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# taz.de -- Sexismus und Belästigung im Handwerk: Lieber nicht zu viel lächeln
> Sexismus, sogar sexuelle Belästigung erleben viele Handwerkerinnen. Noch
> immer dominieren dort Männer, Schutzmaßnahmen gibt es kaum.
Bild: Anzügliche Sprüche, „versehentliche“ Berührungen, Bevormundung –…
„Gute Arbeit und schöne Titten.“ Es klingt wie ein „Kompliment“ aus der
Bürowelt der fünfziger Jahre, doch die Aussage stammt von einem deutschen
Bauleiter im Mai 2022, der sich nach getaner Arbeit auf der Baustelle an
seine Kollegin richtete. Und es ist nicht das einzige dieser Art. Beim
„Kompliment“ bleibt es oft auch nicht. Initiativen wie der Girls Day sollen
mittlerweile junge Frauen dazu ermutigen, männerdominierte
[1][Handwerksberufe anzugehen], um beispielsweise auf dem Bau zu arbeiten,
Maurerinnen, Tischlerinnen oder Malerinnen zu werden. Viele Mädchen trauten
sich nicht in diese Baustellenwelt, so die allgemeine Meinung. Körperliche
Anstrengung und ein „grober Umgangston“ bestimmten schließlich hier den
Alltag.
Darüber, dass Sexismus bis hin zu sexueller Belästigung – vonseiten der
Kolleg:innen und der Kund:innen – oftmals an der Tagesordnung sind und
gleichzeitig Anlaufstellen fehlen, um dies zu unterbinden, nachzuverfolgen
und Konsequenzen zu ziehen, redet an den offiziellen Stellen kaum jemand.
Doch es ist genau das, worauf nach Recherchen der taz viele Frauen stoßen,
die sich für einen solchen Beruf entscheiden.
„Ich würde eigentlich keiner Frau raten, einen männerdominierten
Handwerksberuf zu ergreifen, und gleichzeitig ist es schlimm, dass es so
wenige Frauen gibt, die diesen machen“, sagt eine junge Tischlerin aus
Süddeutschland, die lieber anonym bleiben möchte, um keine Probleme mit
ihren Arbeitgeber:innen zu bekommen. Sie erzählt von Belästigung
während ihrer Ausbildung: „Entweder ich bekam Sprüche ab wie: „Dir schaut
man gerne beim Arbeiten zu“, „Du hast so einen geilen Arsch, wenn ich jetzt
noch deine Titten sehen könnte.“ Oder sie haben mich putzen geschickt, weil
ich als Frau ja sonst nichts könne.“
## Kündigung nach sexueller Belästigung
In dem Betrieb, in dem sie damals tätig war, sei sie abgesehen von einer
Sekretärin und der Frau des Chefs, die die Büroarbeit übernahm, die einzige
Frau gewesen. Ein älterer, verheirateter Kollege habe sie manchmal nach
Hause verfolgt, ihr Briefe geschrieben und Geschenke unter das Auto gelegt.
Sie erzählt von Kniffen in den Hintern, von dem Versuch eines Kollegen, sie
zu küssen. Und schließlich kam die Kündigung von den Arbeitgeber:innen
mit der Begründung: „Es haben sich zwei Lager gebildet: die einen, die in
Ihnen mehr sehen als eine Kollegin, und die anderen, die mit einer Frau auf
dem Bau nichts anfangen können.“ Sie geht vor Gericht und gewinnt. Doch im
nächsten Betrieb wird die sexuelle Belästigung nicht weniger. Vonseiten der
Handwerkskammer bekommt sie den Rat, sich erneut einen anderen
Ausbildungsbetrieb zu suchen.
Auch der erste Betrieb, für den sie als Gesellin arbeitet, kündigt ihr nach
wenigen Wochen, offiziell aus „betrieblichen Gründen“. Kurz davor, sagt
sie, habe es aber einen Zwischenfall mit zwei Kollegen gegeben, die sie
belästigt hätten. Der Chef habe sich daraufhin entschieden, sie
rauszuschmeißen – eine Frau schade schließlich dem Betriebsklima. „Beim
nächsten Betrieb hatte ich große Angst, dass mein Chef mich wieder
rausschmeißt, wenn ich mich wehre“, erzählt sie.
Erst als sie bereits gekündigt hatte, um eine Weiterbildung anzugehen, habe
sie dann doch auf einen Klaps auf den Hintern geantwortet, mit einer
Ohrfeige. Der Kollege habe sie nie wieder angefasst. „Mein Fehler war, dass
ich einfach zu nett gewesen bin“, meint sie nun Jahre später. „Man darf
nicht zu viel lächeln, nicht freundlich sein. Du darfst nicht auffallen,
weil sonst dein Job auf dem Spiel steht.“
## Fehlende Anlaufstellen
Ähnliches erzählt eine weitere junge Frau, die sich auf Anfrage der taz
meldet und ebenfalls anonym bleiben möchte. Sie hat kürzlich ihre
Ausbildung für Garten- und Landschaftsbau abgeschlossen und arbeitet nun in
einem Berliner Betrieb. Auf der Baustelle, auf der sie viel Zeit ihrer
Arbeit verbringt, sei sie die einzige Frau, sagt sie. Und: „Die beste
Taktik ist, direkt schlagfertig zu antworten. Die Sprüche ignorieren oder
Gespräche zu führen, funktioniert überhaupt nicht. Doch nicht jede Frau
kann das.“
Ansprechpartner:innen oder Anlaufstellen gebe es nicht: „Theoretisch
könnte ich zu meinem Vizechef gehen, der ist aber ein ziemlicher
Frauenhasser.“ Der Chef selbst sei das nicht, aber auch er würde die Sache
bagatellisieren. Rückhalt bekomme sie von den jüngeren Kollegen. Laut ihr
sei vor allem die ältere Generation das Problem. Als Frau werde ihr oft
wenig zugetraut. „Ich sollte letztens eine Scheibe der Trennschleifmaschine
auswechseln. Nicht besonders schwierig, aber am Ende standen drei Männer um
mich rum, die erklären wollten, wie es geht“, erzählt sie. Angesprochen
werde sie dabei meist mit „Mäuschen“, „Cinderella“ oder „Torte“. D…
Tischlerin aus Süddeutschland erzählt, dass sie auch zwei Jahre nach der
Ausbildung auf dem Bau „prinzipiell die Azubi“ sei. „Wir leben im 21.
Jahrhundert und immer noch können sich Menschen nicht vorstellen, dass eine
Frau auf dem Bau mitarbeitet“, sagt sie.
In der Bundesrepublik war es Frauen bis ins Jahr 1994 gesetzlich verboten,
auf dem Bau zu arbeiten. In der DDR galt dieses Gesetz nie. Heute, 28 Jahre
später, ist der Anteil an Frauen auf Baustellen immer noch sehr gering. In
bauhauptgewerblichen Berufen wie Hoch- und Tiefbau, Zimmerei, Straßen- und
Asphaltbau, Rohrleitungsbau sind es 2022 gerade mal 1,6 Prozent. In vielen
Betrieben fehlen Toiletten oder Umkleideräume für Frauen. Auch gibt es nur
zwei Vereinigungen, sogenannte Schächte, die Gesellinnen ermöglichen, auf
traditionelle Wanderschaft zu gehen.
## Nur ein Fünftel der Betriebsinhaber:innen sind Frauen
Die Führung in Kleinbetrieben übernehmen Frauen laut Tatjana Lanvermann,
Vorsitzende des Bundesverbands Unternehmerfrauen im Handwerk (UFH), oft nur
als Doppelspitze mit ihrem Mann: Er übernimmt die Aufgaben auf dem Bau, sie
kümmert sich im Büro um kaufmännische Angelegenheiten. Die perfekte
Grundlage für einen erfolgreichen Handwerksbetrieb, findet Lanvermann im
Gespräch mit der taz. Der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH)
lobt, Frauen hätten sich „als selbstständige Unternehmerin, Meisterin,
Gründerin, in der Doppelspitze mit dem Partner oder als Nachfolgerin im
Familienbetrieb“ ihren Platz in Führungspositionen „erobert“. Doch im
Handwerk sind das gerade mal [2][20,6 Prozent der
Betriebsinhaber:innen].
Statistiken zu sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz oder
Ausbildungsabbrüchen von Frauen gibt es bislang keine. Dabei bestätigen
mehrere Handwerkerinnen, mit denen die taz gesprochen hat, wie auch die
oben erwähnte Garten- und Landschaftsbauerin: „Sexuelle Übergriffe gibt es.
Definitiv.“ Andererseits, sagt sie, sei den Kollegen mittlerweile klar
geworden, dass sie bei Klapsern auf den Hintern Probleme bekommen können:
„Einige suchen einfach Umwege. Klopfen dir auf den Hintern und sagen: „Da
war Sand an der Hose.“ Sie schätzen mich als das dumme Blondchen ein, das
es eh nicht merkt, wenn es sexuell belästigt wird.“
Laut Tatjana Lanvermann von UFH sei für Probleme am Arbeitsplatz eine gute
Kommunikation und Beziehung zu den Vorgesetzten wichtig, um solche
Angelegenheiten schnell intern klären zu können. Der UFH hat im vergangenen
Jahr die Initiative [3][„Handwerk ist hier auch Frauensache“] gestartet.
Betriebe können mit einem Siegel nach außen zeigen, dass Frauen bei ihnen
willkommen sind. Sie erhalten es, wenn sie sich selbst verpflichten, auch
junge Frauen auszubilden und ihnen Ansprechpartner:innen zu bieten.
Bislang sind das deutschlandweit etwas mehr als [4][50 Betriebe].
## Sexismus auch durch Kund:innen
Bei Nachfrage bedauert der ZDH es, dass die taz bei ihrer Recherche genau
die Fälle getroffen habe, in denen es „offenbar nicht so gut lief“. Bei
über einer Million Handwerksbetrieben bundesweit sei natürlich nie
auszuschließen, dass es auch „Negativbeispiele“ gebe. Die Handwerkskammern
bemühen sich, in Imagekampagnen Beispiele von Frauen vorzuweisen, die im
Handwerk ihre „Profession und Erfüllung gefunden haben“. Die Notwendigkeit
für offizielle Stellen, Initiativen zur Bekämpfung sexueller Belästigung
oder mögliche Studien zum Thema werden nicht angesprochen.
Ein Hoffnungsschimmer ist für vielen Frauen in der männerdominierten
Baubranche das Bauhandwerkerinnentreffen, ein bundesweites
selbstorganisiertes Treffen für Frauen im Bauhauptgewerbe. Es biete diesen
einmal im Jahr die Möglichkeit, sich über Arbeits- und
Ausbildungsbedingungen auszutauschen und sich gegenseitig zu bestärken,
heißt es auf der Webseite. „Viele Azubis, die auf das Treffen kommen,
erzählen, dass sie ihre Ausbildung abgebrochen hätten, wenn es das Treffen
nicht gäbe“, sagt Noa, eine Tischlerin, die dieses Jahr die Veranstaltung
mitorganisiert.
Sabine Otto, Malerin und Lackiererin, die für einen Lüneburger Betrieb
arbeitet und gerade eine Zweigstelle in Berlin eröffnet, erzählt, dass
Sexismus auch von den Kund:innen komme. Manchmal traue man ihr ganz
klischeehaft in Sachen Gestaltung, Farbe und Kreativität mehr zu, im
handwerklichen Bereich aber meist weniger. „Einmal klingelte ich bei einer
Kundin an der Tür. Sie fragte mich: „Und wann kommt ihr Kollege?“ Ein
männlicher Kunde wiederum habe etwas zu oft nachgefragt, warum sie denn
nicht alleine gekommen sei.
## Hoffen auf Generationenumbruch
Auch auf der Baustelle begleite sie meist ein mulmiges Gefühl, es gebe
nicht immer einen geschützten Rahmen. „Vermeintlich sind wir schon ganz
weit gekommen in Sachen Gleichberechtigung, kommt man auf die Baustelle,
ist das teilweise sehr ernüchternd.“ Ein Grund, warum viele Frauen lieber
bewusst Lehrtätigkeiten übernähmen. Hinzu komme, dass man sich als Frau
immer erst mal beweisen und 120 Prozent geben müsse, um die Vorbehalte der
Kund:innen und auf der Baustelle auszuräumen. „Irgendwann sollte man sich
nicht mehr als „Frau im Handwerk“ definieren müssen. Davon sind wir jedoch
noch sehr weit entfernt. Es wird wohl immer etwas Besonderes sein“, sagt
sie.
Viele junge Frauen hoffen dabei auf einen Generationenumbruch. „Männer über
50 sind die schlimmsten. Erst wenn die weg sind, kann es für die Frauen
besser laufen“, sagt die Tischlerin aus Süddeutschland. Und die Garten- und
Landschaftsbauerin rät: „Feuere zurück, beleidige zurück. Je mehr junge
Frauen, desto besser, und je mehr man zurückfeuert, desto besser.“
14 Jun 2022
## LINKS
[1] /Gleichberechtigung-in-der-Karriere/!5847324
[2] /Geschlechterstereotype-im-Beruf/!5589096
[3] https://www.ufh-bv.de/projekte/handwerk-ist-hier-auch-frauensache/
[4] /Berliner-Senat/!5490003
## AUTOREN
Ruth Lang Fuentes
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