| # taz.de -- Hohenzollern und Nationalsozialismus: Militarismus und echte Führe… | |
| > Historikerin Karina Urbach hat geheime Berichte einer Journalistin | |
| > ausgewertet. Sie belegen: Auch die adligen Preußen-Frauen warben für | |
| > Hitler. | |
| Bild: Kronprinzessin Cecilie von Preußen (Pickelhaube), Viktoria Luise (Totenk… | |
| Die Amerikanerin Sigrid Schultz führte ein Doppelleben. Als Journalistin | |
| ging sie in den 1930er Jahren bei den Partys der Nationalsozialisten ein | |
| und aus. Sie interviewte Hitler, war mit Göring befreundet und kannte jeden | |
| in der Berliner Gesellschaft. | |
| Ihr Arbeitgeber, die Chicago Tribune, war eine konservative Zeitung die die | |
| amerikanischen Isolationisten unterstützte. Sigrid Schultz teilte weder die | |
| Ansichten ihrer Vorgesetzten in Chicago noch die der Nationalsozialisten. | |
| Sie hatte Hitlers Aufstieg aus nächster Nähe miterlebt und ahnte sehr früh, | |
| wie gefährlich er werden würde. Seit 1925 leitete sie das Berliner Büro der | |
| Chicago Tribune, damals eine ungewöhnliche Ehre für eine Frau. | |
| Rein äußerlich entsprach sie dem nordischen Ideal des NS-Regimes. Und die | |
| Nazis stuften sie als zuverlässig ein. Während ihre Kollegen Dorothy | |
| Thompson und Sefton Delmer im Laufe der Jahre ausgewiesen wurden, durfte | |
| Schultz bis 1941 bleiben. Das lag auch an ihrem geschickten Doppelspiel. | |
| Kritische Artikel schrieb sie unter dem Männernamen John Dickson und sorgte | |
| dafür, dass sie mit der Unterzeile „aus Oslo“ oder „aus Kopenhagen“ | |
| veröffentlicht wurden. | |
| Schultz besaß gute Informanten in allen gesellschaftlichen Schichten; | |
| besonders ergiebig scheint eine Gruppe von linken Kellnern im Hotel Adlon | |
| gewesen zu sein. Eine ihrer Methoden, an Material zu kommen, war es, sich | |
| mit einflussreichen Damen der Gesellschaft anzufreunden. Zu diesen Damen | |
| gehörten die Frauen der Hohenzollern. | |
| ## Zu Unrecht vergessen | |
| [1][In der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Prinzen von Preußen] | |
| sind diese Frauen in Vergessenheit geraten. Für Juristen geht es allein um | |
| die Frage, ob [2][Kronprinz Wilhelm als Chef des Hauses Hohenzollern den | |
| Nationalsozialisten „erheblichen Vorschub“] geleistet hat oder nicht. Ob | |
| seine Ehefrau Cecilie, seine Stiefmutter Hermine und seine Schwester | |
| Viktoria Luise sich für die Nationalsozialisten engagierten, wird vor | |
| Gericht keine Rolle spielen. Doch für Historiker sind sie wichtig. | |
| Wenn man sich mit den internen Mechanismen von Adelsfamilien beschäftigt, | |
| erkennt man schnell, dass nach außen hin zwar der Chef des Hauses | |
| entscheidet, dass aber hinter den Kulissen Geschwister und Ehefrauen | |
| ebenfalls eine einflussreiche Rolle spielen können. Die hochambitionierten | |
| Frauen der Hohenzollern waren hier keine Ausnahme. | |
| Die Ehe von Kronprinz Wilhelm und seiner Frau Cecilie verlief alles andere | |
| als harmonisch, aber einig war sich das Paar in zwei Punkten: Man hasste | |
| die Weimarer Republik und man wollte zurück an die Macht. Befreundete | |
| Monarchen in Italien und Spanien galten dabei als Vorbild: König Viktor | |
| Emanuel III. von Italien war eine Symbiose mit Mussolini eingegangen, König | |
| Alfons XIII. von Spanien fand ein vorteilhaftes Arrangement mit Miguel | |
| Primo de Rivera. Ähnliches wollten auch Kronprinz Wilhelm und Cecilie | |
| erreichen. | |
| Seit Ende der 1920er Jahre führte das Paar in Berlin ein großes Haus, und | |
| Cecilie engagierte sich in vaterländischen Frauenverbänden, unter anderem | |
| übernahm sie die Schirmherrschaft des 1923 gegründeten | |
| Königin-Luise-Bundes. Der Bund schloss „Jüdinnen und andere Fremdrassige“ | |
| von der Mitgliedschaft aus, „um die Reinheit der Rasse“ zu gewährleisten. | |
| ## Begeisterte Heilrufe | |
| Im Mai 1933 schwor Cecilie 20.000 Zuhörerinnen ihres Bundes mit markigen | |
| Worten auf den Führer ein: „So bringen wir nationalen Frauen … die sich von | |
| nun an in breiter Front zusammengeschlossen haben, unserem Reichskanzler | |
| Adolf Hitler unseren von Herzen kommenden Dank dafür, daß wir unter seinem | |
| Schutz unsere vaterländischen Aufgaben ungehemmt erfüllen dürfen.“ Ihre | |
| Rede wurde mit begeisterten Heilrufen aufgenommen. | |
| Cecilie war nicht die einzige Hohenzollernfrau die freudig dem Führer | |
| zuarbeitete. Kaiserin Hermine und die Schwester des Kronprinzen, Viktoria | |
| Luise, hatten die NSDAP schon sehr viel früher entdeckt. Das zeigen bisher | |
| unbekannte Berichte von Sigrid Schultz. Schultz war während eines | |
| Bombenangriffs auf Berlin im Februar 1941 verletzt worden und kehrte kurz | |
| darauf in die USA zurück. | |
| Als ausgewiesene Kennerin des NS-Regimes war sie jetzt eine ideale Quelle | |
| für den amerikanischen Geheimdienst. Sie fing an, Berichte über | |
| NS-Persönlichkeiten zu schreiben, darunter auch die Hohenzollernfrauen. | |
| Einige dieser Berichte existieren nur in Zusammenfassungen auf | |
| Karteikarten, andere sind ausführlicher. Sie zeigen, dass Schultz die | |
| Hohenzollernfrauen als engagierte Unterstützerinnen der Nazis einschätzte. | |
| Die Kronprinzessin Cecilie beschrieb sie als eine Frau, die für eine | |
| mögliche Restauration auch gesellschaftliche Erniedrigungen durch die | |
| Nationalsozialisten ertrug. | |
| ## Fanatische Nazisse | |
| Cecilie schäme sich für ihre russische Herkunft und auch für ihren Sohn | |
| Friedrich, der es bei Kriegsausbruch abgelehnt hatte, aus England ins | |
| Deutsche Reich zurückzukehren. Mittlerweile habe die Kronprinzessin alle | |
| dynastischen Ambitionen auf ihren Sohn Louis Ferdinand übertragen. Ihr | |
| Einfluss auf ihn sei beachtlich. Auch die Ambitionen von Cecilies | |
| Schwiegermutter, Kaiserin Hermine, hatte Schultz aus nächster Nähe | |
| beobachten können. | |
| Hermine sei schon früh zu den Nationalsozialisten gestoßen, habe für sie | |
| gesellschaftlich viel getan. Sie habe ihnen in Holland wie auch in | |
| Deutschland Geldgeschenke zukommen lassen. | |
| Besonders interessant sind Schultzens Berichte über Viktoria Luise, die | |
| Schwester Kronprinz Wilhelms. Viktoria Luise hatte 1913 Ernst August von | |
| Hannover, Herzog von Braunschweig geheiratet und mit ihm fünf Kinder | |
| bekommen. Laut Informationen von Schultz war Ernst August bei seinen | |
| Verwandten im englischen Königshaus besonders beliebt, was er zu nutzen | |
| wusste: | |
| „Plötzlich in den frühen Tagen des Regimes tauchte das Paar wieder in der | |
| Berliner Gesellschaft auf. [Viktoria Luise] war eine fanatische Nazisse … | |
| mit den ambitioniertesten Plänen“, schrieb Schultz, „sie huschte ständig … | |
| die britische Botschaft für mysteriöse Besuche. Bei offiziellen Empfängen | |
| rannte sie auf Hitler zu, der gerne Prinzessinnen um sich hat. Einige | |
| Monate lang war Hitlers Umgebung ernsthaft alarmiert, weil er über eine | |
| Restauration einer der deutschen Monarchien sprach …Victoria Luise war sich | |
| sicher, es würde ihre Dynastie [die Hannoveraner] sein.“ | |
| ## Viktoria Luise, die braune Chefideologin | |
| Das Paar unterstützte die NSDAP finanziell und unternahm viel, um in | |
| Hitlers Gunst zu bleiben. Anfang der 1930er Jahre führten sie Gespräche mit | |
| dem britischen Luftfahrtminister Lord Londonderry, um ihn für den | |
| Nationalsozialismus zu gewinnen. Viktoria Luise vertrat sogar die Ansicht, | |
| es sei ihr Mann gewesen, der die entscheidenden Hinweise für das | |
| deutsch-britische Flottenabkommen 1935 gegeben habe. Sie arbeitete mit | |
| Verve für Ribbentrop, der sie für Werbedinners der Anglo-German Fellowship | |
| in London einsetzte. | |
| Auch bei den Nürnberger Parteitagen und den Olympischen Spielen 1936 | |
| übernahm Viktoria Luise die ideologische Rundumbetreuung der britischen | |
| VIP-Gäste. Aber sie war nicht nur eine Werbeikone für die Nazis. Laut | |
| Schultzens Bericht stellte Victoria Luise vor dem „Anschluss“ Österreichs | |
| 1938 den Nazis ihren Besitz im österreichischen Gmunden für geheime Treffen | |
| zur Verfügung: „Es war eine Brutstätte von Naziagenten“. | |
| Im Zweitwohnsitz Braunschweig zeigte man von Anfang an Flagge. Hier konnte | |
| die Bevölkerung Fotos und Postkarten der Familie in verschiedenen | |
| Naziuniformen kaufen. Viktoria Luises Tochter Friederike wurde in der | |
| NS-Presse besonders gelobt, da sie im Arbeitsdienst ihre Pflicht tat „wie | |
| eine ganz gewöhnliche Deutsche“. | |
| Hitler und Ribbentrop hofften, die enthusiastische Arbeitsmaid mit dem | |
| Prinzen von Wales zu verheiraten, aber der hatte andere Präferenzen. Am | |
| Ende fand man für Friederike 1938 einen griechischen Prinzen. Schultzens | |
| Informationen zufolge hat Friederike ihren Freunden nach der Verlobung | |
| versichert, sie würde im Ausland viel für das Dritte Reich leisten können. | |
| Als Friederike 1947 – mitten im Griechischen Bürgerkrieg – tatsächlich | |
| Königin von Griechenland wurde, warnte Schultz noch einmal vor ihrem | |
| Fanatismus, ohne Erfolg. | |
| ## Wiedersehen mit Göring | |
| Sigrid Schultz war im Januar 1945 mit der amerikanischen Armee nach Europa | |
| zurückgekommen. Sie berichtete über das KZ Buchenwald und interviewte in | |
| Nürnberg ihren alten Bekannten Göring. Es war einer der letzten Höhepunkte | |
| ihrer Karriere. Nur wenige Jahre danach wollte niemand mehr sie | |
| beschäftigen. Ihr Buch „Germany will try it again“ und ihre feste | |
| Überzeugung, die NS-Ideologie lebe in Deutschland weiter, passten nicht | |
| mehr in den Kalten Krieg. | |
| Ihre Warnungen wurden ignoriert, ihr Manuskript über die Geschichte des | |
| Antisemitismus blieb unvollendet, als sie 1980 starb. Dafür erlebte ihre | |
| Kontrahentin, die Hitlerverehrerin Viktoria Luise, eine steile | |
| Nachkriegskarriere als Bestsellerautorin. | |
| Mit einem Ghostwriter verfasste sie zwischen 1965 bis 1977 sieben | |
| erfolgreiche Lebenserinnerungen, die allesamt von starker Amnesie geprägt | |
| waren. Mit den Nazis habe man kaum etwas zu tun gehabt, und auch die | |
| Arisierungen von mehreren jüdischen Firmen, an denen ihr Mann sich | |
| bereicherte, scheinen Viktoria Luise völlig entgangen zu sein. Ihre | |
| atemberaubenden Märchenerzählungen wurden begierig aufgenommen, und in der | |
| Braunschweiger Bevölkerung blieb Viktoria Luise bis zu ihrem Tod | |
| ausgesprochen beliebt. | |
| Nach Auskunft des Prinzen von Hannover bekam das Haus Hannover nach dem | |
| Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 Kunstobjekte aus Sachsen-Anhalt zurück | |
| und konnte ehemaligen Forst-und Landwirtschaftsbesitz zu günstigen | |
| Konditionen zurückerhalten bzw. erwerben. Ob sein Verwandter, Prinz von | |
| Preußen, Geld vom Staat bekommen wird, bleibt derzeit weiterhin strittig. | |
| 31 Jan 2021 | |
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