# taz.de -- Anlagenmechanikerin in Berlin: Frauen gehören in die Werkstatt | |
> In Berlin leiten fünf Frauen ihren eigenen Fachbetrieb für Sanitär-, | |
> Heizungs- und Klimatechnik. Andrea Tschichholz ist eine davon. | |
Bild: Andrea Tschichholz wurde nicht als Anlagenmechanikerin geboren, sondern z… | |
BERLIN taz | Schon als kleines Mädchen liebte Andrea Tschichholz das | |
Segeln. Mit sechs Jahren bekam sie ihr erstes „Optimist“-Segelboot. Sie | |
bastelte von Anfang an selbst daran herum, stellte sich ihren eigenen | |
Werkzeugkasten zusammen. Heute glaubt die ausgebildete Anlagemechanikerin, | |
dass sie am Boot ihre handwerkliche Seite entdeckt hat. | |
Im Grunde war sie damals ständig auf dem Wasser: Wenn nicht mit ihrem Opti, | |
dann mit dem Segelboot der Familie. Es war ein kleines, sportliches Boot, | |
weil ihr Vater gern über das Wasser raste. Er wollte ständig überholen. | |
Ihre Mutter wollte lieber mit einem Kaffee segeln gehen und auch mal etwas | |
zum Essen mitnehmen. | |
Bis heute ist ihre ganze Familie Mitglied in einem Spandauer Segelverein. | |
Zusammen mit ihrem Mann, ihrem Bruder und dessen Freundin hat jetzt auch | |
Tschichholz ein Segelboot. Allerdings ein etwas größeres und gemütlicheres, | |
mit einer Kajüte, in der man schlafen kann. „Das haben wir als Kinder immer | |
vermisst“, sagt sie und lacht. Sie sitzt in einem kleinen Büro in | |
Charlottenburg und erzählt von ihrer Kindheit. | |
## Seit über hundert Jahren in Charlottenburg | |
Der kleine Laden um die Ecke vom Savignyplatz ist gefüllt mit Handbrausen, | |
Schläuchen und kleinen Ersatzteilen. Der nächste Feiertag wird schon mit | |
Hasen im Schaufenster angeteasert. An der Wand hängen Bilder des Ladens aus | |
dem Jahr 1903, als Urgroßvater Karl Tschichholz das Heizungs-, Sanitär- und | |
Gasgeschäft gründete. Daneben hängt eine Ehrenurkunde zum „100-jährigen | |
Geschäftsjubiläum“. | |
Andrea Tschichholz hat nicht nur die Liebe zu Wasser und Wind von ihrem | |
Vater übernommen. [1][Seit acht Jahren führt sie den Familienbetrieb in | |
vierter Generation.] Dass ein Familienbetrieb überhaupt übernommen wird, | |
ist heute eine Seltenheit. Tschichholz ist auch die erste Frau, die in | |
diesem Unternehmen gearbeitet hat. Sie ist eine von fünf Frauen, die einen | |
Sanitär-, Heizungs- und Klimabetrieb in Berlin führen, in ihrer | |
Berufsschulklasse war sie die einzige Frau. | |
Und doch spielt das Geschlecht in ihrem Leben kaum eine Rolle, sagt | |
Tschichholz. Geschlecht ist immer so eine Sache. Trotz der Debatten über | |
Gleichberechtigung und Geschlechteridentitäten ist es nach außen hin immer | |
noch ein Merkmal, das schnell auf Unterschiede hinweist. Frauen, die nicht | |
stark genug sind für das Handwerk. Männer, die nicht feinfühlig genug sind | |
für die Pflege. Nach innen jedoch spielt das M oder W im Ausweis oft keine | |
so große Rolle. | |
Die Berufsschule war eine der wenigen Zeiten in ihrem Leben, [2][in der ihr | |
Geschlecht thematisiert wurde], sagt Tschichholz. An ihrem ersten | |
Ausbildungstag betrat sie ein Klassenzimmer voller Jungen. „Die haben alle | |
geguckt“, sagt sie. Einige hätten sich laut gefragt, ob eine Frau diese | |
Ausbildung schaffen könnte. | |
In den ersten Monaten verbrachte sie ihre Pausen allein. Sie aß allein zu | |
Mittag, machte allein einen kleinen Spaziergang und ging dann zurück in die | |
Klasse. Von den Jungs wurde sie erst akzeptiert, nachdem sie bei allen | |
Schularbeiten die beste Note bekam und sich auch bei den praktischen | |
Aufgaben bewährte. „Ich hatte wirklich Glück mit der Klasse“, sagt | |
Tschichholz, andere Frauen in der Branche erlebten mehr Ausgrenzung. | |
## 12 Frauen im ersten Ausbildungsjahr | |
Das war 2006, vor fast 20 Jahren. Seitdem hat sich jedoch wenig geändert. | |
In diesem Jahr haben in Berlin rund 350 junge Menschen eine Ausbildung als | |
Anlagenmechaniker:in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (SHK) | |
begonnen. Davon sind 12 Frauen. Ein Rekord, sagt Andreas Koch-Martin, | |
[3][Geschäftsführer der SHK-Innung Berlin.] „Das ist eine Zahl, die wir | |
noch nie hatten. Aber wir sehen es noch nicht als Trend.“ | |
Die Innung sieht irgendwann alle Auszubildenden in der Stadt, weil sie die | |
überbetriebliche Lehrunterweisung und Gesellenprüfungen durchführt. „Die | |
meisten Frauen, die in den Beruf einsteigen, haben einen gewissen Kontakt | |
aus der Kindheit damit“, sagt Koch-Martin. „Es kommt sehr selten vor, dass | |
Frauen aus heiterem Himmel Anlagenmechanikerinnen werden.“ | |
So auch bei Tschichholz. Sie verbrachte ihre Kindheit in dem Büro, in dem | |
sie heute selbst arbeitet. Dabei neigte sie als Kleinkind nicht dazu, | |
Zangen oder Rohre in die Hand zu nehmen. Lieber spielte sie Reisebüro und | |
versuchte, den Kund:innen, die eigentlich Beratung für die Renovierung | |
ihres Badezimmers oder die Erneuerung ihrer Gasheizung suchten, fiktive | |
Weltreisen zu verkaufen. | |
Auch als Erwachsene wollte Tschichholz zunächst nichts mit Heizungen und | |
Klimaanlagen zu tun haben. Viel lieber wollte sie Physiotherapeutin werden. | |
Doch nach dem Abitur war ihr der theoretische Weg zu mühsam. Sie wollte | |
direkt in die Arbeit einsteigen, also begann sie als Auszubildende bei | |
ihrem Vater. „Ich bin da wirklich reingerutscht“, sagt sie, „ich hatte | |
keine Ahnung, wie der Job sein würde.“ Weder sie noch ihr Bruder seien dazu | |
gedrängt worden, den Familienbetrieb zu übernehmen. Sie glaubt jedoch | |
nicht, dass sie [4][ohne die familiäre Verbindung ihren Weg in den Beruf | |
gefunden hätte.] | |
## Traditionsreiches Unternehmen | |
Tschichholz mag mit ihrem Geschlecht eine Tradition brechen. Doch die | |
meisten der restlichen Gepflogenheiten, die im Betrieb Tschichholz über | |
Generationen weitergegeben wurden, hat sie übernommen. Wie ihre Mutter | |
kommt auch ihr Mann aus Süddeutschland, was natürlich Zufall ist. Weniger | |
dem Schicksal überlassen ist die Tatsache, dass ihr Mann, wie auch die | |
Ehefrauen ihres Vaters und Großvaters, die Büroarbeit des Betriebs | |
übernimmt. | |
Ein Mann mit Hosenträgern und breitem Lächeln sitzt im Hinterzimmer des | |
Büros und stellt sich als Herr Tschichholz vor. Er hat den Nachnamen von | |
seiner Frau übernommen, weil er so viel Tradition hat. Nach mehr als 100 | |
Jahren solle sich der Firmennamen nicht ändern. Seit der Hochzeit habe er | |
sich nicht ein einziges Mal versehentlich mit seinem Geburtsnamen | |
vorgestellt, erzählt er. | |
Die Stammkunden wissen alle, wer das technische Fachwissen hat, sagt Andrea | |
Tschichholz. Neue Kunden denken aber oft, ihr Mann sei der | |
Anlagenmechaniker und sie die Bürokraft. „Neulich wurde ich sogar für | |
Tschichholz Senior gehalten“, sagt Nicolas Tschichholz. [5][Vielleicht | |
lassen sich Geschlecht, Gender und die traditionelle Rollenverteilung in | |
einem Familienbetrieb selbst in diesem Laden doch nicht ganz ausschalten.] | |
8 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tschichholz-berlin.de/de | |
[2] /Sexismus-und-Belaestigung-im-Handwerk/!5857800 | |
[3] https://www.shk-berlin.de/ | |
[4] /Petition-der-Woche/!5844741 | |
[5] /Equal-Pay-Day/!5993651 | |
## AUTOREN | |
Clara Suchy | |
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