# taz.de -- SPD-Chef über Konjunkturprogramme: „Es geht nicht um Drohgebärd… | |
> Walter-Borjans will einen Kinderbonus, aber keine Abwrackprämie. Es könne | |
> „nicht sein, dass die Autolobby diktiert, was richtig und was falsch | |
> ist“. | |
Bild: Walter-Borjans über seine Koalitionspartnerinnen von der Union: „Bei K… | |
taz: Herr Walter-Borjans, haben Sie ein Auto? | |
Norbert Walter-Borjans: Nein. Ich nutze Bahn und öffentliche | |
Verkehrsmittel. Und, wo ein Auto sinnvoll ist, Car Sharing. | |
Würden Sie sich ein Auto kaufen, wenn Sie 3.000 Euro vom Staat als | |
Subvention bekämen? | |
Nein, ich habe ein anderes Verständnis von Mobilität. Viele sind aber auf | |
ein Auto angewiesen. Eine Prämie hilft aber nur denen, die gegenwärtig über | |
eine vorgezogene Anschaffung für 30.000 Euro oder mehr nachdenken können. | |
Das können sich viele zurzeit nicht erlauben. Für die Stützung unserer | |
Schlüsselindustrie Auto gibt es wirkungsvollere und klimaschonende | |
Instrumente. Eine Prämie macht nur Sinn, wenn sie ausschließlich dem | |
Umstieg auf andere Antriebe als den Verbrenner dient. | |
2009 hat die SPD die Abwrackprämie eingeführt, und den Autokauf | |
subventioniert. Waren Sie damals dafür? | |
Ja, weil es einen – wenn auch kurzen – wirtschaftlichen Nachfrageschub und | |
den Umstieg auf schadstoffärmere Autos versprach. Aber das kam nur einem | |
kleinen Teil der inländischen Produzenten zugute. Viele der bei uns | |
abgewrackten Autos wurden außerdem in arme Länder exportiert. | |
Die Autokonzerne zahlen 2020 Dividenden, fordern aber Kaufprämien. Passt | |
das zusammen? | |
Definitiv nein. Die Haltung der Automobilindustrie ist da, gelinde gesagt, | |
wenig verantwortungsbewusst. Die Industrie kann Milliarden an Dividenden | |
ausschütten, hat Milliarden an Strafen für den Diesel-Betrug in den USA | |
bezahlt – aber wenn die Konjunktur lahmt, sollen die Steuerzahler | |
einspringen? Die Verkaufsförderung für die konventionelle Technologie | |
bleibt Sache der Unternehmen. Die staatliche Unterstützung muss dem Umstieg | |
in die Zukunft und der langfristigen Sicherung der Beschäftigung dienen. | |
Also kommt die Abwrackprämie am Dienstag nicht im Koalitionsausschuss? | |
Wenn man Herrn Söder hört, kommt sie wohl rein. Sie darf aber nicht | |
rauskommen. Ich finde es unerträglich, den Beschäftigten der | |
Automobilindustrie weismachen zu wollen, dass die Sicherung der | |
Arbeitsplätze nicht ohne staatliche Preissubvention geht – in einer | |
Branche, die jahrelang Rekordgewinne eingefahren und Milliardendividenden | |
ausgezahlt hat. Die SPD ist bereit, den Fahrzeugbau und vor allem seine | |
Zulieferer massiv zu unterstützen – aber nicht beim Verkauf, sondern beim | |
schnelleren Umstieg auf neue Antriebe, bei Forschung und Entwicklung, bei | |
der Batterietechnologie und einer flächendeckenden | |
Ladestationsinfrastruktur. | |
In Frankreich wird die Autoindustrie mit acht Milliarden Euro unterstützt, | |
inklusive Abwrackprämie. Muss Deutschland da nicht nachziehen? | |
Wir stehen zweifellos im Wettbewerb. Gerade deshalb müssen wir helfen, den | |
Umstieg zu beschleunigen und schneller und besser als die anderen zu sein. | |
Es kann nicht sein, dass die Autolobby diktiert, was richtig und was falsch | |
ist. | |
Was will die SPD im Koalitionsausschuss in Sachen Konjunkturprogramm | |
unbedingt durchsetzen? | |
Wir müssen die private Nachfrage stärken. Das geht am wirkungsvollsten bei | |
kleinen und mittleren Einkommen, weil die das Geld direkt ausgeben und | |
nicht sparen. Deshalb wollen wir einen Bonus von 300 Euro pro Kind. Wichtig | |
sind zudem öffentliche Investitionen. Wir haben schon vor Corona ein | |
450-Milliarden-Investitionsprogramm für zehn Jahre durchgesetzt. Das muss | |
jetzt sofort und massiv starten. In dessen Mittelpunkt müssen die Kommunen | |
stehen. Das sagt auch Michael Hüther, der Chef des Instituts der deutschen | |
Wirtschaft, das unverdächtig ist, eine sozialdemokratische | |
Vorfeldorganisation zu sein. Wir müssen den Kommunen die Einbrüche bei der | |
Gewerbesteuer und die Altschulden abnehmen. Sonst werden die | |
Konjunktureffekte, die der Staat auf Bundes- und der Landesebene auslöst, | |
praktisch in den Kommunen neutralisiert. Zwei Drittel der Investitionen der | |
öffentlichen Hand laufen über die Kommunen. | |
Die Länder Bayern und Baden-Württemberg, die Unionsfraktion und ihr Chef | |
Ralph Brinkhaus, sind gegen die Übernahme von Altschulden. | |
Die CDU ist auch in dieser Frage uneinig. Das Saarland und | |
Nordrhein-Westfalen, wo das Problem am stärksten ist, wollen die | |
Altschuldenübernahme durch den Bund und die betroffenen Länder. Die | |
Altschulden sind doch nicht die Schuld der Kommunen. Wir reden über Städte, | |
die Jahrzehnte lang zum Aufbau der Republik beigetragen haben. Jetzt haben | |
sie durch den Strukturwandel Sozialausgaben, die im Bund beschlossen | |
wurden, und ihnen keine Luft für Sanierung und Modernisierung lassen. | |
Deshalb fallen sie immer weiter zurück. Besonders da, wo der der | |
Investitionsbedarf am größten ist, fehlt das Geld. Das kann nicht | |
funktionieren. Wir reden über mindestens zehn Millionen betroffene Menschen | |
in 2.500 Städten. | |
Sind die Südländer, die bei den Altschulden Nein sagen, egoistisch? | |
Früher sind die Aufbaumittel aus den ehemals reichen Kohle- und | |
Stahlregionen auch nach Bayern geflossen. Jetzt näht man sich dort die | |
Taschen zu und sagt: Wir haben das Problem Altschulden doch gar nicht. | |
Gerade in Zeiten der Krise müssen wir uns darauf besinnen, dass Solidarität | |
Voraussetzung für den dauerhaften Wohlstand des ganzen Landes ist. | |
Ist die Übernahme der Altschulden für die SPD eine rote Linie? | |
Es geht nicht um Drohgebärden, sondern um die Lösung zentraler Fragen. Die | |
Altschuldenproblematik gehört dazu. | |
Aber 300 Euro für Kinder sind eine harte Forderung der SPD? | |
Ja, die 300 Euro sind eine harte Forderung. Es wäre für CDU und CSU auch | |
schwer zu erklären, warum man bei der Wirtschaft mit hohen | |
Milliardenbeträgen schnell dabei ist, aber immer dann die Reißleine zieht, | |
wenn es um Kinder, Rentner oder Mindestlohnbezieher geht. | |
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder fordert eine | |
Schuldenobergrenze von jetzt ab von 100 Milliarden Euro. Ist das sinnvoll? | |
Markus Söder hat ja zuerst gesagt: „whatever it takes“. Jetzt glaubt er auf | |
einmal, dass er mit einer Obergrenze Popularität gewinnen kann. Diese | |
Wandlungsfähigkeit ist beeindruckend. Eine willkürliche Grenze zu ziehen – | |
nur weil im Dezimalsystem eine Eins mit zwei Nullen eine glatte Zahl ist, | |
ist wenig überzeugend. Das erzeugt unnötige Torschlusspanik, weil dann | |
viele glauben, zu spät zu kommen. | |
In der Union gab es Forderungen den Mindestlohn in der Krise zu senken. | |
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat das abgeräumt. Ist das glaubhaft? | |
Die Forderung ist geradezu schäbig. Dass AKK da reingegrätscht ist, war | |
gut, aber auch das Mindeste. Leider ist das ja nicht der einzige Vorstoß | |
gegen die, die besonders jetzt Hilfe nötig haben. Der Widerstand gegen die | |
Grundrente und gegen den Abbau des Soli für 90 Prozent der Steuerzahler | |
folgt ja dem gleichen Muster. CDU und CSU sind schnell dabei, Große zu | |
unterstützen, bei Kleinen sind sie kleinlich. | |
Zum Beispiel? | |
Die Gaststätten. Wir wollten Gastwirten mit einer Einmalzahlung helfen. | |
Markus Söder wollte unbedingt die Mehrwertsteuer für Speiselokale senken. | |
Das hat nun den Effekt, dass in der Kiezkneipe die Frikadelle steuerlich | |
gefördert wird, das Pils, mit dem sie ihren Umsatz macht, aber nicht. Die | |
großen Gastronomieunternehmen verdienen ihr Geld dagegen vor allem mit | |
Speisen. Vor allem die Systemgastronomie, deren Verband samt größtem | |
Mitglied seinen Sitz in München hat. | |
Kommen wir zur EU: Hat es Sie überrascht, dass Merkel mit Macron ein 500 | |
Milliarden Euro Programm für die EU vorgeschlagen hat? | |
Den Schwenk der Kanzlerin habe ich [1][im letzten taz-Interview | |
vorausgesagt]. Angela Merkel hat das weniger aus ökonomischen Überlegungen | |
getan als aus der Einsicht, dass der Zusammenhalt Europas auf dem Spiel | |
steht. Die schuldlos in die Krise geratenen Staaten sollen Zuschüsse ohne | |
gängelnde Auflagen und einer Verschlechterung ihrer Ratings erhalten. Ob | |
das Kind Corona-Bonds heißt ist oder nicht, ist nicht entscheidend. Es geht | |
um die Wirkung. | |
Die EU-Kommission und von der Leyen haben danach ein 750 | |
Milliarden-Programm vorgeschlagen. Kommt das? | |
Ich hoffe ja. Es gibt noch Widerstände aus Österreich, Schweden, den | |
Niederlanden und Dänemark. Ich habe an die Vorsitzenden der | |
sozialdemokratischen Parteien dort geschrieben und mich für das von Merkel | |
und Macron vorgeschlagene Modell stark gemacht. | |
In Dänemark und Schweden regieren Sozialdemokraten. Hat Ihnen jemand | |
geantwortet? | |
Es gab sehr positive Rückmeldungen. Mittlerweile sind die Dänen | |
nachdenklich geworden, in Schweden gibt es eine intensive Diskussion. Ich | |
will meinen Einfluss nicht überschätzen – aber der Brief war offenbar nicht | |
kontraproduktiv. | |
Ist Rolf Mützenich ein guter Fraktionschef? | |
Ich bin zwar nicht Mitglied der Fraktion, nehme aber an den Sitzungen teil. | |
Ich schätze Rolf Mützenich. Die Fraktion kann glücklich sein, so einen Chef | |
zu haben. | |
Sie sind beide Nachfolger von Andrea Nahles. Und beide in der öffentlichen | |
Wahrnehmung aus dem Off gekommen. Verbindet Sie das? | |
Uns verbindet sicher, dass wir deshalb unvoreingenommen mit unseren Rollen | |
umgehen können. Manche Kommentatoren erwarten offenbar, dass Machtfragen in | |
eingefahrenen Spuren beantwortet werden. Wir beide und Saskia Esken nehmen | |
auch mal andere Wege. | |
Warum legt sich die SPD nicht schon jetzt auf einen Kanzlerkandidaten fest? | |
Wir haben uns im Präsidium vor zwei Wochen einvernehmlich verständigt, dass | |
wir jetzt in der Krise keine Personaldebatte brauchen. Und dass die | |
Entscheidung im Spätsommer oder Herbst fallen soll. | |
Was muss der Kanzlerkandidat der SPD können? | |
Er oder sie muss auf dem Boden eines gemeinsam erarbeiteten Programms | |
stehen. Erst die Person, dann das Programm halte ich für falsch. Zweitens | |
geht es darum, Mehrheiten zu gewinnen und eine Regierung anführen zu | |
können. Und drittens muss der Kandidat oder die Kandidatin auch die Partei | |
mitnehmen. Es geht nicht nur um den Wähler, es geht auch um die Mitglieder. | |
Partei, Programm und Kanzlerkandidat müssen zusammenpassen. | |
1 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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