Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Enteignungs-Kommission in Berlin: Zum Mittanzen gezwungen
> Nicht wirklich froh gestimmt, trotzdem: Deutsche Wohnen & Co enteignen
> beteiligt sich an Kommission, die die Umsetzung des Volksentscheids
> prüfen soll.
Bild: Ein Tanz als Protestnote, dass die Initiative nicht vergessen werden soll
Berlin taz | Schlussendlich hatte die Initiative Deutsche Wohnen & Co
enteignen keine Wahl. Bei aller grundsätzlichen Kritik an der
Expertenkommission, die ein Jahr lang die Umsetzung ihres erfolgreichen
Volksentscheides prüfen soll, bei aller Unzufriedenheit mit ihrer Besetzung
und der bislang ungeklärten Arbeitsweise und bei aller Sorge, dass am Ende
ein uneindeutiges auch für die Gegner:innen der Vergesellschaftung
nutzbares Ergebnis stehen mag: [1][Ihre Nichtteilnahme war keine
realistische Option].
Es wäre auch ein Treppenwitz der Geschichte gewesen, [2][wenn jenes
Gremium], das sich mit der erstmaligen Anwendung des Artikels 15 im
Grundgesetz auseinandersetzen wird, ohne die Beteiligung jener ausgekommen
wäre, die all das erst erzwungen haben. Und dennoch schien die Möglichkeit
einer Verweigerung gegeben. Drei Wochen diskutierte die Initiative weiter,
nachdem Ende März zunächst die Namen jener Expert:innen durchgesickert
waren, die der Senat benennt, und dann der förmliche Beschluss über die
Einsetzung der Kommission erfolgte.
Am Dienstagabend dann beteiligten sich mehr als 230 Menschen in einem
Online-Plenum von der Initiative, um endgültig Ja oder Nein zu sagen. So
wie es die Initiativensprecherin Yeza Clute-Simon auf einer digitalen
Pressekonferenz am Mittwochvormittag sagte – „Wir haben es uns nicht leicht
gemacht“, „Es war noch einmal durchaus kontrovers“ –, kann man sich
vorstellen, welche Zerreißprobe das für die Initiative war.
Die zentrale Frage: Legitimiert man jenes Gremium, das doch eigentlich den
postulierten Volkswillen eh nur verschleppen soll, und macht sich damit
selbst unglaubwürdig? Oder geht man auf Konfrontation und Abstand, strebt
womöglich direkt einen neuen Volksentscheid, diesmal mit ausformuliertem
Gesetz, an? Reform oder Revolution also.
## Eine Entscheidung für die Reform
Eine „große Mehrheit“ entschied sich schließlich für die Reform – ohne…
je so zu nennen. Die Initiative hat sich eingelassen auf den ihr vom Senat
gesteckten Rahmen, auch mit der Ernennung ihrer Expert:innen. Einem bereits
von Jurist:innen, besonders Verfassungsrechtler:innen, dominierten
Gremium stellt sie zwei weitere aus jenem Fachbereich dazu: Zum einen ist
das die Europarechtlerin Anna Katharina Mangold von der Universität
Flensburg, zum anderen Tim Wihl, Experte für Öffentliches Recht von der
Universität Erfurt, der zurzeit an der Humboldt-Universität lehrt. „Wir
haben uns auf die Kommission eingelassen“, sagte Clute-Simon dazu.
Immerhin mit ihrer dritten Wahl hat die Initiative dem Gremium noch eine
weitere, wichtige Perspektive hinzugefügt: Die Frankfurter Professorin für
Geographische Stadtforschung Susanne Heeg kann beisteuern, was der nun
zwölfköpfigen, von der [3][ehemaligen Bundesjustizministerin Herta
Däubler-Gmelin] geleiteten Kommission bisher fehlte: die Sicht darauf, wo
die Ursachen des Mietenwahnsinns liegen und was die geänderten
Eigentumsverhältnisse auf dem Wohnungsmarkt mit einer Stadt machen können.
Denn der Anspruch vor allem der Initiative bleibt ja der: Die Kommission
solle sich nicht zu lange an der Verfassungskonformität aufhalten, sondern
die konkreten Umsetzungsschritte beleuchten. Dass diese, etwa bei den
Fragen nach Entschädigungshöhen oder der Verhältnismäßigkeit einer
Vergesellschaftung, auch juristische seien, nannte die Initiative dann auch
als Grund für ihre Entsendung von zwei Rechtsgelehrten – trotz ihrer
zunächst formulierten Kritik, dass derer schon genug in der Kommission
vertreten seien.
## Kartellrecht reicht nicht
Trotz ihrer Kritik an der SPD – diese wolle die Vergesellschaftung nicht
und habe Gegner in die Kommission entsendet – greift auch die Initiative
mit Tim Wihl auf einen Sozialdemokraten zurück. Dieser saß bereits am
Montag mit der Initiative auf einem Podium und zeigte sich dort als großer
Freund vom Artikel 15, jenem Vergesellschaftungsparagrafen, der erst auf
Druck von Sozialdemokraten ins Grundgesetz aufgenommen wurde. Dieser stelle
dem „strukturellen Profitzwang des Privatkapitalismus“ eine zweite Option
gegenüber: eine „Gemeinwirtschaft mit Bedürfnisbefriedigung“. Wihl
argumentierte für die Vergesellschaftung, weil verhindert werden müsse,
dass Unternehmen zu viel Macht bekommen – dafür reiche das „liberale
Kartellrecht“ nicht aus.
Den von der SPD für die Kommission benannten Experten, die die Anwendung
des Artikels 15 in Berlin aufgrund eines durch die Landesverfassung höheren
Eigentumsschutzes nicht für möglich halten, hielt Wihl entgegen: „Es ist
eine absurde Vorstellung, dass Berlin das einzige Bundesland sein sollte,
wo Artikel 15 nicht zur Anwendung kommen könnte.“
Absehbar also ist, dass es in der Kommission nicht weniger kontrovers
zugehen wird als bei Deutsche Wohnen und Co enteignen selbst. Am Ende ihrer
Arbeit, die mit einer konstituierenden Sitzung am 29. April beginnt, wird
voraussichtlich ein uneindeutiges Ergebnis stehen. „Die jeweiligen Parteien
können sich dann auf die Voten berufen, auf die sie sich berufen wollen“,
befürchtet Isabella Rogner von der Initiative. Die Schlussfolgerung: „Es
wird eine politische Entscheidung werden.“ Auch Reiner Wild vom Berliner
Mieterverein hatte bei der Veranstaltung am Montag angemahnt, dass der
Senat sich nun nicht mit Verweis auf die Kommission wegducken dürfe,
sondern sich „über eine politische Lösung verständigen muss“. Sonst stü…
am Ende „nur die Frage, wer aus der Koalition aussteigt“.
Deutsche Wohnen und Co enteignen jedenfalls ist nach der Entscheidung
weiter mit im Spiel und wird mit ihren Expert:innen dafür Sorge tragen,
dass die Kommissionsarbeit so transparent wie möglich erfolgen wird. Das
Ziel: Die Stadt soll weiter über Enteignung reden und diese einfordern.
13 Apr 2022
## LINKS
[1] /Enteignungs-Kommission-in-Berlin/!5848629
[2] /Expertenkommission-DW-Enteignen/!5844512
[3] /Daeubler-Gmelin-ueber-Europa/!5084357
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Berlin
Volksentscheid
Immobilien
Deutsche Wohnen & Co enteignen
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Berlin
Grüne Berlin
Mieterschutz
Wohnungspolitik
Katina Schubert
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Berliner SPD und die Enteignungs-Initiative: Das S steht für Sabotage
Die Berliner SPD sabotiert das Volksbegehren Deutsche Wohnen enteignen. Die
Enteignungskommission arbeitet nicht wie abgesprochen.
Enteignungs-Kommission in Berlin: „So öffentlich wie möglich“
Die Expert*innen-Kommission tagt zum ersten Mal. Als nächstes sind eine
Anhörung und eine Webseite geplant.
Berliner Senat und die Enteignungsfrage: Die Grünen müssen mutig sein
In der koalitionsinternen Debatte um die Enteigung kommt den Grünen eine
Vermittlerrolle zu. Doch dafür müssen sie etwas wagen. Ein Wochenkommentar.
Staatssekretärin für Mieterschutz: „Ich bitte um Nachsicht“
Ülker Radziwill ist Staatssekretärin für Mieterschutz. Doch besonders viele
Mittel, um Verdrängung zu verhindern, hat Berlin nicht mehr. Was tun?
Debatte um Enteignungs-Kommission: Für Trotz ist es zu früh
Die Berliner Initiative Deutsche Wohnen enteignen überlegt, die
Senatskommission zu boykottieren. Das wäre keine gute Idee. Ein
Wochenkommentar.
Landesparteitag der Linken in Berlin: Ein heikler Gastauftritt
Zum Treffen ist auch die Enteignungs-Initiative eingeladen. Parteichefin
Schubert fordert sie auf, sich an der Kommission des Senats zu beteiligen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.