| # taz.de -- Debatte um Triage: Ein unbegabter Minister | |
| > Er galt mal als Gesundheitsminister der Herzen. Aber mit seiner Politik | |
| > bleibt Minister Karl Lauterbach bisher erfolglos. | |
| Bild: Gerät zunehmend in die Kritik: Gesundheitsminister Karl Lauterbach | |
| Karl Lauterbach ist Experte, wenn es um gesundheitspolitische Fragen geht. | |
| Als Fachpolitiker schien er vielen der Richtige, um das | |
| Gesundheitsministerium in der Pandemie zu leiten. Sie freuten sich, [1][als | |
| er am 8. Dezember Gesundheitsminister wurde.] Zuvor tingelte er monatelang | |
| durch Talkshows, erklärte die Pandemie und kritisierte [2][die | |
| Coronapolitik seines Vorgängers Jens Spahn.] | |
| Dabei nannte er Zahlen, verwies auf Studien und zitierte sehr geschätzte | |
| Kolleg*innen. Aber Loblieder auf Gesundheitsminister Karl Lauterbach – die | |
| singt gerade niemand. Für die einen ist er weiterhin der übertreibende | |
| Mahner, die anderen hat der Fachpolitiker auf dem Ministerposten | |
| enttäuscht. Warum? Das war diese Woche wieder bei der Triage zu beobachten. | |
| [3][Triage ist ein heikles Thema:] Was sollen Mediziner*innen tun, | |
| wenn sie mehr Patient*innen haben als Kapazitäten, um sie zu behandeln? | |
| Im Zweifel entscheiden die Ärzt*innen dabei über Leben und Tod. Das | |
| Bundesverfassungsgericht urteilte im vergangenen Dezember, um solche | |
| Situationen zu regeln, müsse die Bundesregierung ein Gesetz erlassen. | |
| Neun Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen hatten geklagt, | |
| weil sie befürchteten, Mediziner*innen würden sie bei Triage | |
| benachteiligen. Sie bekamen vom Gericht recht, das gelte es zu verhindern. | |
| Nun arbeitet Karl Lauterbach an einem solchen Gesetz. Aber was über den | |
| ersten Referentenentwurf öffentlich bekannt wurde, führte zu Kritik und | |
| Entsetzen. | |
| ## Diskussion über Ex-Post-Triage | |
| Für das meiste Aufsehen sorgte die vorgesehene Ex-Post-Triage: Wären die | |
| Behandlungsmöglichkeiten knapp, hätten demnach drei Fachärzt*innen | |
| gemeinsam die Therapie eines Menschen abbrechen können, um eine andere | |
| Person mit höheren Überlebenschancen zu versorgen. Therapie abbrechen hieße | |
| unter Umständen: sterben lassen. | |
| Corinna Rüffer (Grüne) kritisierte, das wäre juristisch vermutlich als | |
| Totschlag zu werten. Umso erstaunlicher, dass wohl das | |
| Bundesjustizministerium von Marco Buschmann (FDP) auf die Ex-Post-Triage im | |
| Gesetz bestand. Ein kleines Déjà-vu: Die FDP prägt die Gesetze des | |
| Gesundheitsministeriums von Karl Lauterbach. Das irritierte im März | |
| bereits, als Lauterbach das neue Infektionsschutzgesetz vorstellte. | |
| Doch mit der Ex-Post-Triage nicht genug: Unter anderem das Deutsche | |
| Institut für Menschenrechte kritisiert, sie sei nicht das einzige Manko des | |
| Entwurfs. Die dort genannten Kriterien würden Menschen mit Behinderung | |
| nicht schützen, wie vom Verfassungsgericht gefordert. Einige Verbände und | |
| Betroffene argumentieren, das Gesetz sei sowieso beim | |
| Gesundheitsministerium falsch aufgehoben, wenn es um den Schutz von | |
| Menschen mit Behinderung ginge. | |
| ## Schwache Kommunikation | |
| Was Karl Lauterbach dann am Montag tat, war eigentlich nicht überraschend, | |
| betrachtet man seinen bisherigen Stil als Minister: Er zog die | |
| Ex-Post-Triage als Vorschlag zurück und behauptete das Gegenteil. Sie sei | |
| „ethisch nicht vertretbar und weder Ärzten, Patienten noch Angehörigen | |
| zuzumuten.“ Deshalb werde es sie nicht geben. Überraschend war lediglich, | |
| dass er nicht bis zur nächsten Talkshow wartete, um die Kehrtwende | |
| anzukündigen. Kaum einen Monat zuvor hatte er noch genau das getan, als | |
| sein Vorschlag auf Granit stieß, die Quarantäne für Infizierte durch eine | |
| freiwillige Isolation zu ersetzen. | |
| Eins der großen Probleme von Karl Lauterbach scheint die Kommunikation | |
| seiner Politik zu sein. Dabei müsste er die Prozesse gut kennen: Seit 2005 | |
| sitzt er im Bundestag und schon lange tritt er in verschiedenen Rollen im | |
| Fernsehen auf. Dabei präsentierte er sich als der zerzauste Professor und | |
| Politiker mit der postmodischen Fliege um den Hals. Ein bisschen komisch, | |
| aber auch schlagfertig und selbstironisch. | |
| Vor der Pandemie spielte er hin und wieder bei der „Heute Show“ im ZDF mit. | |
| Seit Corona war sein Wissen als Epidemiologe und langjähriger | |
| Gesundheitspolitiker gefragt. 2020 und 2021 war er laut Meedia der | |
| häufigste Gast bei politischen Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender. | |
| Als Lauterbach im Verhörtalk „Chez Krömer“ beim rbb zu Gast war, witzelte | |
| Kurt Krömer: „Sie sind öfter bei Markus Lanz als er selbst.“ | |
| Doch leider ist die aktuelle Situation nicht zum Lachen. Weiterhin sterben | |
| Menschen an Corona. Viele eigentlich Genesene kämpfen mit Long Covid – | |
| unter anderem also mit unerklärlichen Schmerzen, maßloser Erschöpfung oder | |
| kognitiven Störungen. Bisher kämpfen sie ohne erfolgversprechende | |
| Therapien. Wie viele davon genau betroffen sind, ist unklar. Es gibt wenige | |
| Studien, aber zurzeit lässt sich davon ausgehen, dass etwa 5 Prozent der | |
| Geimpften und etwa 10 Prozent der Ungeimpften noch nach mehr als acht | |
| Wochen an Symptomen leiden. | |
| ## Viele Ideen, kaum Umsetzung | |
| Ein Teil davon kann nicht mehr arbeiten. Ihnen stellt sich aber nicht nur | |
| die Frage: Wo kommt das verdammte Geld her? Für sie ist unverständlich, | |
| dass viele Ärzt*innen [4][Long Covid] offenbar nicht ernst nehmen, nicht | |
| diagnostizieren oder regelrecht falsch behandeln. Das geht nicht nur der | |
| früheren taz- und heutigen Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski so. | |
| Online-Selbsthilfegruppen sind voll mit Tausenden von erkrankten Menschen | |
| aus Deutschland, die sich ignoriert fühlen – auch von Karl Lauterbach. | |
| Dabei waren die Erwartungen an ihn hoch, als er Gesundheitsminister wurde. | |
| Er schien genau zu wissen, was Stand der Forschung ist und welches Risiko | |
| Long Covid darstellt. Immer wieder nannte er die Langzeitfolgen als | |
| Argument für eine Impfung. Nur wer sich nicht mit Corona infiziert, ist vor | |
| Long Covid sicher, und Geimpfte haben laut der aktuellen Studienlage ein | |
| geringeres Risiko, anhaltende Symptome zu entwickeln. Unter Lauterbachs | |
| Schirmherrschaft entstand zudem der „Ärzte und Ärztinnenverband Long | |
| Covid“. | |
| Doch auf dessen Website stehen immer noch keine eigenen | |
| Informationsmaterialien. Und zeigte Lauterbach zwar Ideen, setzte sie aber | |
| nicht um. Von einer Impfpflicht konnte er die Regierung nicht überzeugen. | |
| Das sei „insgesamt eine enttäuschende Erfahrung gewesen“, sagte er am | |
| Dienstagabend – na klar – in einer Talkshow der ARD. Enttäuschend ist auch | |
| die Erfahrung, einen so unklaren Kurs bei einem Fachpolitiker zu erleben. | |
| Vielleicht können andere Expert*innen überzeugen, wenn sie regieren | |
| dürfen. Aber seine Amtszeit ist nicht vorbei – noch kann Karl Lauterbach | |
| als Minister überraschen. | |
| 14 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| David Muschenich | |
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