| # taz.de -- Demo gegen „Mietenwahnsinn“ in Berlin: „Nicht den Deckel, den… | |
| > In Berlin demonstrieren Tausende gegen horrende Mieten. Viele | |
| > Teilnehmer*innen sehen in Enteignungen von Konzernen den letzten | |
| > Ausweg. | |
| Bild: Hausboote schipperten am Sonntag vom Urbanhafen herunter bis zur CDU-Zent… | |
| Berlin taz | Inmitten des Getümmels der Berliner Demonstration „Gegen den | |
| Mietenwahnsinn – Jetzt erst Recht!“ am Sonntag Mittag stehen etwa zehn | |
| Frauen in einem Halbkreis. Sie haben sich Papphäuser gebastelt und tragen | |
| sie als Hüte. Es ist der linksfeministische Frauenchor „Judiths Krise“, der | |
| im feinsten Kanon „Wohnen ist ein Menschenrecht“ und „Wem, wem, wem gehö… | |
| die Stadt“ singt. | |
| Daneben zieht ein lila-gelbes Fahnenmeer vorbei. Der Block [1][des Berliner | |
| Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“] skandiert die Namen der | |
| größten Berliner Wohnungskonzerne. Es folgt der kraftvolle Ausruf: | |
| „Enteignen!“. Im Hintergrund ist ein großes Transparent zu sehen, auf dem | |
| „Die Stadt gehört uns“ zu lesen ist. Daneben abgebildet: eine brennende | |
| Mieterhöhung. | |
| Etwa 10.000 Menschen sind laut der Veranstalter:innen zur | |
| „Mietenwahnsinn-Demonstration“ unter diesem Motto gekommen. Die Polizei | |
| nannte eine vorläufige Teilnehmer:innenzahl von lediglich 2.000. Für | |
| einen Sprecher des Mietenwahnsinn-Bündnisses ist das eine „absurde“ | |
| Einschätzung. Zwischenfälle oder Probleme mit Verstößen gegen die | |
| Corona-Regeln wurden laut Polizei nicht bekannt. | |
| Der Demostart verzögerte sich. Erst 35 Minuten nach Start des ersten Blocks | |
| habe sich das Ende des Zuges in Bewegung gesetzt. Hochgehalten wurden | |
| Schilder, auf denen etwa „Meine Miete chillt auf den Bahamas“ oder „Dann | |
| halt enteignen!“ zu lesen war. Ein kleiner Junge trug ein Plakat mit der | |
| Aufschrift: „Ich will auch noch mit 20 in Berlin leben“. | |
| ## Potsdamer Platz – Schöneberg – Nollendorfplatz | |
| Vom Potsdamer Platz ausgehend bewegte sich der Protestzug in Richtung | |
| Schöneberg und schlug dort eine Schleife über die Pallas-, Martin-Luther- | |
| und Kleiststraße bis zum Endpunkt Nollendorfplatz. Applaus brach schon kurz | |
| nach Start aus, als eine zeitgleich auf dem Landwehrkanal stattfindende | |
| Bootsdemo die Potsdamer Brücke passierte. Die Hausboote schifften vom | |
| Urbanhafen herunter bis zur CDU-Zentrale am Herkulesufer. | |
| Der Protest ist eine klare Reaktion [2][auf das kompromisslose Kippen des | |
| Berliner Mietendeckels] durch das Bundesverfassungsgericht Mitte April. | |
| Bereits am Abend der Urteilsverkündung hatte es etwa 15.000 | |
| Berliner:innen auf die Straße gezogen. Nun fordern sie nicht mehr „nur | |
| den Deckel“, sondern gleich „den ganzen Topf“, wie es etwa auf einem | |
| Demoflyer formuliert ist. | |
| Neben den Mietpreisen, die laut einer Analyse von Immoscout bereits jetzt | |
| um 7% in die Höhe geschnellt sind, kritisierte das Bündnis in einer | |
| Pressemitteilung im Vorfeld auch „tausende Zwangsräumungen jährlich“ und | |
| dass Tausende Berliner:innen ohne Wohnung oder Obdach dastünden. | |
| Erschienen sind auch einige Mieter:innen der Blaczko GmbH & Co., | |
| [3][jener Hausverwaltung, die nach dem Mietendeckel-Urteil Rundmails mit | |
| dem Titel „Zu früh gefreut!“ verschickte]. Unterzeichnet war die E-Mail mit | |
| dem englischen Akronym „FY“, was wohl für „Fuck You“ stehen dürfte. E… | |
| Mieterin berichtet auf der Demo von Einschüchterungsversuchen durch die | |
| Hausverwaltung. | |
| ## Abmahnung wegen angeblicher Hetze | |
| Sie verteilt einige Flyer für die Mieter:inneninitiative, die sich | |
| in Reaktion auf die Rundmail gegründet hatte. „Sie haben mir eine Abmahnung | |
| wegen angeblicher Hetze durch den Türschlitz durchgeschoben“, erzählt sie. | |
| Zudem hätten Unbekannte versucht, ihren Briefkasten aufzubrechen. „Wenn ich | |
| nicht die Initiative hinter mir wüsste, ich würde mich Zu Hause nicht mehr | |
| sicher fühlen“, sagt sie. | |
| Ein älteres Ehepaar erzählt, sie würden seit 1984 im Prenzlauer Berg | |
| wohnen. „Wir sind die letzten DDR-Bürger dort“, erzählt der Ehemann in nur | |
| leicht scherzendem Ton. „Alle 18 Monate flattert eine Mieterhöhung ins | |
| Haus“, sagt er. Auch für längst abbezahlte Modernisierungen würden sie | |
| weiter monatlich berappen. „Es gibt bei uns so gut wie keine Kiezstrukturen | |
| mehr“, fügt die Ehefrau hinzu. „Gerade jetzt, wo der Mietendeckel weg ist, | |
| bleibt da eigentlich nur noch die Enteignung.“ | |
| Als der Protestzug [4][am selbstverwalteten Jugendzentrum „Potse“] in der | |
| Potsdamer Straße vorbeizieht, zeigen Aktivist:innen aus den Fenstern | |
| des autonomen Jugendclubs mit Pyrotechnik ihre Solidarität. Eine Aktivistin | |
| spricht vom Lautsprecherwagen aus über die Wichtigkeit selbstverwalteter | |
| Strukturen. Die „Potse“ ist seit Silvester 2018 besetzt und damit permanent | |
| räumungsbedroht. | |
| Erst am Montag wurde der ursprünglich für Mittwoch festgesetzte | |
| Räumungstermin in letzter Minute verschoben, um einen Umzug ohne | |
| polizeilichen Großeinsatz in Ersatzräume im ehemaligen Flughafen Tempelhof | |
| zu ermöglichen. Die Demonstration endete am Nollendorfplatz mit Musik und | |
| Redebeiträgen. Es wird sicher nicht die letzte Demonstration für | |
| Enteignungen großer Wohnungskonzerne in Berlin gewesen sein. | |
| 23 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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