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# taz.de -- Staatssekretärin für Mieterschutz: „Ich bitte um Nachsicht“
> Ülker Radziwill ist Staatssekretärin für Mieterschutz. Doch besonders
> viele Mittel, um Verdrängung zu verhindern, hat Berlin nicht mehr. Was
> tun?
Bild: Das Gespenst der Verdrängung sucht die SPD heim!
taz: Frau Radziwill, für die Mieterinnen und Mieter gab es in Berlin
zuletzt eine Hiobsbotschaft nach der anderen: [1][Mietendeckel weg],
[2][Vorkaufsrecht weg], Rekordumsätze der Wohnungsunternehmen. Was hat Sie
bewogen, in dieser Situation das Amt einer Staatssekretärin für
Mieterschutz zu übernehmen? Das ist doch eine mission impossible.
Ülker Radziwill: Nein, ist es nicht. Wichtig ist, die gesetzlichen
Rahmenbedingungen, die es gibt, gut zu nutzen, um das Wohnen in unserer
Stadt bezahlbar zu machen. Dazu müssen wir alle Instrumente, die anwendbar
sind, nutzen. Daran arbeite ich zurzeit.
Was sind denn Ihre Instrumente?
Zum Beispiel das Zweckentfremdungsverbotsgesetz. Darüber haben wir Tausende
von Ferienwohnungen zurück in den Wohnungsmarkt gebracht. Ein weiteres
wichtiges Instrument ist das Vorkaufsrecht.
Das von den Gerichten kassiert wurde.
Deshalb haben wir mit Hamburg einen erneuten Anlauf im Bundesrat gestartet,
um das Vorkaufsrecht wieder anwenden zu können. Auch die Mietpreisbremse
ist auf der Bundesebene inzwischen verschärft worden. Wir wollen nicht,
dass Vermieter bei einer Wiedervermietung mehr als zehn Prozent
aufschlagen.
Vorkaufsrecht gekippt, Mietendeckel gekippt, und jetzt kommen Sie mit dem
[3][Zweckentfremdungsverbotsgesetz] und der Mietpreisbremse? Können Sie
verstehen, dass da die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner am 26.
September 2021 für den Enteignungsvolksentscheid gestimmt hat?
Ich kann sehr gut verstehen, dass viele das als eine Gelegenheit genutzt
haben, zu sagen, so geht es nicht weiter. Sie wollen, dass es keine
steigende Mietpreisspirale gibt. Wir setzen uns gegen steigende Mietpreise
ein. Das Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen ist ein sehr
gutes Instrument dafür. Dieses breite Bündnis soll sich darauf
verständigen, wie der Neubau angekurbelt wird, aber auch, wie verhindert
wird, dass die Mieten weiter so steigen wie bisher.
Ein Bündnis, in dem auch die private Wohnungswirtschaft sitzt.
Die ersten Treffen zeigen, dass alle an einem Strang ziehen. Das ist eine
ganz wichtige Botschaft. Wir prüfen gemeinsam alle zur Verfügung stehenden
Instrumente. Wir befinden uns auf einem guten Weg.
Wäre die Vergesellschaftung auch ein solches Instrument?
Vor Berlin hat noch kein anderes Bundesland, keine andere Kommune eine
solche Vergesellschaftung umgesetzt. Die Botschaft an uns war also: Prüft
die Möglichkeit dafür! Das ist der Auftrag an die Expertenkommission.
Was wäre, wenn die Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen entscheidet,
sich [4][nicht an der Kommission zu beteiligen]?
Ich hoffe, dass sich die Initiative daran beteiligt. Es sind viele Fragen
offen, deshalb ist es sinnvoll, dass eine Expertenkommission sich mit
diesen Fragen beschäftigt. Ich glaube fest, dass die Initiative auch ihre
Expertinnen und Experten in die Kommission entsendet.
Verstehen Sie die [5][Kritik der Initiative], dass vom Senat Mitglieder der
Kommission benannt worden sind, die vorher schon festgestellt haben, die
Enteignung sei nicht verfassungsgemäß?
Die Kommission muss die wichtigen Fragen beantworten. Dazu muss sie auch
erst einmal die richtigen Fragen stellen. Das werden ansonsten die Gerichte
tun, und wir brauchen vorher belastbare Einschätzungen von kompetenten
Expertinnen und Experten.
Wird die Kommission ihre Arbeit aufnehmen, auch wenn die Initiative keine
Vertreterinnen und Vertreter entsendet?
Dieser Prozess wurde begonnen, und dieser Prozess wird auch fortgeführt
werden. Die Initiative ist auch denen gegenüber verantwortlich, die für den
Volksentscheid gestimmt haben. Wie die Verwaltungen hatte auch sie hundert
Tage Zeit, zu überlegen, wen sie in die Kommission schickt.
Das Bündnis für Neubau und bezahlbare Mieten, auf das Sie viele Hoffnungen
setzen, unterscheidet sich vom Hamburger Bündnis dadurch, dass es in Berlin
auch um das Thema Mietenpolitik geht. Das ist auch Ihr Thema als
Staatssekretärin. Im Bündnis leiten Sie eine Arbeitsgruppe. Worum geht es
da?
Die Bündnispartnerinnen und Bündnispartner sind nicht nur die städtischen
Wohnungsbaugesellschaften, sondern auch private Vermieterinnen und
Vermieter sowie Verbände, in denen sie organisiert sind, als auch
Sozialverbände. Das ist ein guter Dialog, der da stattfindet. Aber wir
haben uns darauf geeinigt, dass Inhalte vertraulich behandelt werden. Es
geht darum, in einem geschützten Raum offen zu diskutieren.
Ein Thema hat der Bausenator schon verraten. Er fordert ein
Mietenmoratorium, dem sich auch die privaten Vermieter anschließen sollen.
Der Senator hat es deshalb genannt, weil das auch ein Auftrag aus dem
Koalitionsvertrag ist. Deshalb ist das auch ein Punkt, über den im Bündnis
gesprochen wird. Aber auch da bitte ich, die Vertraulichkeit zu
respektieren.
Ein wichtiges Instrument, das der Landesregierung geblieben ist, sind die
Wohnungen der landeseigenen Gesellschaften. Diese zu kontrollieren ist
Aufgabe der Wohnraumversorgung Berlin. Nun gab es da mit dem Rücktritt von
Ulrike Hamann, die von der damaligen Senatorin Katrin Lompscher aus den
Reihen der Mieterbewegung in den Vorstand geholt wurde, einen Paukenschlag.
Haben Sie versucht, sie von diesem Schritt abzubringen?
In meiner Zeit als Staatssekretärin habe ich nur ein Gespräch mit Frau Dr.
Hamann führen können. Von ihrem Rücktritt habe ich erst am selben Tag wie
die Presse erfahren. Ich habe mich dann bei ihr für die Zusammenarbeit
bedankt.
Können Sie ihre Gründe nachvollziehen? Hamann sagt ja, dass mit dem anderen
Vorstand, Volker Härtig, den der damalige Finanzsenator Matthias Kollatz
berufen hat, die Arbeit auf Jahre blockiert wäre.
Die Wohnraumversorgung Berlins hat einen gesetzlichen Auftrag, und es ist
wichtig, dass sie diesem Auftrag gerecht wird. Die Position von Frau Dr.
Hamann war eine Führungsposition, und da gehe ich davon aus, dass man
professionell mit den Menschen arbeitet, die da sind. Wir haben jetzt die
Chance, einen Neuanfang zu organisieren, damit dieser Auftrag umgesetzt
werden kann.
Mit oder ohne Volker Härtig, dessen Berufung eine Provokation nicht nur für
Initiativen, sondern auch für Linke und Grüne war?
Ich kann nur für die Nachbesetzung von Frau Dr. Hamann reden. Für den
anderen Vorstand ist die Senatsverwaltung für Finanzen zuständig.
Werden Sie jemanden berufen, der auch aus dem Bereich der Initiativen
kommt?
Ich bitte um Nachsicht. Der Rücktritt von Frau Dr. Hamann ist noch nicht
einmal eine Woche her.
Die nächste große Aufgabe, vor der Sie stehen, ist die neue
Kooperationsvereinbarung mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften.
Die alte läuft im Sommer aus. Wird es dabei bleiben, dass zwei Drittel der
Wohnungen an Wohnungssuchende mit einem Wohnberechtigungsschein gehen?
Die Kooperationsvereinbarung ist uns wirklich sehr wichtig. Ein erstes
Gespräch dazu hat vor ein paar Tagen stattgefunden. Daran wird sich ein
Prozess anschließen, über den ich im Detail jetzt noch nichts sagen kann.
Ein wichtiger Bestandteil war die Selbstverpflichtung, die Mieten nicht
mehr als um zwei Prozent pro Jahr zu erhöhen. Wäre das auch für die neue
Vereinbarung aus Ihrer Sicht wünschenswert?
Ich würde das persönlich für ein wichtiges Signal halten.
Es gibt auch Stimmen, die sagen, wenn die Wohnungsbaugesellschaften 6.000
Wohnungen im Jahr bauen sollen, könnte man beim Mieterschutz Abstriche
machen.
Ich bin Staatssekretärin für Mieterschutz, und dafür stehe ich auch ein.
Dass die Städtischen bauen müssen, ist klar; das wissen sie. Dabei helfen
ihnen auch Programme vom Bund. Auch das Land Berlin stockt sein eigenes
Förderprogramm auf.
Es bauen ja nicht nur die landeseigenen Gesellschaften, sondern auch
Private. In München müssen sie 50 Prozent der Wohnungen als Sozialwohnungen
bauen, in Berlin sind es nur 30 Prozent. Muss da nachgebessert werden wie
es die Grünen fordern?
Wir sind gerade in einem Prozess, bei dem wir uns die Berliner
Förderprogramme anschauen. In der letzten Legislatur sind manche Gelder
nicht abgeflossen. Das lag zum Teil auch an den Förderprogrammen.
Verbessern wir die, werden auch mehr Sozialwohnungen gebaut.
Gerade wird darüber diskutiert, wie man mit dem eingefrorenen Vermögen
russischer Oligarchen umgeht. Dabei stellen wir fest, dass wir nicht einmal
wissen, wem welche Gebäude gehören.
Diese Frage ist nicht neu, damit beschäftigen wir uns schon seit Jahren. Im
Koalitionsvertrag haben wir uns deshalb auf die Prüfung eines
Mietenkatasters verständigt.
Wie weit sind Sie da?
Auch der Bund prüft das. Wir schauen deshalb gerade, was der Bund dazu
macht. Prozesse parallel und doppelt zu führen macht keinen Sinn.
Das hört sich so an, als würde Berlin nach dem Scheitern des Mietendeckels
nicht noch einmal voranpreschen wollen.
Wir sind bereit, auch neue Wege zu gehen. Aber diese Wege müssen nützlich
und rechtlich zulässig sein.
11 Apr 2022
## LINKS
[1] /Berliner-Mietendeckel-gekippt/!5763152
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[4] /Expertenkommission-DW-Enteignen/!5844512
[5] /Enteignungs-Debatte-in-Berlin/!5845410
## AUTOREN
Erik Peter
Uwe Rada
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