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# taz.de -- Schwieriger Start in die Ausbildung: Orientierungslos nach Corona
> Während der Pandemie fielen Betriebspraktika aus. Benachteiligte
> Jugendliche trifft das besonders. Eine Initiative fordert eine Strategie
> für Berlin.
Bild: Auszubildende in der Metalltechnik an einem Berliner Oberstufenzentrum
Berlin taz | Während der Corona-Jahre stand ein gesellschaftlicher Bereich
besonders im Fokus: die Schule. Eine viel gezogene Bilanz war die, dass
[1][Corona der ohnehin nicht vorhandenen Chancengerechtigkeit im
Bildungssystem weiter abträglich] war. Wer vorher schon nicht gut lernen
konnte, lernte während der Pandemie meist noch schlechter. Weit weniger im
Fokus stand, was nach der Schule folgt: der Übergang in Ausbildung und
Beruf. Doch auch hier, warnt jetzt die bürgerschaftliche Stiftung Zukunft
Berlin, sei es höchste Zeit, genauer hinzusehen: „Sonst wächst hier eine
Generation heran, die diesen Übergang nicht schafft“, warnt
Vorstandssprecher Markus Dröge.
Am Mittwoch lädt die Zukunftsstiftung deshalb Expert*innen und
Vertreter*innen aus drei Senatsverwaltungen sowie der Wirtschaft
gemeinsam an einen Runden Tisch. Man will möglichst noch vor der
Sommerpause „konkrete Handlungskonzepte“ vereinbaren, denn: „Es mangelt
eklatant an einer gemeinsamen Landesstrategie, wie man gerade
benachteiligte Jugendliche erreichen kann“, sagt Susanne Stumpenhusen,
Stiftungsmitglied und langjährige Verdi-Landesbezirksleiterin
Berlin-Brandenburg.
Ein großes Problem sei, dass die Berufsorientierung in der Schule, die
normalerweise mit Betriebspraktika in den Jahrgangsstufen 7-9 stattfindet,
während der Pandemiejahre weitgehend ausfiel. Das sei insbesondere für
diejenigen Jugendlichen ein Problem, die aus Familien kommen, die ohnehin
schon benachteiligt sind: weil sie Leistungen vom Jobcenter beziehen, oder
weil sie wenig bildungsorientiert sind. „Da gibt es keine Eltern zu Hause,
die dann im Zweifel ein Praktikum bei sich selbst im Betrieb organisieren“,
sagt Klaus Kohlmeyer, ebenfalls in der Zukunftsstiftung aktiv und
ehemaliger Geschäftsführer des von der Bildungsverwaltung geförderten
Beruflichen Qualifizierungsnetzwerks (BQN), das sich für mehr
Gleichberechtigung und Teilhabe von marginalisierten Gruppen einsetzt.
## Von 40 Prozent auf Null
Kohlmeyer berichtet von einer Schulleiterin an einer Schule, wo nahezu alle
Kinder aus Familien kommen, die Leistungsempfänger sind. Die Quote
derjenigen, die einen Ausbildungsplatz nach der Schule sicher hatten, sei
laut der Schulleiterin von 40 Prozent auf nahezu Null eingebrochen.
Ein großes Problem, sagt Kohlmeyer, sei auch die fehlende Datengrundlage
darüber, was eigentlich aus den Schulabgänger*innen in Berlin werde,
die nicht direkt eine Ausbildung oder ein Studium beginnen. Rund 27.500
Schulabgänger*innen hatte Berlin 2020, nur etwa 3.000 hätten danach
direkt eine Ausbildung begonnen, sagt Kohlmeyer und beruft sich dabei unter
anderem auf Zahlen des Unternehmerverbands Berlin-Brandenburg.
Ein Teil beginne ein Studium, gehe auf eine Berufsschule oder mache ein
Freiwilliges Soziales Jahr oder lande in sogenannten berufsqualifizierenden
Kursen an den Oberstufenzentren – wo es häufig aber erstmal darum geht,
einen Schulabschluss nachzumachen. Und bei etwa 4.000 Jugendlichen wisse
man schlicht nicht, was mit ihnen nach der Schule geschieht.
Diese Zahl ist nicht neu – bereits 2016 hatte die damalige
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) von geschätzt 4.000 Jugendlichen
pro Jahr gesprochen, die nach dem Schulabschluss „verloren“ gingen. Damals
wurden gerade die Jugendberufsagenturen der Jobcenter eröffnet; inzwischen
hat jeder Bezirk so eine Extra-Anlaufstelle für Jugendliche. Auch die
Berufsorientierung in der Mittelstufe wurde in den letzten Jahren
ausgeweitet.
Allein, so richtig voran ging es seitdem nicht. Erschwerend kommt hinzu,
dass auch die Beratungsgespräche der Jugendberufsagenturen während der
Pandemie aufgrund der Kontaktbeschränkungen „deutlich zurückgegangen“
seien, konstatiert die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und
Soziales in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage aus dem
vergangenen Sommer.
Indes hat die Bildungsverwaltung das Problem immerhin auch bereits erkannt:
Im Mai hatte [2][Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD)] eine
[3][„Praktikumsoffensive“ ausgerufen]. Bis Schuljahresende sollten alle
Schüler*innen, deren Betriebspraktikum coronabedingt ausgefallen war, noch
bei Unternehmen in die Betriebsabläufe reinschnuppern dürfen. Rund 3.000
Schüler*innen sollten so wenigstens ein bisschen Berufsorientierung
nachholen können.
Wie viele der Jugendlichen das Angebot angenommen hätten, könne man noch
nicht genau sagen, teilt die Bildungsverwaltung auf Anfrage mit – es
fehlten noch „Rückläufe aus den Schulen“, so ein Sprecher. Erste
Rückmeldungen zeigten aber, dass die „Initiative gut angelaufen ist und
stark nachgefragt wird.“
Stumpenhusen von der Stiftung sagt, man sehe durchaus die Bemühungen, dass
es hier und dort Maßnahmen gebe: „Es fehlt aber an einer gemeinsamen,
geeinten Strategie auf Landesebene.“ Die hofft man seitens der
Zukunftsstiftung am Mittwoch nun auf den Weg bringen zu können.
21 Jun 2022
## LINKS
[1] /Lernluecken-nach-den-Pandemiejahren/!5843953
[2] /Berlins-neue-Schulsenatorin-Busse-SPD/!5830555
[3] /Praktikumsoffensive-nach-Corona/!5852105
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Ausbildung
Schwerpunkt Coronavirus
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