# taz.de -- SPD-Fraktionschef über GroKo: „Sollten getrennte Wege gehen“ | |
> 2021 will SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nicht mehr mit der Union | |
> koalieren. Ein Gespräch über Twitter, Talkshows und die Hoffnung | |
> Rot-Rot-Grün. | |
Bild: Folgte 2019 auf die zurückgetretene SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles: R… | |
taz: Herr Mützenich, wie ist die Stimmung in der Koalition? | |
Rolf Mützenich: Gut. | |
Zwei plus oder zwei minus? | |
Ich will die Koalition nicht mit Schulnoten bewerten. Am Montag haben wir | |
im Koalitionsausschuss eine wichtige Diskussion geführt über die | |
bevorstehende Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Die | |
Erwartungen an Deutschland sind groß. Es geht unter anderem um den | |
EU-Haushalt und Hilfen an europäische Länder, die massiv unter der Pandemie | |
leiden. | |
Der [1][Macron-Merkel-Plan] umfasst 500 Milliarden Euro, von der Leyens | |
Plan 750 Milliarden, aber mit Krediten. Aber es gibt hartnäckigen | |
Widerstand gegen beide Pläne aus den Niederlanden und vier weiteren | |
Staaten. Gelingt eine Einigung? | |
Sie muss gelingen. Ich bin sehr froh, dass Deutschland eine solidarische | |
Haltung eingenommen hat, um einzelnen Ländern in einer existenziellen Krise | |
unmittelbare Hilfe zu leisten, die auch schnell funktioniert. Es geht | |
letztlich um die Idee Europa und um die Zukunft der EU. | |
Angela Merkel wollte 2012 keine Euro-Bonds. Nun soll es zwar [2][keine | |
Euro-Bonds], aber etwas Ähnliches geben. Ein Verdienst der SPD? | |
Ja, Finanzminister Olaf Scholz und Norbert Walter-Borjans haben bereits vor | |
zwei Monaten dargelegt, wie sie sich die Hilfen für Europa vorstellen: auch | |
über Zuschüsse, die gemeinschaftlich finanziert werden. Das ist ein gutes | |
Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Parteiführung, Fraktion und dem | |
sozialdemokratischen Teil in der Regierung. Dieser Plan, der die Grundlage | |
für Merkel und Macron war, ist in der Öffentlichkeit vielleicht zu wenig | |
beachtet worden. Im Kern geht es darum, in dieser existenziellen Krise | |
massiv und schnell mit finanziellen Mitteln zu helfen. Die SPD hat da mit | |
einer klar proeuropäischen Stimme gesprochen. Dass Macron und Merkel einem | |
solchen Konzept zugestimmt haben, hat für Verwunderung in deren | |
Parteienfamilien gesorgt. | |
Was erwarten Sie von Angela Merkel in der [3][deutschen | |
Ratspräsidentschaft]? | |
Das zweite große Ereignis wird sicher der Brexit sein. Die britische | |
Regierung scheint mit harten Forderungen ein selbst verantwortetes Problem | |
auf dem Rücken von Europa lösen zu wollen. Um das abzuwenden, bedarf es | |
großer Übereinstimmung innerhalb der EU. Und wir müssen bei | |
Mindestbesteuerung von Unternehmen in der EU und sozialen Fragen wie | |
Mindestlohn und Arbeitslosenrückversicherung vorankommen. | |
Was will die SPD unbedingt? Europäischen Mindestlohn oder | |
Arbeitslosenrückversicherung? | |
Beides. Bei der Bankenrettung haben viele Menschen nicht nur in Deutschland | |
gefragt: Wo bleiben wir? Ich finde es richtig, mit anderen europäischen | |
Regierungen das soziale Gesicht Europas zu stärken. In der Europäischen | |
Union muss ein Mindestmaß an Sozialunion geschaffen werden. Vielleicht ist | |
das jetzt ohne Großbritannien einfacher. | |
Die Große Koalition ist aus Not entstanden. Ist es ein Kollateralnutzen der | |
Pandemie, dass sich SPD und Union besser vertragen? | |
Der Weg in die Große Koalition war für die SPD mit Verrenkungen verbunden, | |
weil Union, Grüne und FDP keine gemeinsame Verantwortung übernehmen | |
wollten. Die SPD-Mitglieder haben mit klarer Mehrheit der Großen Koalition | |
zugestimmt. Und die SPD hat viel durchgesetzt. Diese Regierung mag | |
vielleicht aus der Not geboren sein, aber sie hat schon viel Gutes | |
erreicht, und in der Pandemie führen diese zwei Parteien das Land gut durch | |
die Krise. Wenn es jetzt auch noch gelingt, die Grundrente zu verankern, | |
haben wir ein gutes Programm umgesetzt. | |
Kommt die [4][Grundrente]? | |
Wir haben hart dafür gearbeitet. Das Kabinett hat ein Gesetz auf den Weg | |
gebracht, das im Parlament nachgearbeitet wurde. Wenn jetzt die Gespräche | |
auf den letzten Metern gelingen, gibt es hoffentlich noch vor der | |
Sommerpause einen Beschluss im Bundestag. | |
Das ist sportlich. Das Parlament tagt nur noch drei Tage. | |
Manchmal kann man gerade unter Druck gut arbeiten. | |
Gibt es eine Einigung bei der Grundrente? | |
Die SPD hat jedenfalls alles dafür getan, dass es gelingen kann. | |
Schließen Sie für 2021 die dritte Große Koalition in Folge aus? | |
Wir werden durch einen engagierten Wahlkampf und unser Programm deutlich | |
machen, dass wir jenseits der Union nach Mehrheiten streben. Union und SPD | |
sollten nach 2021 getrennte Wege gehen. Der Union täte es gut, sich in der | |
Opposition zu regenerieren. | |
Das ist aber kein Ausschluss. | |
Zunächst entscheiden die Wählerinnen und Wähler, ob es nach 2021 eine | |
andere Regierung geben kann. Ich werde mich dafür engagieren, dass die SPD | |
den Regierungsauftrag bekommt. | |
Gerhard Schröder empfiehlt der SPD ein Fünferteam für 2021. Auch Sie sollen | |
dabei sein. | |
Das ist interessant. | |
Interessant klingt nicht so begeistert. | |
Na ja, was Gerhard Schröder vorschlägt, haben wir in den vergangenen | |
Wahlkämpfen immer gemacht. Wir haben einen Kanzlerkandidaten gehabt und ein | |
Team gebildet. Aber das entscheiden die beiden Parteivorsitzenden. | |
Sie sind nicht auf Twitter. Kann man sich das als Spitzenpolitiker leisten? | |
Ja. | |
Welche Nachteile hat das? | |
Vielleicht, dass man nicht unmittelbar an jeder Debatte teilnimmt. Aber ich | |
möchte auch gar nicht an jeder – mitunter aufgeregten, aber kurzlebigen – | |
politischen Debatte teilhaben, sondern in erster Linie meine Arbeit als | |
Fraktionsvorsitzender tun. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass | |
Menschen in Echtzeit jeden meiner Gedanken oder Gemütsregungen | |
nachvollziehen wollen. | |
Ein Meinungsforschungsinstitut fragt, wie beliebt die 22 bekanntesten | |
PolitikerInnen sind. Linda Teuteberg und Lars Klingbeil sind dabei, Sie | |
nicht. Bekümmert Sie das? | |
Nein. Fraktionsvorsitzende stehen in der Regel nicht an der Spitze der | |
Meinungsumfragen. Ich fühle mich eigentlich ganz wohl damit, nicht nach | |
Skalenwerten beurteilt zu werden, sondern mich auf die Inhalte | |
konzentrieren zu können. | |
Was halten Sie von Talkshows? | |
Ich schaue mir selten welche an. Sie wären auch nicht unbedingt das Format, | |
in dem ich über politische Inhalte diskutieren möchte. Ich bin überzeugter | |
Parlamentarier. | |
Haben Talkshows den Bundestag als Ort öffentlicher Debatten abgelöst? | |
Nein, sie sind höchstens eine Ergänzung. In unserem politischen System ist | |
und bleibt das Parlament unverzichtbar, auch als Forum der Debatte. | |
Sind Sie ein altmodischer Politiker? | |
Wenn das altmodisch ist, ja. | |
Ist ein rot-rot-grünes Bündnis wahrscheinlicher als früher? | |
Es kommt dabei nicht allein auf die SPD an. Die Grünen haben 2017 ja viel | |
angeboten, um auf die Regierungsbank neben Merkel zu wandern. Man wird | |
sehen, was deren Präferenzen 2021 sind. Die Grünen werden noch in | |
Auseinandersetzungen um ihren politischen Kurs kommen. Sich weiter | |
durchschlawinern, wie sie das bisher getan haben, werden sie nicht können. | |
Sie müssen klar machen, mit wem sie das, was sie in der Opposition | |
behaupten und fordern, in der Regierung durchsetzen können. | |
Halten Sie eine Regierung mit der Linkspartei für machbar? | |
Es gab in den letzten Monaten immer wieder Interessenbekundungen vonseiten | |
der Linken. Aber es muss belastbare Verabredungen geben, die vier Jahre | |
halten. | |
Ist das in der Außenpolitik denkbar? | |
Es gibt immer noch [5][Teile der Partei Die Linke], die sich schwer mit | |
internationalen Entscheidungen tun. Wenn die Vereinten Nationen begründet | |
mit dem Völkerrecht Staaten bitten, sie bei Einsätzen zu unterstützen, kann | |
man das nicht so strikt ablehnen, wie die Linke es tut. | |
Also dürfte die Linksfraktion nicht mehr wie bisher im Bundestag alle | |
Einsätze der Bundeswehr ablehnen? | |
Das wird für die Partei Die Linke ein schmerzhafter Prozess werden. Wo | |
UN-Einsätze durch das Völkerrecht legitimiert sind, muss ein konstruktiver | |
Pazifismus ein solches Mandat, wenn es an Deutschland gestellt wird, | |
mittragen – alles andere ist Gesinnungsethik. | |
Wo gäbe es noch Ärger mit der Linkspartei? | |
Es gibt tektonische Verschiebungen im internationalen System, zwischen den | |
USA, China und Europa. Die Staaten Europas brauchen einen multilateralen | |
Ordnungsentwurf, und das heißt, sich nicht nur an nationalen | |
Befindlichkeiten zu orientieren. Europa muss den Machtzentren China und USA | |
etwas entgegensetzen und in Europa eine solidarische Ordnung schaffen. Ich | |
weiß nicht, ob alle Mitglieder der Linken dies genauso sehen. | |
Deutschland hat [6][2019 doppelt so viel Rüstungsgüter] exportiert wie 2018 | |
– für acht Milliarden Euro und viel in Nicht-Nato-Staaten. Wie passt das zu | |
Ihrem Lob der Groko? | |
Allein die Höhe der Summe sagt noch nichts über die Qualität der Exporte | |
aus. Aber ich bin damit nicht zufrieden. In den Koalitionsverhandlungen mit | |
der Union habe ich mich sehr bemüht, die Jemen-Klausel durchzusetzen … | |
… dass keine Waffen in das Kriegsgebiet geliefert werden dürfen … | |
… aber auch Rüstungsgüter in Staaten, die nicht mehr unmittelbar [7][am | |
Jemenkrieg] beteiligt sind, können in diesen Konflikten wie Libyen wieder | |
auftauchen. Wir brauchen ein Rüstungsexportgesetz, das einklagbar ist. Hier | |
gibt es interessante Übereinstimmungen mit der Partei Die Linke, und auch | |
mit Teilen der Grünen. Aber nur mit Teilen. Mich wundert schon, dass | |
Vordenker aus der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung den Grünen nahelegen, | |
Auslandseinsätze in Zukunft auch ohne völkerrechtskonformes Mandat zu | |
erlauben und aus der Partei und Fraktion kein Widerspruch kommt. Vor | |
solchen Ideen sollten wir frühzeitig warnen. Außenpolitisch brauchen wir | |
nicht nur eine Diskussion mit der Partei Die Linke über die internationale | |
Ordnung und das Völkerrecht, sondern offensichtlich auch mehr und mehr mit | |
den Grünen. | |
26 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
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