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# taz.de -- Schulen im Herbst und Winter: Äußerst kritische Infrastruktur
> Der Bund will ab Oktober wieder Masken im Unterricht erlauben. Für die
> Pandemie scheinen die Schulen gerüstet. Was aber, wenn im Winter das Gas
> fehlt?
Bild: Lüften, lüften, lüften: Schüler:innen dürfen sich wieder auf kalte K…
Berlin taz | Am Mittwoch startet Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland
ins neue Schuljahr. Die Woche darauf folgen Mecklenburg-Vorpommern,
Schleswig-Holstein und Hamburg. Und die Liste an Sorgen ist groß in den
Bildungsministerien, nicht nur in Düsseldorf und im Norden.
Viele Schüler:innen haben nach zwei Jahren Pandemie erhebliche
Lernrückstände. Grundschüler:innen rechnen, lesen und schreiben
deutlich schlechter als noch vor zehn Jahren, zeigt eine [1][aktuelle
bundesweite Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen]
(IQB). Dazu kommt: An allen Enden fehlt qualifiziertes Personal.
An bayerischen Grund- und Mittelschulen fallen deshalb im neuen Schuljahr
höchstwahrscheinlich Unterrichtsangebote aus, wie ein zerknirschter
Minister Michael Piazolo (Freie Wähler) kürzlich einräumen musste.
Sachsen-Anhalt will an einigen Schulen nach den Ferien die Viertagewoche
erproben, auch wenn das offiziell nichts mit den unbesetzten Stellen zu tun
haben soll.
Immerhin eine Sorge vor dem neuen Schuljahr scheint sich gerade aufgelöst
zu haben: Vergangene Woche hat die Ampel [2][einen Entwurf des
Infektionsschutzgesetzes] vorgelegt, das ab Oktober gelten soll. Wird es in
der vorliegenden Form verabschiedet, dürfen die Bundesländer dann unter
anderem wieder die Maskenpflicht in Innenräumen anordnen – also auch an
Schulen, allerdings erst ab der fünften Klasse. Auch eine Testpflicht vor
Unterrichtsbeginn soll möglich sein. Beide Maßnahmen halten die
Bildungsminister:innen für sinnvoll, sollte sich das
Infektionsgeschehen im Herbst nochmal deutlich verschlechtern.
## Länder wollen mitreden
Dennoch blicken die Ministerien teils skeptisch auf die Coronapläne des
Bundes, wie eine Umfrage der taz unter den Ländern zeigt. Hamburgs
Bildungssenator Ties Rabe (SPD) begrüßt zwar, dass die Länder wieder
„selbst über eine Testpflicht und eine Maskenpflicht ab der fünften Klasse
entscheiden können“. Auch aus Niedersachsen, Bremen, Bayern,
Rheinland-Pfalz und Sachsen gibt es prinzipielle Zustimmung, vor allem zum
weiterhin geltenden Verbot allgemeiner Schulschließungen.
„Schulschließungen und Unterrichtseinschränkungen darf es im Interesse und
zum Wohle unserer Kinder nicht mehr geben, ohne Wenn und Aber!“, sagt die
Bremer Bildungssenatorin Sascha Karolin Aulepp (SPD) zur taz. „Deshalb
begrüße ich die klare Haltung hierzu in den jetzt gemachten Vorschlägen.“
Gleichzeitig kritisieren mehrere Länder, dass die Details zu den Maßnahmen
an Schulen noch nicht geklärt seien. So soll die Maskenpflicht
beispielsweise nur dann möglich sein, „wenn dies zur Aufrechterhaltung
eines geregelten Präsenz-Unterrichtsbetriebs erforderlich ist“. Wann genau
dieser Fall eintritt, beantwortet die Ampel jedoch nicht. „Der Entwurf
enthält für die Schulen noch einige unklare Formulierungen“, heißt es
beispielsweise aus Hessen.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU), forderte
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf, „zu einem Meinungsaustausch“
mit den Ländern zusammenzukommen – „wie vor wenigen Wochen öffentlich
avisiert“. Nach den Plänen der Bundesregierung soll das neue
Infektionsschutzgesetz im September von Bundestag und Bundesrat beschlossen
werden und ab 1. Oktober gelten. Danach müssen die Länder die neuen Regeln
jedoch noch in Landesrecht umsetzen.
## Appelle statt Vorgaben
Für die ersten Schulwochen heißt das: Eine allgemeine Maskenpflicht wird es
nicht geben, trotz der zu [3][erwartenden steigenden Infektionszahlen zum
Ferienende]. Die Länder appellieren deshalb an die Eigenverantwortung von
Eltern und Schüler:innen. In Nordrhein-Westfalen hat Schulministerin
Dorothee Feller (CDU) vor dem Schulstart zum freiwilligen Masketragen und
Testen aufgerufen. Auch andere Länder wollen es zunächst ohne strenge
Testpflicht versuchen. Der Wunsch nach Normalität ist groß, dem wollen die
Ministerien Rechnung tragen. Auch Bundesbildungsministerin Bettina
Stark-Watzinger (FDP) will dafür „kämpfen“, dass das Schuljahr „so norm…
werde, „wie es nur möglich ist“.
NRW-Lehrerverbandschef Andreas Bartsch hingegen kritisiert, dass den
Bundesländern „jegliche verbindliche und gesetzliche Regelung“ zum Schutz
vor Corona fehle. Antonietta Zeoli, Vorsitzende der
Schulleitungsvereinigung im Land, schätzt, dass nur 70 bis 80 Prozent der
Schüler:innen freiwillig eine Maske aufziehen werden – und warnt vor
beträchtlichem Unterrichtsausfall.
Im Vergleich zu den Vorjahren kommt in diesem Winter noch eine weitere
Sorge hinzu: die Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine für
die deutsche Energiesicherheit. Zwar zählen Schulen im Notfallplan Gas des
Bundeswirtschaftsministeriums zu den „geschützten Kunden“. Streng genommen
sind Schulen und andere Bildungseinrichtungen aber keine „kritische
Infrastruktur“, die im Notfall in jedem Fall weiter versorgt werden muss.
Die grüne Bildungsministerin Theresa Schopper aus Baden-Württemberg hat als
Erste den Schulen eine Art Gas-Garantie ausgesprochen: „Wir haben beim
Gasgipfel [der Landesregierung] festgehalten, dass Schulen und Kindergärten
zur kritischen Infrastruktur dazugezählt werden“, sagte sie vergangene
Woche der Deutschen Presseagentur. „Der Lebensraum Schule ist für unsere
Kinder und Jugendlichen unendlich wichtig, das hat Corona gezeigt. Deshalb
würde ich auch bei einer Gasmangellage nicht mein Okay für
Schulschließungen geben“.
## Besorgte Kommunen
Die grün-schwarze Landesregierung in Stuttgart hat sich – wie andere Länder
auch – zu einem [4][Energie-Sparkurs] verpflichtet und erwartet, dass auch
die Kommunen ihren Anteil leisten. Wie sehr die hohen Energiepreise die
Kommunen belasten, davon kann der Bürgermeister von Bretten, Michael
Nöltner, berichten. Von den rund 100 Millionen Euro, die der Stadt nahe
Karlsruhe im Jahr zur Deckung laufender Ausgaben und Investitionen zur
Verfügung stehen, fallen rund 1,5 Millionen für das Heizen von öffentlichen
Gebäuden an. Im nächsten Jahr dürfte dieser Posten wegen der steigenden
Energiekosten auf 3 Millionen anschwellen, schätzt Nöltner.
Bei den Schulen sieht er jedoch wenig Einsparmöglichkeit, zumindest beim
Heizen: „Wir haben den Schulen in den vergangenen zwei Jahren schon viel
zugemutet“, sagt er zur taz. „Irgendwann ist eine Grenze erreicht.“ Nölt…
meint damit auch die Temperatur in den Klassenzimmern: Noch kälter als in
den beiden Corona-Wintern mit dem ständigen Lüften hält er für nicht
vertretbar.
Was nicht heißt, dass an Schulen nicht gespart werden kann. Als
Vorzeigeschule nennt Nöltner das Brettener Edith-Stein-Gymnasium, mit dem
die Stadt vor drei Jahren folgenden Deal eingegangen ist: Spart das
Gymnasium Strom oder Wärme, bekommt es ein Drittel der Einsparungen zur
freien Verfügung ausbezahlt, ein weiteres Drittel investiert die Stadt in
die energetische Sanierung des Schulgebäudes, den Rest streicht die Stadt
ein.
Rund 8.200 Euro hat die Schule in den drei Jahren so gespart, vor allem
über den achtsamen Umgang mit Energie. In den beiden Corona-Wintern waren
die Einsparungen jedoch deutlich geringer als im Jahr davor. Dennoch wäre
dem Bürgermeister geholfen, wenn alle sieben Grundschulen und fünf
weiterführenden Schulen in Bretten so viel Energie sparten. „Wenn ich die
durchschnittlichen Ersparnisse des Edith-Stein-Gymnasiums auf alle Schulen
in der Stadt übertrage, lassen sich im Jahr bestimmt 40.0000 bis 50.000
Euro sparen“, so Nöltner. Ein Anfang.
In den Ministerien setzt man bislang offenbar auf das eigenverantwortliche
Energiesparen an Schulen. Konkrete Sparvorgaben, so teilen die Länder auf
Anfrage der taz mit, werde man den Schulen nicht machen. Schließlich sind
für die Energieversorgung die Schulträger, also in der Regel die Kommunen,
verantwortlich. Mit den kommunalen Spitzenverbänden sei man derzeit im
Austausch.
9 Aug 2022
## LINKS
[1] /tmp/mozilla_rpauli0/IQB_BT2021_ErsteErgebnisse_Kurzbericht.pdf
[2] /Vorstellung-des-Infektionsschutzgesetzes/!5868140
[3] /Debatte-um-Maskenpflicht-und-Schliessung/!5867184
[4] /Energiesparplaene-des-Staates/!5863930
## AUTOREN
Ralf Pauli
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