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# taz.de -- Folgen von Corona fürs Bildungssystem: Dauerbaustelle Personal
> Die Pandemie verschärft die Probleme im Bildungssystem, so der
> Bildungsbericht 2022. Er warnt: Der Fachkräftemangel wird sich noch
> verschärfen.
Bild: Hatschi! Als Kitas und Schulen geschlossen waren, war es hart für Kinder…
Berlin taz | Weniger Auszubildende, schwächere Lesekompetenzen bei
Viertklässler:innen, allgemeiner Digitalisierungsschub. An vielen Stellen
im Nationalen Bildungsbericht 2022, der am Donnerstagmittag in Berlin
vorgestellt worden ist, lassen sich die Folgen von Corona ablesen. „Die
Pandemie hat das Bildungsgeschehen in den vergangenen zwei Jahren erheblich
beeinflusst“, sagte der Geschäftsführende Direktor am Leibniz-Institut für
Bildungsforschung und Bildungsinformation, Kai Maaz.
Tatsächlich bestätigt der vorgelegte Bericht „[1][Bildung in Deutschland
2022]“ viele Beobachtungen, die Schulen und Ministerien, Krankenkassen und
Bildungsforscher:innen seit Anfang 2020 zusammentragen. Etwa, dass
die vergangenen zwei Jahre viele Betroffene psychisch belastet haben. Oder
dass sozial benachteiligte Kinder stärker von Einschnitten wie Kita- und
Schulschließungen betroffen waren.
Der Bericht leuchtet aber auch weniger bekannte Folgen aus: etwa die
Probleme, die VHS- und Integrationskurse bei der Umstellung auf digitale
Formate hatten. Oder den besonders starken Einbruch bei der dualen
Ausbildung. Die Autor:innen betonen aber, dass die Folgen von Corona auf
die Bildungswege von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen noch nicht
vollständig absehbar seien.
Das liegt zum Teil auch an den Daten. So wurden im Jahr 2021 große
Vergleichsstudien wie Pisa verschoben. Ob [2][die niedrigeren Kompetenzen],
die einige Bundesländer bei Grundschüler:innen im Vergleich zu
Vorpandemiejahren gemessen haben, deutschlandweit und auch für andere
Altersklassen gelten, können die Bildungsforscher:innen nicht sagen.
„In Deutschland ist das Bildungsmonitoring nicht engmaschig genug“, heißt
es in dem Bericht.
## Aufholprogramm versagt
Auch Lehrerverbandschef Heinz-Peter Meidinger hält fehlende Daten für ein
Problem. „Spätestens Anfang des kommenden Schuljahres brauchen wir
bundesweit vergleichbare Lernstandserhebungen, um den Handlungsbedarf
ehrlich einschätzen zu können“, forderte Meidinger vor Beginn der
Kultusministerkonferenz (KMK) an diesem Donnerstag. Aus seiner Sicht
erreicht das Aufholprogramm von Bund und Ländern zu wenige der betroffenen
Schüler:innen.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte: „Die
Lernrückstände sind enorm.“ Und mit Blick auf den Bildungsbericht forderte
Stark-Watzinger: „Unser Bildungssystem muss besser werden.“ Unter anderem
sprach sie sich für eine schnellere Digitalisierung und mehr
Chancengerechtigkeit aus.
Alle zwei Jahre erhalten Bund und Länder mit dem Nationalen Bildungsbericht
eine umfassende Übersicht über die Entwicklungen in den Bereichen
frühkindliche Bildung, Schule, berufliche Bildung, Hochschule und
Erwachsenenbildung. Für viele Bereiche stellen die Autor:innen in dem
aktuellen Bericht positive Entwicklungen fest, wenn auch oft mit
Einschränkungen.
So sind beispielsweise die Betreuungsquoten für Kitas und Ganztagsangebote
an Grundschulen in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Allerdings
können die Bedarfe der Eltern nicht gedeckt werden. Ein Problem, wenn die
Politik den ab 2026 schrittweise geltenden [3][Rechtsanspruch auf
Ganztagsbetreuung] an Grundschulen einhalten möchte. Viele Trends und
Problemlagen im aktuellen Bericht, so Kai Maaz, habe die Bildungsforschung
bereits vor der Pandemie beobachtet.
## Soziale Ungleichheit bleibt
Beispielsweise die anhaltend hohe soziale Ungleichheit. „Die Abhängigkeit
des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft hat sich in den vergangenen
20 Jahren nicht wesentlich verbessert“, sagte Maaz. Nach wie vor machen nur
31 von 100 Kindern aus sozial benachteiligten Familien Abitur oder
Fachabitur, bei Kindern aus besser gestelltem Elternhaus sind es 79.
Dass die sozialen Unterschiede trotz aller Anstrengungen in der
Frühkindlichen Bildung nicht abnehmen, erklärt Maaz damit, dass es sich bei
Kitas und Ganztag nach wie vor um Betreuungsangebote handle, und nicht um
Bildungsangebote: „Als Ungleichheitsforscher sehe ich zwar eine große
Expansion der frühkindlichen Bildung – diese Expansion zielt aber nicht auf
den Erwerb von Kompetenzen.“ Folglich könnten Betreuungsangebote im Vor-
und Grundschulalter auch keine Leistungsrückstände kompensieren.
Dazu kommt aus Maaz' Sicht ein weiteres Problem: „Es gibt viele Maßnahmen,
um die soziale Ungleichheit im Bildungssystem abzufedern. Wenn dann aber
einige Kinder die Bildungsstandards nicht erreichen, bleibt das oft
folgenlos“. Weil diese Kinder aber meistens die sind, die aufgrund ihres
sozioökonomischen Hintergrunds ohnehin schon Nachteile haben, würden die
sozialen Unterschiede so reproduziert.
Als das zentrale Problem für die kommenden Jahre macht der Bildungsbericht
aber den Personalmangel aus. In den vergangenen zehn Jahren ist das
Personal vor allem in der frühkindlichen Bildung stark gestiegen. Bis 2025
werden allein in dem Bereich geschätzt 75.200 Fachkräfte fehlen. An den
Schulen werden es 30.000 bis 2030 sein. Dass die Pandemie die Lage noch
verschärft hat, zeigt eine [4][repräsentative Befragung von Lehrkräften]
durch die Robert Bosch Stiftung Anfang Juni. Demnach möchte jede zehnte
Lehrkraft wegen der Überlastung im kommenden Schuljahr ihre Stelle
reduzieren.
KMK-Präsidentin Karin Prien sagte, dass die Länder das Problem erkannt
hätten und sich verstärkt auf die Lehrkraftgewinnung und -qualifizierung
konzentrieren würden. Prien will etwa die Abbruchquoten bei
Lehramtsstudierenden senken. Positiv sieht Prien die zunehmende
Durchlässigkeit des Bildungssystems.
Tatsächlich holen etwa drei von vier Schulabbrechern ihren Abschluss binnen
vier Jahren nach. „Offenbar bietet der zweite Bildungsweg viele
Möglichkeiten, dass ein Großteil dieser Jugendlichen einen Abschluss in
kurzer Zeit nachholen kann“.
23 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.bildungsbericht.de/de
[2] /Bildungsoekonomin-ueber-Coronafolgen/!5805187
[3] /Ganztagsbetreuung-an-Grundschulen/!5799348
[4] /Deutsches-Schulbarometer-zu-Corona/!5860127
## AUTOREN
Ralf Pauli
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