# taz.de -- Studie zu Ganztagsbetreuung: 100.000 Fachkräfte fehlen bis 2030 | |
> Nicht alle Bundesländer werden den Rechtsanspruch für Ganztagsbetreuung | |
> an Grundschulen umsetzen können. Die Bertelsmann Stiftung warnt. | |
Bild: Niemand da? Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung verschärft den Pers… | |
BERLIN taz Für eine personell gut ausgestattete Ganztagsbetreuung an | |
Grundschulen und im Hort fehlen im Jahr 2030 fehlen mehr als 100.000 | |
Fachkräfte. Das zeigt [1][eine Studie der Bertelsmann Stiftung], die am | |
Dienstag in Gütersloh vorgestellt worden ist. Auf den nahenden | |
Rechtsanspruch für Ganztagsförderung an Grundschulen, der ab 2026 | |
schrittweise gilt, sehen die Autor:innen des „Fachkräfte-Radars“ die | |
Bundesländer unterschiedlich gut vorbereitet. | |
Vor allem in Westdeutschland lasse sich der Rechtsanspruch nur mit einem | |
„deutlich erhöhten Angebot an Fachkräften“ einführen, warnen die | |
Autor:innen. Dafür aber müsste die Ausbildung massiv hochgefahren werden. | |
Aktuell nehmen in den westdeutschen Bundesländern nur 47 Prozent der | |
Grundschüler:innen ein Ganztagsangebot und 18 Prozent im | |
Übermittagsangebot bis 14:30 Uhr wahr. Sollte im Jahr 2030 jedes Kind eine | |
volle Betreuung beanspruchen, wären dafür über eine halbe Million neuer | |
Plätze und 76.000 zusätzliche Fachkräfte erforderlich. | |
In den ostdeutschen Bundesländern, wo die Teilnahmequote am Ganztag mit | |
durchschnittlich 83 Prozent deutlich höher liegt, könnten im Jahr 2030 zwar | |
alle Kinder betreut werden – allerdings nur mit mauen Betreuungsschlüsseln. | |
Aktuell kümmert sich eine Fachkraft an ostdeutschen Horten im Schnitt um 14 | |
Kinder – im Westen sind es 6. Auch bei der Relation von | |
Grundschullehrer:innen zu Schüler:innen steht der Osten schlechter | |
da. Wollen die entsprechenden Bundesländer ihren Personalschlüssel an den | |
im Westen angleichen, wären allein dafür 26.000 zusätzliche Fachkräfte | |
erforderlich. | |
Aus Sicht vieler Bildungsminister:innen ist das Wunschdenken. | |
„Sicherlich wünschen wir uns alle eine optimale Betreuung für unsere | |
Kinder. Aber es muss in der Realität umsetzbar sein“, sagte etwa Sachsens | |
Kultusminister Christian Piwarz (CDU) am Dienstag zu den Forderungen der | |
Bertelsmann Stiftung. Um auf den Personalschlüssel 1:6 zu kommen, müsste | |
sein Bundesland 13.750 neue Erzieher:innen allein im Hort anstellen – | |
Personal, das es laut Piwarz „auf dem Arbeitsmarkt leider nicht“ gebe. Die | |
Bildungschancen der Kinder könnten nicht allein am Betreuungsschlüssel | |
festgemacht werden, so Piwarz. | |
## Nur drei Bundesländer ohne Personalmangel | |
Laut der Bertelsmann-Studie können im Jahr 2030 lediglich drei Bundesländer | |
allen Grundschüler:innen eine gute Ganztagsförderung bei | |
gleichbleibenden oder verbessertem Personalschlüssel anbieten: Hamburg, | |
Berlin und Thüringen. „Das heißt aber nicht, dass in den drei Ländern schon | |
alles gut ist“, sagt Anette Stein, Direktorin im Programm Bildung und Next | |
Generation der Bertelsmann Stiftung der taz. | |
So fehlten im Hamburg und Berlin ausreichend Fachkräfte für kindgerechte | |
Personalschlüssel in den Kitas, in Thüringen sollte die Personalausstattung | |
für den schulischen Ganztag an den westdeutschen Schnitt angepasst werden. | |
Auch in den anderen östlichen Bundesländern gilt es, die | |
Personalausstattung im Ganztag zu verbessern und hierfür auch die | |
gesetzlichen Grundlagen anzupassen. | |
Im schlimmsten Fall könnten in den Ländern ausgebildete Fachkräfte dort | |
nicht für eine bessere Ganztagsförderung eingesetzt werden, warnt Stein: | |
„Wenn die Landesregierung keine verbindliche Personalausstattung | |
vorschreibt, bekommen die Träger Personalkosten für Verbesserungen nicht | |
refinanziert“. | |
Tatsächlich fordern Träger wie Diakonie und andere Wohlfahrtsverbände schon | |
lange bundeseinheitliche Standards – wie sie für Kitas bereits bestehen. | |
Ein unerklärliches Versäumnis, findet auch Stein: „Mich überrascht, dass | |
ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung eingeführt wird, ohne die | |
Standards für die Personalausstattung gleich mitzudefinieren“. Das betreffe | |
nicht nur den Personalschlüssel, sondern auch die Qualifikation des | |
Personals. Die Folge: Personalausstattung und -bezahlung gleichen bei der | |
Ganztagsbetreuung selbst innerhalb vieler Bundesländer einem | |
Flickenteppich. | |
## Dauerproblem Personal | |
Die Folge: Personalausstattung und -bezahlung gleichen bei der | |
Ganztagsbetreuung selbst innerhalb vieler Bundesländer einem | |
Flickenteppich. Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied für den | |
Organisationsbereich Schule, kritisiert, dass die Länder diese Daten | |
bislang noch nicht mal erheben: „Es ist unglaublich, dass wir bundesweit | |
keinen empirischen Überblick haben, welche Berufsgruppen überhaupt derzeit | |
im Ganztag beschäftigt und inwieweit diese prekär beschäftigt sind.“ | |
Bensinger-Stolze nimmt den Bund in die Pflicht, qualitative | |
Rahmenbedingungen zu setzen. | |
Im vergangenen September haben Bund und Länder den Rechtsanspruch auf | |
Ganztagsbetreuung in der Grundschule beschlossen. Ab dem Schuljahr | |
2026/2027 greift die Regelung bei Kindern der 1. Klasse, ab 2029/2030 bei | |
allen Klassen. Der Bund zahlt den Ländern für den Ausbau bis zu 3,5 | |
Milliarden Euro. | |
Bildungsforscher:innen sehen jedoch weniger beim Geld das Problem – | |
als im Personal. Gerade erst hat der [2][Nationale Bildungsbericht] vor | |
einem erheblichen Fachkräftemangel im Bildungssystem gewarnt. Demnach | |
fehlen bis 2025 allein in den Kitas 72.500 Fachkräfte. Trotz der | |
Anstrengungen von Bund und Ländern, mehr Erzieher:innen auszubilden. | |
Durch den Rechtsanspruch im Ganztag wird der Mangel in der frühkindlichen | |
Bildung noch verschärft. | |
Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung fordert deshalb, den Beruf | |
attraktiver zu machen: „Wir wissen aus dem System Kita, dass viele den | |
Beruf wählen, weil sie gerne mit Kindern arbeiten, ihn aber wegen der hohen | |
Arbeitsbelastung wieder verlassen“. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen | |
sei deshalb zentral. Also bessere Bezahlung, höhere Personalschlüssel, | |
bessere Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten für Kita-Angestellte. | |
Stein erinnert auch an das Ursprungsversprechen der Ganztagsschule: die | |
Chancenungleichheit im Land abzubauen. Wie wenig es die Ganztagsangebote | |
jedoch schaffen, die sozialen Unterschiede abzufedern, hat vor kurzem erst | |
Bildungsforscher Kai Maaz angeprangert. Anette Stein wundert das nicht: | |
„Kita und auch Ganztag können schwerlich die unterschiedlichen Startchancen | |
kompensieren, wenn die Mitarbeiter:innen aufgrund der schlechten | |
Personalausstattung kaum auf die Bedürfnisse einzelner Kinder eingehen | |
können“. | |
5 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/fachkr… | |
[2] /Folgen-von-Corona-fuers-Bildungssystem/!5859851 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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