| # taz.de -- Berliner Senat und die Enteignungsfrage: Die Grünen müssen mutig … | |
| > In der koalitionsinternen Debatte um die Enteigung kommt den Grünen eine | |
| > Vermittlerrolle zu. Doch dafür müssen sie etwas wagen. Ein | |
| > Wochenkommentar. | |
| Bild: Die Antwort soll doch nicht etwa „SPD“ und „Grüne“ lauten?! Miet… | |
| Der zweite Schritt hin zu einem Enteignungsgesetz ist getan: Die vom | |
| rot-grün-roten Berliner Senat einberufene Kommission, die Mittel und Wege | |
| einer Vergesellschaftung der Bestände großer Immobilienunternehmen prüfen | |
| soll, ist komplett. Nach zwei Wochen Bedenkzeit hat sich in der vergangenen | |
| Woche auch die Initiative [1][Deutsche Wohnen und Co. enteignen | |
| durchgerungen,] die ihr zustehenden drei Mitglieder in die insgesamt | |
| 13-köpfige Kommission zu schicken. Sie hatte auch [2][keine andere Wahl]. | |
| Die Initiative hatte den Enteignungs-Volksentscheid auf den Weg gebracht, | |
| bei dem am 26. September vergangenen Jahres 57,6 Prozent der | |
| Berliner*innen mit Ja stimmten. Allerdings hatte die Initiative keinen | |
| Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt, so dass es beim Appell an den Senat | |
| blieb, einen solchen Entwurf zu verfassen. | |
| Die drei den Senat tragenden Parteien gehen mit diesem Appell allerdings | |
| unterschiedlich um. Während sich die Linke, der kleinste Regierungspartner, | |
| mit Verve dafür einsetzt und sich bei jeder Gelegenheit als der einzig | |
| wahre Vertreter der Bürger*innenmeinung präsentiert, ist vor allem in | |
| der Berliner SPD-Führung die Ablehnung dieser Position deutlich spürbar – | |
| sowohl bei der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey wie beim | |
| zuständigen Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel. Und auch von | |
| Co-Landeschef Raed Saleh gibt es bisher keine Signale, einer so | |
| ursozialdemokratischen Forderung wie Enteignung gegenüber aufgeschlossen zu | |
| sein. | |
| Die Berliner Grünen drohen, zwischen diesen beiden Polen zerrieben zu | |
| werden. Schon im Wahlkampf haderten sie mit ihrer Position; ihre | |
| Spitzenkandidatin Bettina Jarasch stimmte zwar letztlich dafür, allerdings | |
| soll eine Enteignung ihrer Meinung nach nicht der nächste Schritt, sondern | |
| lediglich ultima ratio sein, wenn sich die großen Vermieter nicht | |
| einsichtig zeigen und auf weitere drastische Mietsteigerungen nicht | |
| verzichten. Jarasch wurde daraufhin – nicht ganz zu Unrecht – vorgehalten, | |
| sie instrumentalisiere den Enteignungsentscheid. | |
| Und auch jetzt noch, ein halbes Jahr nach dem Entscheid, machen es sich die | |
| Berliner Grünen etwas einfach. Denn wer in Sachen Enteignung und Senat nur | |
| ein bisschen optimistisch in die Zukunft blickt, weiß, dass auf sie bald | |
| eine wichtige Vermittlerrolle zukommt, sofern ihnen am Bündnis mit Linken | |
| und SPD etwas liegt. | |
| In der 13-köpfigen Kommission des Senats sitzen vor allem Jurist*innen: | |
| Gegner*innen wie Unterstützer*innen einer Enteignung. Sofern sie | |
| nicht – überraschenderweise – zum Ergebnis kommen, dass eine Enteignung via | |
| dem Grundgesetzartikel 15 gar nicht möglich ist, dürfte die Erkenntnis der | |
| Kommission etwa so lauten: Ein Gesetzentwurf ist denkbar, aber juristisch | |
| riskant und letztlich wird darüber das Bundesverfassungsgericht entscheiden | |
| müssen. Dass die Expert*innen mit großer Mehrheit einen konkreten, | |
| rechtlich sicheren Weg aufzeigen, ist sehr unwahrscheinlich. | |
| ## Entscheiden muss die Politik, also Rot-Grün-Rot | |
| Das heißt: In einem Jahr, wenn die Arbeit der Kommission abgeschlossen ist, | |
| muss sich Rot-Grün-Rot überlegen, ob man etwas wagen, ein Gesetz | |
| formulieren und dann auch verabschieden will. Darauf wird die Linke | |
| drängen, die SPD dürfte bremsen – und die Grünen müssen dann Farbe | |
| bekennen. Wenn sie ihre Unterstützung bei den vielen Initiativen der Stadt | |
| nicht aufs Spiel setzen wollen und den direktdemokratischen Auftrag durch | |
| den Volksentscheid ernst nehmen, müssen sie sich für ein solches Gesetz | |
| einsetzen – und bei der SPD und deren Abgeordneten Überzeugungsarbeit | |
| leisten. | |
| Das klingt erstmal nicht sonderlich realistisch, da die Ablehnung vor allem | |
| in der Führungsetage der SPD deutlich ist. Aber die für | |
| Mieter*innenschutz zuständige Staatssekretärin in der | |
| Stadtentwicklungsverwaltung, Ülker Radziwill (SPD), hat am Montag bei einer | |
| Podiumsdiskussion betont, dass es auch in den Reihen der Sozialdemokraten | |
| viele gebe, die die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne | |
| unterstützen würden. | |
| Es müssten auch gar nicht alle Abgeordneten dem Gesetz zustimmen. | |
| Rot-Grün-Rot verfügt über eine breite Mehrheit, die sogar ein Dutzend | |
| Abweichler*innen verkraften könnte. Dazu kommt: Es ist wenig | |
| wahrscheinlich, dass die Prüfung eines verabschiedeten Enteigungsgesetzes | |
| in Karlsruhe bis Ende dieser Legislaturperiode 2026 abgeschlossen ist, da | |
| es sich um einen Präzedenzfall handelt. Ein eventuelles Scheitern vor dem | |
| Verfassungsgericht würde die aktuelle Koalition, anders als beim | |
| Mietendeckel, nicht mehr treffen. | |
| Für die Grünen heißt das: Ein fertiges Vergesellschaftungsgesetz wäre | |
| eindeutig auch ihr Erfolg und könnte die Machtbasis einer linken Koalition | |
| in Berlin über die nächste Wahl 2026 hinaus (und dann unter grüner | |
| Führung?) perspektivisch sichern. | |
| Die Alternative dazu ist: Rot-Grün-Rot verhandelt, vertagt, ruft noch 'ne | |
| Kommission ein, und ein Jahr vor der Wahl lassen SPD oder Linke die | |
| Koalition wegen der Enteigungsfrage platzen. Ist das glaubhaft? Will das | |
| jemand? | |
| 17 Apr 2022 | |
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| Bert Schulz | |
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