| # taz.de -- Deutsche Filme bei der Berlinale: Liebe ist Sache der Algorithmen | |
| > Roboter im Plattenbau, Verzweiflung in Berlin 1931 und ein | |
| > Nachbarschaftszwist: Davon erzählen drei deutsche Spielfilme im | |
| > Berlinale-Wettbewerb. | |
| Bild: Peter Kurth und Daniel Brühl in „Nebenan“ | |
| Noch ist einiges an Fremdeln im Spiel. Die [1][Berlinale am Bildschirm hat | |
| begonnen,] und bisher hat sich nicht das Gefühl eingestellt, auf einem | |
| Filmfestival zu sein. Auch wenn für viele Filmkritiker der Alltag nicht | |
| erst seit der Pandemie längst davon bestimmt wird, dass man Filme zu Hause | |
| als Stream und nur selten im Kino sieht, bedeutet dies keinesfalls, dass | |
| man für ein Festival diese „normalen“ Bedingungen fraglos übernehmen | |
| möchte. Nach dem ersten offiziell gestreamten Wettbewerbsfilm überwiegt | |
| daher erst einmal der Eindruck der Simulation eines Festivals. | |
| Wobei die Simulation zu [2][Maria Schraders] deutschem Wettbewerbsbeitrag | |
| zumindest inhaltlich passt. In ihrer Komödie „Ich bin dein Mensch“ nimmt | |
| die Anthropologin Alma (Maren Eggers) an nichts Geringerem als einem | |
| Menschenversuch teil: Sie lässt sich zur Begutachtung einen Humanoiden mit | |
| nach Hause geben, der so programmiert ist, dass er sie maximal glücklich | |
| macht. Ein virtueller Partner, bei dem sie am Ende darüber urteilen muss, | |
| ob man diesen wie Menschen Rechte zugestehen sollte. | |
| In vorwiegend klinisch steriler Umgebung in Berlin gefilmt – einem | |
| Plattenbauhochhaus am Alexanderplatz, wo Alma wohnt, dem neu gebauten, | |
| passend benannten Forschungszentrum Futurium am Hauptbahnhof, wo sie | |
| arbeitet –, wirkt die Kulisse selbst wie eine Welt aus dem Computer. Bloß | |
| wenn sie ihren dementen Vater in seinem verwohnten Haus am Stadtrand | |
| besucht, sehen die Dinge nicht so künstlich kalt aus. | |
| ## Aufweichung der Ablehnung | |
| Die Grenze zwischen real und simuliert beginnt sich für Alma zu | |
| verschieben, sobald sie „Tom“ (Dan Stevens) zu sich nimmt. Anfangs | |
| quartiert sie ihn in einer Rumpelkammer ein, um keine Missverständnisse | |
| aufkommen zu lassen. Als Partner möchte sie ihn nicht behandeln. Doch die | |
| Ablehnung, von Maren Eggers wunderbar mit konsternierter Reserviertheit | |
| gespielt, weicht allmählich etwas anderem. | |
| Die Frage, die der Film stellt, ist denn auch weniger, ob Roboter Gefühle | |
| entwickeln können, sondern ob Menschen echte Gefühle für Maschinen haben | |
| können. Und wenn so ein Humanoid es schafft, auf interessierte Art | |
| vollkommen ausdruckslos zu gucken wie Dan Stevens, ist es vermutlich | |
| schwierig, das unerwidert zu lassen. Ein abgründig witziger Kommentar zum | |
| heutigen Leben inmitten von Algorithmen. | |
| Ernster hingegen der Auftritt von Dominik Graf im Wettbewerb mit seiner | |
| Verfilmung von [3][Erich Kästners Klassiker „Fabian“]. Der Roman, der im | |
| Untertitel früher sachlich „Die Geschichte eines Moralisten“ hieß, hat in | |
| Neuauflagen inzwischen den ursprünglich von Kästner vorgesehenen Titel „Der | |
| Gang vor die Hunde“, den Graf mit aufnimmt. | |
| Tom Schilling gibt den tragischen Helden Jakob Fabian, der im Berlin des | |
| Jahres 1931 zunächst abgeklärt ausschweifend lebt, dann, unter den | |
| Vorzeichen des aufziehenden Nationalsozialismus, mehr und mehr an seinen | |
| Mitmenschen verzweifelt. Graf verpasst seinem Historienfilm zu Beginn ein | |
| ruppig-wüstes, von wilden Schnitten zerzaustes Aussehen, lenkt seine | |
| Geschichte jedoch bald in konventionell ruhige Bahnen. Die zeitliche | |
| Geschlossenheit bricht er auf, wenn ein Kameraschwenk auf Stolpersteine zu | |
| den Füßen der Schauspieler die Folgen des Zivilisationsbruchs anmahnt, die | |
| der Film selbst ankündigt. Vergleiche zur heutigen Lage braucht Graf keine | |
| weiteren zu ziehen. | |
| Gegen diese Konkurrenz hat es „Nebenan“, das Regiedebüt des Schauspielers | |
| Daniel Brühl, schon schwieriger. Ganz Kammerspiel, ganz auf das Duell | |
| zwischen den von Brühl selbst und Peter Kurth gegebenen Hauptfiguren | |
| konzentriert, ist diese von Daniel Kehlmann geschriebene Abrechnung mit den | |
| Gentrifizierern Berlins – Brühl spielt eine Version seiner selbst, Kurth | |
| einen frustrierten DDR-Verlierer – zwar brillant gespielt, zugleich aber | |
| ein wenig selbstverliebt. | |
| 2 Mar 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Sofaberlinale--Kinofestival-digital/!5749437 | |
| [2] /Serie-Unorthodox-auf-Netflix/!5670815 | |
| [3] /Fabian-am-Berliner-Ensemble/!5743472 | |
| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
| ## TAGS | |
| Maria Schrader | |
| Festival | |
| Wettbewerb | |
| Dominik Graf | |
| Schwerpunkt Berlinale | |
| Filmbranche | |
| Plattenbau | |
| Ausstellung | |
| Spielfilm | |
| Kino | |
| Film | |
| Film | |
| Film | |
| Kino | |
| Revolution | |
| Japanischer Film | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Algorithmen in der Kunst: Den Mainstream-Eintopf verhindern | |
| Der Algorithmus weiß, was sich am besten verkauft. Im Kampf gegen die | |
| digitale Vorhersehbarkeit gilt es, per Klick aus der Reihe zu tanzen. | |
| Plattenbau Ost als Kunstobjekt: Projektionsfläche Platte | |
| Die Architektur in DDR war ambivalent. Platte gilt nicht als schön, aber | |
| war in der DDR verheißungsvoll und könnte es wieder werden. | |
| Designausstellung in München: Die Routine und ihr Ding | |
| Designobjekte stehen für ein Lebensgefühl. Mit 21 ausgewählten Objekten | |
| zeichnet die Pinakothek der Moderne zwei Jahrzehnte nach. | |
| Kästner-Verfilmung „Fabian“ im Kino: Im Exzess klaren Kopf behalten | |
| Dominik Graf nimmt sich in der Kästner-Adaption „Fabian oder Der Gang vor | |
| die Hunde“ einige Freiheiten. Sein Film fiebert durchs Berlin der | |
| Dreißiger. | |
| KI-Filme zur Öffnung der Kinos: Die Grenze von Mensch und Maschine | |
| Mit der Wiederöffnung der Kinos gibt es wieder mehr Begegnungen mit echten | |
| Menschen. Einige der anlaufenden Filme stellen diese Echtheit infrage. | |
| Vierter Tag Filmfestival Berlinale: Eine Freundin wie sie selbst | |
| Genauer Blick für soziale Fragen und die strenge Poesie des Existenziellen: | |
| Der Wettbewerb der Berlinale zeigt starke Frauen mit Schwächen. | |
| Dritter Tag Filmfestival Berlinale: Die Bilder der Pandemie | |
| Im Programm der Berlinale tauchen die ersten Filme der Coronazeit auf. Sie | |
| zeigen bunte Masken aus Stoff und Menschen, die Abstand halten. | |
| Zweiter Tag Filmfestival Berlinale: Geheimnisse in der Familie | |
| Am zweiten Tag der Berlinale laufen Filme aus Kanada, Südkorea und | |
| Deutschland. Sie thematisieren langsame, behutsame Veränderungen. | |
| Sofaberlinale – Kinofestival digital: Tage des einsamen Streamens | |
| Am Montag beginnt die 71. Berlinale. Aber nicht richtig. Ohne Kinos, | |
| Publikum, roten Teppich oder Stars. Kritiker dürfen online schauen. | |
| Filmprogramm neben der Berlinale: Kino mit Pferdeschwanz | |
| Die Berlinale läuft im März ohne Publikum. Immerhin bietet die unabhängige | |
| Woche der Kritik ihr Film- und Diskussionsprogramm im Internet an. | |
| Globales Filmfestival auf Youtube: Das Wasser, das aufwärts fließt | |
| Das Filmfestival „We Are One“ zeigt bis 7. Juni auf Youtube ein Programm | |
| aus überraschenden Filmen mit ungewöhnlichen Geschichten. |