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# taz.de -- Designausstellung in München: Die Routine und ihr Ding
> Designobjekte stehen für ein Lebensgefühl. Mit 21 ausgewählten Objekten
> zeichnet die Pinakothek der Moderne zwei Jahrzehnte nach.
Bild: Spielen kann man nicht mit ihm: Sony Design Center, AIBO ERS 210, 2002
Jawoll, die letzten drei Jahre hätte man sich anders gewünscht – das bilden
diese Gegenstände perfekt ab: ein Sneaker, Legofiguren und ein
Luftreiniger. Den Sneaker kann man ohne Hände anziehen, wie einen
Schlüpfschuh, der durch einen Klappmechanismus an der Ferse geschmeidig
über den Fuß gleitet. Die Legofiguren sind eingefärbt in Regenbogenfarben
und mit „Everyone is Awesome“ überschrieben. Und der Luftreiniger
SteriWhite Air Q115 wirkt so sperrig wie sein Titel, hilft aber gegen Viren
aller Art.
[1][Covid und Co. mit UV-Licht killen], einer verkniffenen Gesellschaft mit
zentimetergroßen Plastik-Gedächtnisstützen den Weg zu mehr Toleranz weisen,
und dann dieser Schuh namens „Go FlyEase“, der perfekt sitzt, wenn der
Bauch im Lockdown zu groß zum Schnürsenkelbinden geworden ist. Man schaut
sie sich an, findet Querverbindungen und fragt sich verwundert, ob es wohl
diese Dinge sind, die von uns einmal bleiben werden.
21 Designobjekte aus den vergangenen zwei Dekaden hat die Neue Sammlung der
Pinakothek der Moderne auf einer Treppe drapiert. Allesamt sollen sie
ikonisch für je ein Jahr aus der Geschichte der Sammlung stehen – und damit
auch für ein heute schon zur Vergangenheit geronnenes Lebensgefühl.
## Segway und Drohnen
Sehr verschiedene Ausstellungsstücke kommen zusammen: der ein oder andere
Roboter, Objekte aus dem 3D-Drucker, ein [2][Fairphone] (2013), ein
Virtual-Reality-Headset (2017), motorisierte Beförderungsmittel wie ein
Segway (2018), einige Stühle unterschiedlicher Machart, so futuristische
wie anatomische Krücken (2012), eine Drohne mit 360-Grad-Sicht (2016), und
mehr als nur ein Gefäß.
Insgesamt zeichnen sie die Momentaufnahme einer um die eigene Gesundheit,
Unterhaltung und zuletzt auch ums Überleben besorgten Gesellschaft. Wobei
zwei Dekaden, so hätte es zumindest der vor mehr [3][als zehn Jahren
verstorbene Theaterregisseur Christoph Schlingensief] wohl ausgedrückt,
natürlich auch nur ein „Fliegenschiss auf der Windschutzscheibe des Lebens“
bleiben.
Los geht es im Jahr 2002 recht verspielt mit dem Robo-Dog AIBO ERS 210,
damals zu haben für einen vierstelligen Betrag, genau wie heute die
lebendigen Kollegen vom Hundezüchter. [4][Das Hündchen aus Blech
analysiert] mittels einer Frühvorstufe von KI seine Umgebung. Mit
Mikrofonen, Sensoren und Kamera orientiert es sich im Raum und „reagiert“
auf Stimuli wie Streicheln oder auf bestimmte Reizworte wie „Sitz!“,
„Platz!“, „Bleib!“.
Der Bionische Roboter AirArm (2008, diverse) kann sehr präzise Dartpfeile
werfen – aber eben auch operieren. Das Jawbone zeichnet dann ab 2011
Schlaf-, Bewegungs- und Essverhalten seines Trägers auf. Und der
Social-Roboter AV1 des Snø-Designstudios (2015) unterstützt Familien beim
Homeschooling.
## Eine Ratte zum Tee
Im Jahr 2003 bringt der „High Tea Pot“ von Wieki Somers eine
sozialkritische Komponente ein: Geformt wie ein skelettierter
Schweineschädel und mit dem Fell einer Wasserratte überzogen, setzt er dem
distinguierten Akt des Fünf-Uhr-Tees die buchstäbliche Schweinerei des
Tieretötens in allerbesten Jagdkreisen entgegen.
Eine Amphore (2006, Designer unbekannt) ist – ähnlich widersprüchlich und
hintersinnig – aus alten Lkw-Reifen zusammengenagelt. Einige Jahre darauf
(2010) schafft das Designstudio Formafantasma dann einige Gefäße, ohne dass
dabei Müll entstünde.
Eine dritte Achse – neben Bionik und Gesellschaftskritik – bilden
Möbelstücke mit digitalem Twist: Patrick Jouin druckte 2004 den „Solid C2�…
einen aus Kunststoffbändern gewobenen Stuhl, einfach in 3D aus. Und der
Cinderella Table von Jeroen Verhoeven kombiniert zwei Tischmodelle des 18.
Jahrhunderts mittels Software.
Interessant ist eine solche Rückschau auf unsere Routinen, die mittlerweile
wieder vergangen sind. Wenn man den Segway aber nicht ausprobieren, den
Roboterhund nicht bellen hören und nicht einmal das Jawbone testen darf,
bleibt sie leider recht museal. Denn gutes Design ist vor allem ein
haptisches Erlebnis. Es gibt Antworten auf Alltagsprobleme, bevor jemand
eine Frage gestellt hat. Hier wandert man jedoch mit einem Programmheft in
der Hand von Vitrine zu Vitrine – und blättert in der Zukunft von gestern
nach.
10 Aug 2022
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## AUTOREN
Johanna Schmeller
## TAGS
Ausstellung
München
Design
Möbel
Roboter
Mobilität
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
2050 – die, die überleben wollen
künstliche Intelligenz
Ausstellung
Maria Schrader
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