| # taz.de -- Umwelttechnologe über Erreger im Abwasser: „Kein Problem mit dem… | |
| > Mit Abwasseranalysen lässt sich nicht nur die Coronalage einschätzen, | |
| > sagt der Umwelttechnologe Shelesh Agrawal. Auch andere Erreger könne man | |
| > so beobachten. | |
| Bild: Komplexe Probe: Klopapier, Organisches von vielen Individuen und die gesu… | |
| taz: Herr Agrawal, der 7-Tage-Inzidenzwert gilt schon länger nicht mehr als | |
| aussagekräftig, gerade jetzt, weil sich jetzt viele Menschen nicht mehr | |
| testen lassen. Kann das Abwasser-Monitoring das wirklich ablösen? | |
| Shelesh Agrawal: Absolut. In Deutschland machen wir dafür die ersten | |
| Schritte. Aber es gibt Länder wie die Niederlande, Österreich oder | |
| Australien, die machen das Monitoring auf nationaler Ebene. Der Grund ist | |
| da auch, dass die Leute nicht mehr zum Testen gehen und darum diese | |
| „Echtzeit-Information“ fehlen. Dabei spielt das Abwasser eine große Rolle, | |
| denn daran ist sehr einfach zu sehen, wie sich die Situation entwickelt. | |
| Bei unseren Arbeiten erkennen wir, ob es Steigerungen in der Konzentration | |
| gibt oder sie runtergeht. Oder auch welche Varianten momentan da sind. Das | |
| können wir auch auf regionaler Ebene sehen. | |
| Warum hängt Deutschland anderen Staaten hinterher? Die Bundesregierung, ihr | |
| Corona-Expertenrat, Bundesgesundheitsminister Lauterbach oder auch die | |
| Länder [1][sprechen sich doch für das Abwasser-Monitoring aus]. | |
| Einer der Gründe ist, dass es andere Länder leichter mit dem System hatten. | |
| Zum Beispiel in den Niederlanden. Die testen das Abwasser auf Polio schon | |
| seit Jahren. Es gab schon so ein System und sie konnten es dann schnell auf | |
| Corona umsetzen. Wir hatten ein solches System nicht – auch nicht im | |
| wissenschaftlichen Bereich. Wir wussten zwar schon Ende 2020, dass Corona | |
| gut im Abwasser nachweisbar ist. Aber wie das für das Gesundheitssystem | |
| nutzbar ist, das ist nicht unser Fachgebiet. Der Austausch mit den | |
| Gesundheitsämtern steckt immer noch in den Kinderschuhen und daher konnte | |
| bis jetzt kein ganzheitliches System entwickelt werden. | |
| Wie lange wird es dauern, bis die Daten aus dem Abwassermonitoring | |
| öffentlich zugänglich sind? | |
| Aktuell gibt es ein Pilotprojekt, in das auch mehrere Bundesministerien, | |
| verschiedene Stadtwerke und viele Forschungsgruppen, wie wir von der TU | |
| Darmstadt, involviert sind. Das läuft bis zum März im nächsten Jahr. Ziel | |
| ist es, genau zu erfassen, wie auf einer deutschlandweiten Karte die | |
| gesammelten Daten dargestellt und am besten genutzt werden können. Es wird | |
| danach erst entschieden, wie es weitergeht. | |
| 20 Standorte in Deutschland sind beteiligt, an denen Abwasser entnommen | |
| wird. Welche Rolle nimmt die TU Darmstadt ein, bei der Sie arbeiten? | |
| Wir sind hauptsächlich verantwortlich für die Sequenzierung. Das heißt, | |
| unsere Aufgabe liegt darin zu beobachten, wie sich die Varianten | |
| entwickeln. Im Abwasser können wir unterschiedliche Mutationen sehen und | |
| neue Varianten erkennen, bevor sie die WHO oder das Robert Koch-Institut | |
| benennen. So wissen wir auch schon, wo sie sich verbreiten. | |
| Im Oktober 2020 haben Sie mit einer wissenschaftlichen Arbeit begonnen, zum | |
| Langzeitmonitoring von Sars-CoV-2 RNA im Abwasser. [2][Wie lassen sich | |
| Coronaviren] im Abwasser nachweisen? | |
| Man kann es sich so vorstellen: Wir essen den ganzen Tag und am nächsten | |
| Tag gehen wir aufs Klo. Was wir im Körper haben, das ist einfach von Natur | |
| aus so, das landet dann dort. Und das passiert auch mit Sars-CoV-2. Aber | |
| das haben wir nicht jetzt neu mit Corona entdeckt. So wurde etwa in den | |
| 90er Jahren auch Polio in vielen Ländern gemessen. Deshalb kamen wir und | |
| viele Kollegen schnell auf die Idee, dass man Sars-CoV-2 auch im Abwasser | |
| nachweisen kann. | |
| Wie testen Sie das Abwasser? Mit normalen PCR-Tests? | |
| Im Grunde sind die recht ähnlich wie bei einer normalen Probe, die Methode | |
| ist nur ein bisschen angepasst. Es ist eben Abwasser, das heißt, die Probe | |
| an sich ist sehr komplex: Da haben wir Klopapier, viel Organisches und | |
| verschiedenes Material von vielen Individuen. Der schwierige Teil ist, | |
| daraus die Sars-CoV-2 herauszufiltern. Wenn wir diesen ersten Schritt | |
| geschafft haben, ist der Ablauf eins zu eins wie bei einer klinischen | |
| Probe. | |
| Am Ende kriegt man quasi einen Inzidenzwert? | |
| Nein, mit dem Abwasser ist der Inzidenzwert meiner Meinung nach nicht | |
| möglich. Bis jetzt fehlen uns die Informationen, wie viel Virus von | |
| einzelnen Personen ausgeschieden wird und in welcher Infektionsphase sich | |
| die infizierten Personengruppen befinden. | |
| Wie hoch ist denn dann der Aussagewert? | |
| Man kann Hotspots finden. Es gibt auch Studien, die haben das zum Beispiel | |
| in Schulen gemacht, in Gefängnissen und in Krankenhäusern. | |
| Schätzungen gehen davon aus, dass ein solches System viel günstiger wäre. | |
| Gibt es weitere Vorteile, wenn man Erreger im Abwasser nachweist? | |
| Es gibt mehrere Vorteile. Einer ist, weil die meisten Menschen in | |
| Deutschland an das Abwassernetzwerk angebunden sind, können wir in ganzen | |
| Regionen sehr schnell herauszufinden, wie hoch die Sars-CoV-2-Konzentration | |
| ist und wie sie sich mit der Zeit entwickelt. Mit einer Probe kann ich zum | |
| Beispiel errechnen, wie die Lage gerade in Frankfurt ist, im Vergleich zu | |
| Berlin. | |
| Dabei sind Sie unabhängig davon, wie viele Leute sich testen lassen? | |
| Genau. Große Massentestungen kann ich mir dann sparen. Ein weiterer sehr | |
| großer Vorteil des Abwassermonitorings: Es gibt keine Probleme mit dem | |
| Datenschutz. Das war in den vergangenen Jahren ein großes Problem für die | |
| Behörden. Beim Abwasser, da haben wir keine Informationen zu den Personen, | |
| sondern wir haben eine Mischprobe von Millionen Menschen. Ein dritter | |
| Vorteil ist, dass es Stigmas vermeidet. Jetzt lässt sich das vielleicht | |
| schwer vorstellen, aber zum Anfang der Pandemie wollten sich manche Leute | |
| nicht testen lassen, weil sie nicht diejenigen sein wollten, die | |
| coronapositiv sind. Und viertens: Ein solches System kann ganz schnell | |
| umschalten, auf andere Viren oder neuartige Krankheitserreger. Bei den | |
| Affenpocken könnten wir zum Beispiel dann ebenfalls die Entwicklung | |
| beobachten. | |
| 9 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| David Muschenich | |
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