# taz.de -- Auswahl Theatertreffen 2022: Eigenartige Bewegungen | |
> Im Mai findet in Berlin das Theatertreffen statt. Die Kritiker-Jury | |
> stellte ihre Auswahl von zehn Inszenierungen vor. | |
Bild: Eingeladen zum Theatertreffen ist das Stück „Slippery Slope“ aus dem… | |
Humor helfe, komplexe Dinge distanziert zu betrachten, sagte Franz Wille, | |
Redakteur von Theater heute, über das Musical [1][„Slippery Slope“, das | |
Yael Ronen] am Gorki Theater Berlin inszeniert hat. Wille stellte das Stück | |
als eine Rutschpartie vor durch Vorwürfe von Machtmissbrauch, | |
Diskriminierung, kultureller Aneignung, in der sich die Rollen von Opfer | |
und Täter sich immer wieder verschieben und vertauschen. Das Musical ist | |
für das Theatertreffen in Berlin ausgewählt. | |
Am Donnerstag stellte die Jury aus sieben Theaterkritiker:innen – | |
darunter zwei taz-Autorinnen, Sabine Leucht aus München und Katrin Ullmann | |
aus Hamburg – die [2][zehn ausgewählten Inszenierungen] vor. Trotz | |
Pandemie, trotz der Schließung der Theater bis Mai 2021, trotz vieler | |
krankheitsbedingter Absagen und verschobener Premieren haben die | |
Jurymitglieder 540 Inszenierungen aus 63 Städten angeschaut, 32 davon kamen | |
in die engere Diskussion. | |
Das Theatertreffen, das in Berlin im Mai stattfinden wird – man hofft nach | |
zwei Jahren Ausweichen auf den Stream wieder auf reale Gastspiele – hat | |
sich eine Frauenquote verordnet. Wieder kommen sechs der Inszenierungen von | |
Regisseurinnen, darunter ist auch wieder Claudia Bauer und erstmalig Pinar | |
Karabulut mit [3][“Like Lovers do“ nach einem Text von Sivan Ben Yishai], | |
einer radikalen Herausforderung von feministischen Thesen. | |
Auch dass fünf der eingeladenen Theater von Intendantinnen geleitet werden, | |
ist ein schönes Detail. Das sind Karin Beier (Schauspielhaus Hamburg), | |
Annemie Vanackere (HAU Berlin), Shermin Langhoff (Maxim Gorki Theater), | |
Barbara Mundel (Kammerspiele München) und Sonja Anders vom Schauspiel | |
Hannover. Sie alle prägen die Theaterlandschaft seit langem. | |
## Reibung am „misogynen Quatsch der Vergangenheit“ | |
Zweimal werden Klassiker überarbeitet, ziemlich heftig sogar: Schillers | |
„Jungfrau von Orleans“ wird in einer Bearbeitung von Joanna Bednarczyk am | |
Nationaltheater Mannheim auf Genderkonstruktionen abgeklopft, der | |
„Tartuffe“ nach Molière von Volker Lösch am Staatsschauspiel Dresden mit | |
„Kapital und Ideologie“ von Thomas Piketty zusammengebracht. | |
Die meisten Inszenierungen aber sind Uraufführungen, die das Sprechtheater | |
oft um Musik und eine Bewegungssprache erweitern, die eigene Deutungsräume | |
öffnen. Das geschieht bei „[4][All right. Good night.“], einem Stück über | |
Demenz, Verlust und Verschwinden von Helgard Haug, in dem die Zuschauer die | |
Texte in Projektionen lesen, während ein Musikensemble spielt, oder in | |
„Doughnuts“ von [5][Toshiki Okada], der die Sprache der Spielenden mit | |
eigenartigen Choreografien begleitet. Auch diese experimentellen Sprachen | |
sind inzwischen etabliert im Theater, das damit immer mehr Freiheit in der | |
Form gewinnt. | |
Vor kurzem war im Kino [6][„Macbeth“ zu sehen, von Joel Coen] inszeniert, | |
in schwarzweißen Bildern und Kulissen, die an den Purismus des | |
existenzialistischen Theaters erinnerten. Tatsächlich verblüffte der Film | |
mit einer klassischen Theaterform, wie sie im deutschsprachigen Theater | |
kaum mehr vorkommt. Mit der ständigen Zuführung von Metaebenen wird dort | |
ziemlich engagiert um die gesellschaftliche Relevanz gekämpft. Auch das | |
wird die diesjährige Auswahl widerspiegeln. | |
Zum erstenmal beim Theatertreffen dabei ist der Regisseur Lukas Holzhausen, | |
der [7][Christian Barons Roman „Ein Mann seiner Klasse“] am Staatstheater | |
Hannover für die Bühne bearbeitet hat. Es ist eine bittere Geschichte um | |
Armut, Herkunft, Gewalt. Die enge Wohnung, in der die Familie, die auf | |
Barons biografischen Erfahrungen beruht, wohnt, wird von einer stummen | |
Figur wie dem Vater nach und nach erst gebaut, während dabei pur und | |
unaufgeregt die Geschichte nacherzählt wird. | |
3 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Musical-ueber-kulturelle-Aneignung/!5810461 | |
[2] https://www.berlinerfestspiele.de/de/theatertreffen/programm/2022/auswahl/1… | |
[3] /Urauffuehrung-in-Muenchen/!5804417 | |
[4] /Rimini-Protokoll-im-Berliner-HAU/!5822832 | |
[5] /Der-Theaterregisseur-Toskiki-Okada/!5307330 | |
[6] /Macbeth-Verfilmung-von-Joel-Coen/!5821064 | |
[7] /Debuetroman-von-Christian-Baron/!5656381 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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