die Behandlung braucht also viel Zeit?
Genau. Wichtig ist, dass die Leute schnellstmöglich eine Untersuchung
bekommen und wenn Ärzte diagnostisch unsicher sind, dass sie dann möglichst
rasch in eine Long Covid-Spezialambulanz überweisen können, von denen es
gegenwärtig in der Bundesrepublik schon über 80 gibt. Speziell in
Niedersachsen ist das so: Wir haben drei universitäre Standorte und
speziell an einem sind ist beispielgebend eine gut vernetzte
Spezialambulanz eingerichtet worden. Und es gibt bezüglich der
Versorgungsangebote für Long Covid-Patient*innen schon eine ganze Reihe von
[3][Empfehlungen], zum Beispiel vom [4][Expertenrat der Bundesregierung].
Aber die Zuständigkeiten im Gesundheitssystem sind sehr stark föderal
ausgerichtet und so muss jedes Bundesland sehr eigenständig handeln. Die
Bundesregierung könnte aber flankierend was tun.
Für Betroffene wie auch Ärzt*innen ist die schlechte Studienlage zu Long
Covid ein Problem. Könnte die Forschung schneller Ergebnisse liefern, wenn
Bund und Länder mehr Geld zur Verfügung stellen würden als bisher?
Ich bin der Meinung: Ja, es lohnt sich, dass wir hier mehr Gelder
investieren, bisher ist es zu wenig. Aber, es ist immer zu wenig Geld da,
wenn Sie im Gesundheitswesen Wünsche realisieren wollen. Letztlich ist es
eine politische und durchaus auch gesellschaftliche Frage, die man in den
Ländern und auf Bundesebene klären muss.
In Niedersachsen beispielsweise hat der Landtag nach Anhörung von
Expert*innen beantragt: Wir wünschen, dass die Landesregierung mehr
Gelder für Forschung bezüglich Long Covid investiert. Im Zusammenhang damit
entstand das Corona Forschungsnetzwerk (COFONI) in Niedersachsen und
insgesamt wurden jetzt dafür seitens der Landesregierung 10 Millionen Euro
freigegeben.
Nun überlegen sich der [5][Long-Covid-Expertenrat] und das niedersächsische
Ministerium für Wissenschaft und Kultur, welche Forschungsprojekte brauchen
wir, damit wir möglichst bald qualitativ verlässliche und insbesondere
versorgungsrelevante Ergebnisse bekommen?
Wie viel ist bisher über Long Covid bekannt?
Wir wissen einfach noch zu wenig über die zugrundeliegenden Ursachen. Es
gibt bei Long Covid vermutlich unterschiedliche Ursachen, die jeweils
speziell darauf zugeschnittene Behandlungen brauchen. Wir wissen bereits,
dass viele Patient*innen mit schwereren Verläufen, die ambulant vom
Hausarzt nicht ausreichend betreut werden können, von bereits verfügbaren
[6][Reha-Maßnahmen gut profitieren].
Diese kann man je nach Bedarf um spezielle leistungsfördernde Maßnahmen
ergänzen, beispielsweise um Trainingsprogramme für geminderte Hirnleistung
– etwa bezüglich Konzentration und Gedächtnis, worüber übrigens viele Long
Covid-Patient*innen klagen. Bei einigen von ihnen bleibt aber der Erfolg
trotz all dieser Möglichkeiten aus. Bei diesen Menschen kann es dann zu
langfristiger oder gar endgültiger Erwerbsunfähigkeit kommen. Und das ist
ein großes sozialmedizinisches Problem, was auch gerade für die
Rentenversicherung von wesentlicher Bedeutung ist.
Ein Fachkollege, der hauptsächlich Begutachtungen im Auftrag der
Unfallversicherungen durchführt, berichtete mir vor kurzem, dass bereits
mehr als 150.000 Berufstätige Anträge auf Erwerbsminderung oder gar
Berufsunfähigkeit aufgrund von Long Covid gestellt haben – was wirklich
eine erkleckliche Zahl ist.
Und die können gar nicht mehr arbeiten?
Es gibt sicher nicht wenige Menschen, die nach einer durchgemachten
Corona-Infektion nicht so schwer beeinträchtigt sind, dass sie nicht wieder
ihre berufliche Tätigkeit aufnehmen können – aber häufig dann für einige
Zeit erst mal nicht voll leistungsfähig. Hier sollte der Arbeitgeber
unbedingt dafür sorgen, dass diese Menschen zunächst nur mit solchen
Tätigkeiten an ihrem Arbeitsplatz betraut werden, die ihren Fähigkeiten und
aktuellen Belastbarkeit auch entsprechen.
Für die Betroffenen ist das sehr wichtig – gelingende Teilhabe und
Wiedereingliederung in den Beruf schafft Selbstvertrauen und fördert
letztlich damit auch die Gesundung. Hier geht es also entscheidend um die
Frage: Wie geht man am Arbeitsplatz mit Kolleg*innen um, die an Long
Covid-Symptomen leiden? Werden die Beschwerden anerkannt und angemessen
berücksichtigt? Hier ist insbesondere auch die Unternehmerseite sehr
gefragt. Diese sollte unbedingt mit ins Boot und die vielfältigen
Informationsmöglichkeiten zu Long Covid am Arbeitsplatz intensiv nutzen.
3 Jul 2022
## LINKS
[1] /Vorbereitung-auf-neue-Coronawelle/!5863872
[2] /Long-Covid-bei-Kindern/!5838421
[3] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975196/2040048/feffdcc21a9892d…
[4] /ExpertInnenrat-zu-Long-Covid/!5852172
[5] https://www.umg.eu/forschung/corona-forschung/cofoni/
[6] /Spaetfolgen-von-Covid-19/!5777303
## AUTOREN
David Muschenich
## TAGS
Long Covid
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