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# taz.de -- 130 Milliarden Euro als Coronahilfe: Was taugt das Konjunkturprogra…
> Die Mehrwertsteuer soll sinken, Familien sollen stärker gefördert werden.
> Das Milliarden-Paket im Überblick.
Bild: Einkaufsmeile im Ruhrgebiet
Die SPD hat viel erreicht, die CSU etwas Unerwartetes vorgeschlagen, und
Merkel hat routiniert verwaltet. So kann man das Konjunkturpaket der Großen
Koalition knapp skizzieren. Es umfasst 130 Milliarden Euro und ist von ein
paar dunklen Flecken abgesehen überraschend nach vorne gerichtet.
Hier Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Funktioniert das Paket als Konsumanreiz?
Schon die Reihenfolge macht klar, welche Maßnahmen der Koalition am
wichtigsten sind. Punkt eins ist: Die Mehrwertsteuer wird von Anfang Juli
bis Ende Dezember 2020 gesenkt. Der normale Satz fällt von 19 auf 16
Prozent, der ermäßigte Satz von 7 auf 5 Prozent. Die Steuerausfälle werden
auf beachtliche 20 Milliarden Euro beziffert.
Die Regierung hofft, dass die Unternehmen ihre Preise entsprechend senken.
„Wir machen sehr deutlich, dass wir erwarten, dass es eins zu eins
weitergegeben wird“, mahnte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am
Donnerstag. Allerdings zeigt die Vergangenheit, dass Senkungen bei der
Mehrwertsteuer nicht unbedingt bei den Kunden ankommen. Bestes Beispiel
sind die Hotels: Im Januar 2010 wurde die Mehrwertsteuer für Übernachtungen
von 19 auf 7 Prozent gesenkt – die Preise fielen jedoch nicht. Stattdessen
nutzten die Hoteliers die Gelegenheit, ihre Gewinne zu erhöhen.
Diesmal dürften die Preise aber in Branchen fallen, die hart umkämpft sind
und deren Güter so teuer sind, dass ein Steuernachlass von 3 Prozentpunkten
spürbare Effekte hat. Paradebeispiel ist die Autobranche. Wenn ein Neuwagen
40.000 Euro kostet, beträgt die Steuererleichterung 1.000 Euro. Da die
Mehrwertsteuersenkung auf ein halbes Jahr begrenzt ist, lohnt es sich also,
den Autokauf vorzuziehen und bis Dezember abzuwickeln. Ähnliche Effekte
können auch bei Möbeln oder teuren Kleidern eintreten. Die vorübergehende
niedrigere Mehrwertsteuer wirkt also wie eine Art branchenübergreifende
Abwrackprämie.
Niedrige Preise sind das eine, aber haben die Leute auch genug Geld im
Portemonnaie?
Konsumiert wird nur, wenn die Bevölkerung genug Geld hat. Daher wurde eine
„Sozialgarantie 21“ beschlossen: Die Sozialbeiträge sollen nicht steigen,
obwohl bei den Sozialversicherungen durch die Coronapandemie große Lücken
klaffen. Diese Löcher will die Regierung stopfen, was 2020 etwa 5,3
Milliarden Euro kostet. Von dieser Regelung profitieren auch Unternehmen,
da sie knapp die Hälfte der Sozialbeiträge zahlen.
Ein wichtiger Konsumanreiz ist der „Kinderbonus“ von 300 Euro. Eltern
bekommen ihn für jedes Kind, das noch kindergeldberechtigt ist. Das kommt
vor allem Familien mit geringem und mittlerem Einkommen zugute, denn bei
Gutverdienern wird der Kinderbonus mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag
verrechnet. Gleichzeitig dürfen Hartz-IV-Empfänger den Kinderbonus
behalten. Der Kinderbonus dürfte 4,3 Milliarden Euro kosten.
Das Risiko für die Regierung ist, dass diese vielen Milliarden aber keine
Wirkung entfalten. So könnten viele Eltern darauf verzichten, ihre
Kinderboni auszugeben, um stattdessen lieber zu sparen, weil die
Corona-Zeiten so unsicher sind.
Ist das Paket sozial ausgewogen?
Im Prinzip ja, aber es hätte noch mehr sein können. Der Kinderbonus nutzt
Ärmeren und nicht Reichen. Die SPD wollte aber zudem 100 Euro für alle
Hartz-IV-Empfänger. Das scheiterte an der Union. Auch das Kurzarbeitergeld
wird nicht wie erwartet auf 24 Monate verlängert. Die Entscheidung ist aber
noch nicht vom Tisch. Für den Fall, dass die Krise sich verschärft, soll
das Kurzarbeitergeld über 2021 hinaus ausgezahlt werden. Arbeitsminister
Heil soll dazu im Herbst einen Plan vorlegen.
Nutzt es den Branchen, die es derzeit dringend brauchen?
Die weiter von Corona hart getroffenen Dienstleistungsbranchen sollen mit
bis zu 25 Milliarden Euro unterstützt werden. Das sind vor allem
Gaststätten, Hotels, Bars, Reisebüros, Schausteller, Eventveranstalter,
Jugendzentren, Nonprofitunternehmen. Der Staat zahlt bis zu 80 Prozent der
Betriebskosten von Clubs und anderen Lokalitäten, die wegen Corona
geschlossen bleiben müssen. Soloselbstständige können bis zum Herbst
weiterhin ohne die üblichen Prüfungen Geld der Grundsicherung beantragen.
Das wird nicht alle Pleiten verhindern, schafft aber ein Netz.
Wird die Autobranche wie immer gefördert?
Aus ökologischer Sicht ist die beste Nachricht am Konkunkturpaket, was
nicht drinsteht: die Abwrackprämie, mit der der Kauf normaler Benzin- und
Dieselfahrzeuge gefördert worden wäre. In der Union gab es Zweifel am Sinn
der Prämie, in der SPD starke Zweifel, und das nicht erst seit Ausbruch der
Pandemie. Und doch konnte die Autoindustrie ihre Forderung früher
durchsetzen. Diesmal nicht.
Die Zeiten, in denen die Politik jeden noch so unsinnigen Wunsch von VW,
Daimler und BMW brav umsetzte, sind vorbei – das ist eine zentrale
Botschaft. Zwar macht die Mehrwertsteuersenkung Autos billiger, aber das
ist keine gesonderte Subvention. Autos mit hohem CO2-Ausstoß durch eine
Umstellung der KfZ-Steuer, die weiter bestehen bleibt, sogar teurer.
Leer geht die Industrie aber trotzdem nicht aus: Für
„Zukunftsinvestitionen“ der Autobranche werden 2 Milliarden Euro
bereitgestellt. Weiteres Geld ist für die Forschung und Entwicklung im
Bereich der Elektromobilität und die Batteriezellenfertigung vorgesehen.
Und bei der Kaufprämie für Elektroautos verdoppelt der Staat seinen Anteil.
Für Batterie-Fahrzeuge mit einem Kaufpreis von unter 40.000 Euro etwa
steigt sie damit von 3.000 auf 6.000 Euro. Auch der Bonus für
Plug-In-Hybride, also Autos mit Benzin- und Elektromotor, die an der
Steckdose geladen werden können, soll offenbar steigen. Das stößt auf
Kritik von Umweltverbänden, die kritisieren, dass diese Fahrzeuge oft kaum
elektrisch gefahren werden und daher wenig Umweltnutzen bieten. Die
Hybrid-Förderung sei „staatlich gedeckte Verbrauchertäuschung“,
kommentierte etwa der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt.
Wo bleiben Bus und Bahn?
Für den Öffentlichen Verkehr gibt es auch mehr Geld. Für die Bahn
erneuerten Union und SPD die Zusage, das Eigenkapital um 5 Milliarden Euro
aufzustocken.
Zur Unterstüzung des ÖPNV werden die Regionalisierungsmittel einmalig um
2,5 Milliarden Euro erhöht. Der Thinktank Agora Verkehrswende sieht die
Pläne im Verkehrsbereich darum insgesamt positiv. „Wir finden viele unserer
Forderungen darin wieder“, sagte Sprecher Philipp Prein der taz. Auch der
Umwelt-Dachverband DNR lobte das Papier. „Bei aller Detailkritik ist hier
nicht nur das Schlimmste verhindert worden, sondern viel Sinnvolles für den
Klimaschutz auf den Weg gebracht worden“, twitterte der Verband.
Ist das Paket insgesamt ökologisch genug?
Die Regierung nimmt für weitere Klimaprojekte zusätzlich Geld in die Hand:
Die Mittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm werden 2020 und 2021 um
jeweils 1 Milliarde auf 2,5 Milliarden Euro aufgestockt. Beim
Ökostrom-Ausbau wurde dagegen nur die bereits kürzlich erzielte Einigung
bestätigt. Bei der Wasserstoff-Strategie, über die die Regierung schon
länger streitet, fällt die Einigung wenig ambitioniert aus: Hier schwenkten
Union und SPD nun auf den Kurs des CDU-geführten Wirtschaftministeriums
ein, das in Deutschland nur halb so viel Wasserstoff produzieren will, wie
SPD und Forschungsministerium gefordert hatten.
Eine wichtige Veränderung gibt es auch bei der sogenannten EEG-Umlage, mit
der der Ausbau von Ökostrom-Anlagen finanziert wird. Diese soll künftig
nicht weiter steigen – was unter anderem aufgrund des niedrigen
Stromverbrauchs durch die Coronakrise befürchtet wird –, sondern von
aktuell 6,8 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2021 auf 6,5 und im Jahr 2022
auf 6 Cent pro Kilowattstunde sinken. Bis zu 11 Milliarden Euro aus dem
Haushalt sollen dafür aufgewendet werden. Das entlastet nicht nur private
Verbraucher und Unternehmen. Vor allem gilt ein Absenken des Strompreises
als zentraler Hebel, um im Verkehr und beim Heizen den Umstieg von fossilen
Kraftstoffen auf Strom wirtschaftlicher zu machen. Damit profitieren
Konjunktur und Klima gleichermaßen.
Ist das Paket gendergerecht?
Man muss nach Genderaspekten suchen. Bemerkenswerterweise kommt ein Impuls
dafür von der CSU. Alleinerziehende zahlen 2020 und 2021 weniger Steuern,
weil sie besonders unter den Pandemiefolgen leiden. Das wird den Staat 750
Millionen kosten. Geboren wurde die Idee aus dem CSU-typischen Reflex,
neben die SPD-Forderung nach 300 Euro pro Kind unbedingt etwas Eigenes zu
platzieren. Dass der CSU da als Erstes die Alleinerziehenden eingefallen
sind, zeigt, wie weit die CSU sich von altdeutschen Familienbildern gelöst
hat. Pflegeberufe spielen in dem Paket keine Rolle. Das Argument: Der
Bundestag hat schon einen Bonus beschlossen, über einen Tarifvertrag wird
verhandelt.
Wer hat das Copyright auf die Mehrwertsteuersenkung?
Die Mehrwertsteuersenkung kam überraschend. Sie tauchte weder im
Forderungskatalog der SPD noch in dem der Union auf. CSU-Chef Markus Söder
reklamierte sie flugs für die Union, die SPD für sich. Was ist richtig?
Beides. Zwei SPD-Finanzpolitiker, Michael Schrodi und Lothar Binding,
hatten kurz dem Koalitionsausschuss die Senkung der Mehrwertsteuer
gefordert. In den Verhandlungen stellte die Union die Senkungen als Erste
zur Debatte – die SPD willigte sofort ein. Das Copyright haben insofern
beide.
Hat sich die Union oder die SPD durchgesetzt?
Insgesamt trägt das Paket die Handschrift der SPD. Viel Geld für viele. Von
der Begrenzung auf 100 Milliarden, die die CSU wollte, redet niemand mehr.
Sogar da, wo die SPD sich nicht durchsetzen konnte, hat sie clever
verhandelt. Beispiel Altschulden. Die SPD wollte, dass Bund und Länder die
Altschulden armer Kommunen (Höhe: 45 Milliarden Euro) übernehmen. Die Union
war hart dagegen. Sie wollte nur den Einbruch bei Gewerbesteuern für die
Kommunen auffangen (6 Milliarden Euro ) und dass der Bund den Kommunen
Hartz-IV-Kosten abnimmt (4 Milliarden Euro). Das Ergebnis sieht wie ein
Sieg der Union aus. Aber: Der Bund trägt die 4 Milliarden Euro
Hartz-IV-Kosten, die besonders arme Kommunen belasten, nicht bloß für ein
Jahr, sondern für immer. Und die SPD kann die die Entlastung der Kommunen
weiter auf die Tagesordnung setzen.
4 Jun 2020
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Ulrike Herrmann
Malte Kreutzfeldt
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