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# taz.de -- Zwei Jahre Coronapandemie: Zeit für „Danke Omikron!“-Shirts
> Corona ist nicht vorbei, leider. Aber dank Omikron dürfen wir uns endlich
> von Regeln verabschieden, die ohnehin nur scheinbar Sicherheit
> versprechen.
Bild: Coronaviren als Pralinen: Wir können uns wohl auf einen lebendigen Somme…
Erinnert sich noch jemand an Karl Lauterbach? Diesen Gesundheitsminister,
[1][der Anfang April verkündete], im Mai sei eine Quarantäne für
Corona-Infizierte ohne Symptome nicht mehr angemessen? Der einen Shitstorm
erntete und Rücktrittsforderungen gerade auch in der Social-Media-Welt, die
ihn nur Monate zuvor erst ins Amt getwittert hatte? Der noch am selben
Abend, nein, nicht zurücktrat, aber einen Schritt zurück tat und in einer
Talkshow bei Markus Lanz die angekündigte Lockerung gleich wieder cancelte?
Der Fall zeigt, wo wir nach zwei Jahren Corona stehen. Genauer gesagt: nach
zwei Jahren erhitzter Debatte. Zwei Jahre, in denen die
Querdenker:innen mit Verschwörungsfantasien sprachlos machten. Zwei
Jahre aber auch, in denen das „Team Vorsicht“ seine meist mehr als
berechtigten Warnungen so oft wiederholen musste, dass es einigen nun
schwerfällt, wieder loszulassen.
Lauterbach musste seinen Vorstoß nicht zurückziehen, weil er Unsinn war.
Die mit der Aufhebung der Quarantänepflicht einhergehende Entlastung der
Gesundheitsämter wäre eigentlich überfällig. Der Gesundheitsminister hat
davon abgesehen, weil ihm die Reaktionen gezeigt hätten, dass es
„psychologisch das falsche Signal“ gewesen wäre. Gerade von
Vertreter:innen des „Teams Vorsicht“ war ihm vorgeworfen worden, die
Pandemie zu verharmlosen.
Es ging also nicht darum, ob eine Maßnahme sinnvoll sein könnte, sondern
nur, ob sie auch richtig verstanden wird. Das ist wahrlich keine gute
Voraussetzung für eine sachliche Debatte. Dabei wäre es eigentlich endlich
Zeit, ein wenig Luft abzulassen. Tief durchzuatmen (ja, das kann man
wieder). Und ein „Danke Omikron!“-T-Shirt überzuziehen.
## Seit Wochen sinkt die Fallkurve
Das war schon Anfang April absehbar. Die Entwicklung der Coronazahlen in
den letzten Wochen aber lässt es überdeutlich werden. Zwar hat die
Omikron-Variante, die seit Jahresbeginn in Deutschland dominiert, [2][die
erwartete gigantische Infektionswelle] ausgelöst. Allein in den letzten
drei Monaten Februar, März und April wurden 15 Millionen Neuansteckungen
registriert, in den zwei Jahren zuvor waren es insgesamt nur 10 Millionen.
Doch schon seit sieben Wochen [3][sinkt die Fallkurve kontinuierlich].
Aktuell werden zwei Drittel weniger Infektionen registriert als beim
Höchststand der Omikron-Welle Ende März.
Skeptiker vom „Team Vorsicht“ geben nun zu bedenken, dass ja anders als
noch vor wenigen Wochen kaum mehr getestet werde. Und ohne Tests sehe man
die Pandemie nur nicht. Das wäre nicht von der Hand zu weisen, wenn nicht
auch andere, weniger anfällige Indikatoren das Abflauen der fünften
Coronawelle belegten.
Die Hospitalisierungsrate, mit der das Robert Koch-Institut die Belastung
der Krankenhäuser durch Coronapatient:innen bemisst, ist wieder auf
ein Niveau gesunken, wie es zuletzt Ende Januar gemessen wurde. Und
wichtiger noch: Die Zahl der Covid-19-Patient:innen, die auf
Intensivstationen behandelt werden müssen, [4][ist so niedrig wie seit
Anfang September nicht mehr.] Von einem Zusammenbruch der
intensivmedizinischen Versorgung durch Überlastung, wie er im Dezember kurz
bevorstand, sind wir aktuell weit entfernt. Dank Omikron!
Denn diese Coronavariante hat sich an die ersten Erkenntnisse der
Wissenschaftler:innen gehalten. Sie ist zwar mehr als zehnmal so
ansteckend wie ihre Vorgängerinnen. Aber sie führt auch – in Kooperation
mit den vielen Impfungen – zu deutlich weniger schweren Erkrankungen. Und
damit relativ auch zu weniger Toten.
Unter Omikron werden nur noch etwa 12 Coronatote pro 10.000 registrierten
Infektionen beobachtet. Bei der Vorgängervariante Delta waren es Ende 2021
noch bis zu 10 Mal mehr – trotz hoher Impfquote. Während der dritten Welle
Anfang 2021 waren es sogar gut 25 Mal so viele. Da war Corona tatsächlich
die furchterregende Pandemie, von der man noch nicht viel weiß, der man
gerade deshalb alles Mögliche entgegenstellen musste. Laut der aktuellen
Sterberate ist eine Coronainfektion – ja, tatsächlich – sogar harmloser als
eine Grippe. Dank Omikron.
Liegen diejenigen also falsch, die laut beklagen, dass die Pandemie seit
dem weitgehenden Wegfall nahezu aller Beschränkungen nur nicht mehr gesehen
werde? Tatsächlich scheint es so, als könne die Dunkelziffer aktuell höher
liegen denn je. Aber selbst das belegt nicht die Schwere der Pandemie,
sondern das Gegenteil. Wenn es viel mehr Infizierte gibt als von der
Statistik erfasst, dennoch aber die Patient:innenzahl in den Kliniken
und die Zahl der Todesfälle nicht steigt, sondern sinkt, dann ist Corona im
Frühling 2022 wirklich noch viel harmloser, als es die offizielle Statistik
zeigt. Dank Omikron.
## Corona wird endemisch
Ist Corona also vorbei? Leider nein. Im Gegenteil, wir werden damit leben
müssen. Es tritt so langsam ein, was Virologen wie Christian Drosten von
der Charité schon Anfang des Jahres vorhergesagt hatten. Corona wird
endemisch und zu einem der vielen Viren, denen wir im Laufe unseres Lebens
immer wieder begegnen werden. Wir gewöhnen uns daran.
Medizinisch betrachtet heißt das: Unsere Körper, die vor zwei Jahren noch
nicht wussten, was sie Corona entgegensetzen sollten, haben
Abwehrmechanismen entwickelt. Mit jeder Begegnung mehr. Und Omikron hat
ihnen dabei entscheidend geholfen – gerade weil es so viele Menschen so
schnell erreicht hat.
Drosten hatte die Omikron-Variante schon im Januar als
„Nachdurchseuchungsvirus“ und im Grunde „perfektes erstes endemisches
Virus“ bezeichnet. Mittlerweile sieht er sich bestätigt. Vor wenigen Tagen
freute sich der Charité-Mediziner [5][auf Twitter über aktuelle
Forschungsergebnisse]. Durch die Omikronwelle sei die Immunität in der
Bevölkerung offensichtlich so sehr gestiegen, dass nun die Schwere der
Erkrankungen bei weiteren Infektionen nachlasse. Dank Omikron.
Der Preis allerdings, den die Gesellschaft für diese auch bei Ungeimpften
erhöhte Immunität durch Gewöhnung zahlen musste, zahlen muss, ist brutal
hoch. Das darf man nicht vergessen. Seit Anfang Februar starben noch mal
rund 18.000 Menschen an Corona, an Omikron. Das waren zwar ein paar Tausend
weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, aber immer noch unfassbar
viele. Hinzu kommen die unzähligen mit Long Covid Erkrankten und das durch
die Allgegenwart des Virus nochmals gestiegene Risiko für Vorerkrankte.
## Tschüss, scheinbare Sicherheit
Aber man muss auch wissen: Keine Coronapolitik, nicht einmal [6][die
härteste Zero-Covid-Strategie à la China] ist imstande, sämtliche Opfer zu
verhindern. Es wird immer Menschen geben, die durchs Raster fallen, vor
allem die mit einem erhöhten Risiko. So wie in anderen Bereichen auch.
Gesellschaft ist ein für viele schmerzlicher Kompromiss.
Der Autoverkehr in Innenstädten wird auch nicht komplett verboten, nicht
einmal vor Kitas, obwohl Kinder ein höheres Risiko haben, überfahren zu
werden. Der Alkoholkonsum wird nicht untersagt, nicht einmal an Christi
Himmelfahrt, [7][obwohl statistisch belegt ist,] dass durch die
Vatertagsexzesse rund fünfmal mehr alkoholbedingte Unfälle passieren als an
Durchschnittsdonnerstagen, mehr sogar noch als an Neujahr und am 1. Mai.
Und der [8][Klimawandel] wird nicht gestoppt, [9][obwohl er nachweislich zu
Tausenden Toten durch Hautkrebs führt].
Die zwei Jahre der Coronapandemie haben immerhin gezeigt, dass man die
Kompromisse bei der notwendigen gesellschaftlichen Risikoabwägung auch
anders aushandeln kann als zuvor gewohnt. Dass das Wohl der Allgemeinheit
eine größere Rolle spielen darf als das egoistische Mir-doch-egal. Wenn
diese Erkenntnis auf andere Bereiche übertragen werden könnte, wäre sehr
viel gewonnen.
Zu diesem Abwägen gehört aber auch, sich von nur scheinbar Sicherheit
versprechenden Regeln wieder zu verabschieden. Zum Beispiel von
Quarantäneregeln, die nicht einmal annähernd kontrolliert werden können.
Die Chance dafür wäre gegeben, dank Omikron.
Spielräume zu nutzen, war aber schon vor der Pandemie nicht für alle
einfach. Corona, so sagte vor Kurzem ein ob der trotz hoher Impfquoten
anhaltenden Beschränkungen Frustrierter aus der Kulturbranche, sei die
beste Ausrede für die 70 Prozent der Bevölkerung gewesen, die es schon
vorher nicht vom Sofa geschafft hätte. Die nun endlich einen
gesellschaftlich anerkannten Grund hatten, warum sie nicht ins Kino,
Theater oder Konzert gehen. Die übrigen 30 Prozent können sich nun wohl auf
einen sehr lebendigen Sommer freuen.
Und im Herbst? Kommt vielleicht doch noch eine hochansteckende und zugleich
sehr tödliche „Killervariante“, wie Karl Lauterbach kürzlich befürchtete?
Ausgeschlossen ist das nicht, aber in Sicht ist sie auch nicht. So oder so
gilt: Impfen hilft!
8 May 2022
## LINKS
[1] /Ende-der-Corona-Quarantaene/!5843418
[2] /RKI-zum-Verlauf-von-Omikron/!5829776
[3] https://twitter.com/gereonas/status/1522119372243972096
[4] https://twitter.com/gereonas/status/1522120598381596673
[5] https://twitter.com/c_drosten/status/1520118265552543744
[6] /Schanghai-im-Lockdown/!5844629
[7] https://service.destatis.de/DE/verkehrsunfallkalender/
[8] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262
[9] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/04/PD22_N018_231.…
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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