# taz.de -- Anton Hofreiter zum Konjunkturpaket: „Druck kann etwas bewirken“ | |
> Für besser als befürchtet hält Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter das | |
> Konjunkturprogramm der Bundesregierung. Aber es habe eine soziale | |
> Schieflage. | |
Bild: In Sachen Klimaschutz sei das Konjunkturpaket „immerhin kein Rückschri… | |
taz: Herr Hofreiter, gerade erst haben die Grünen ein kurzfristiges | |
Konjunkturprogramm in einer Größenordnung von 100 Milliarden Euro | |
gefordert, und jetzt verständigen sich Union und SPD auf ein Paket von 130 | |
Milliarden Euro. Wie begeistert sind Sie von dieser großkoalitionären | |
Planübererfüllung? | |
Anton Hofreiter: Das Konjunkturpaket ist besser geworden als von unserer | |
Seite befürchtet. Besonders freut mich, dass der Druck der Klimabewegung, | |
aber vielleicht auch von uns Grünen dazu geführt hat, dass die fatale | |
Verbrennerprämie nicht dabei ist. | |
Sie finden nichts falsch an dem Paket? | |
Das Problem scheint mir weniger, was an Falschem darinsteht, sondern was | |
fehlt oder zumindest nicht ausreichend enthalten ist. | |
Und das wäre? | |
Was mich sehr stört, dass so viel Geld bereitgestellt wird, und dann gibt | |
es nichts für die Ärmsten der Armen, für die Hartz-IV-Empfänger. Das | |
Konjunkturpaket hat eine soziale Schieflage. | |
Von der Senkung der Ökostrom-Umlage bis hin zur Entlastung der Kommunen | |
durch eine 75-prozentige Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung | |
für Menschen in der Grundsicherung: Man könnte meinen, die Große Koalition | |
hat sich freigiebig [1][aus Ihrem „Zukunftspakt“ bedient], oder? | |
Manche Teile hat sie übernommen, ja. Daran lässt sich gut illustrieren, wo | |
die Koalition zu kurz springt. Nehmen Sie die Erneuerbaren Energien: | |
Natürlich ist es zu begrüßen, dass sie nicht weiter abgewürgt werden. Aber | |
es bleibt unkonkret, wie der Ausbau beschleunigt werden soll. Wenn man sich | |
insgesamt den Klimaschutz anschaut, dann sind die in dem Konjunkturpaket | |
enthaltenen Maßnahmen immerhin kein Rückschritt. | |
Aber Klimaschutz muss halt Priorität haben, geht es hier doch um eine | |
gigantische Menschheitsaufgabe, die wir zu stemmen haben. Da fehlt dann | |
doch einiges. Schauen Sie sich nur die Wasserstoffstrategie an: Für die | |
gibt es einiges an Geld, das ist gut. Aber wenn es um verbindliche | |
Maßnahmen wie Quoten geht, finden sich bloß Prüfaufträge. Es fehlt mir an | |
Entschlusskraft bei der Umsetzung. Und was die vereinbarte Unterstützung | |
der Kommunen betrifft: Ja, die ist absolut richtig – aber eben nicht | |
ausreichend. Eine Altschuldenlösung gibt es leider immer noch nicht, obwohl | |
die wirklich wichtig wäre. | |
Einer der größten Batzen ist die befristete Senkung der Mehrwertsteuer, die | |
Ihr Linkspartei-Pendant Dietmar Bartsch als „ökonomisch widersinnig“ | |
bezeichnet hat. Wie ist Ihre Bewertung? | |
Die Koalition hat sich für ein ökonomisches Experiment entschieden. Ich | |
halte es auch für denkbar, dass es zumindest in Teilen etwas zur Belebung | |
der Nachfrage beitragen kann. Entscheidend wird aber sein, ob es gelingt, | |
genügend Druck insbesondere auf die großen Supermarktketten zu machen, dass | |
die Mehrwertsteuersenkung auch wirklich weitergegeben wird. In | |
Großbritannien ist ein solches Experiment übrigens schon einmal gemacht | |
worden. Da sind ungefähr 75 Prozent des Volumens an die Bürgerinnen und | |
Bürger weitergegeben worden, 25 Prozent haben die Unternehmen einbehalten. | |
Mal sehen, wie das jetzt bei uns wird. | |
Die Mehrwertsteuersenkung gilt allerdings nicht nur für Produkte des | |
Alltagskonsums, sondern auch beispielsweise für Verbrennerautos. Ihren | |
baden-württembergischen Ministerpräsidenten [2][Winfried Kretschmann wird's | |
freuen]. | |
Das Problem einer allgemeinen Mehrwertsteuersenkung ist, dass sie nach dem | |
Gießkannenprinzip wirkt, also auch falsche Kaufanreize setzt. Es stimmt, | |
dass sie auch Benzin- und Dieselautos billiger macht. Von daher ist sie | |
schon eine Art Verbrennerprämie durch die Hintertür. Unser Vorschlag war | |
deshalb ein anderer. In unseren Augen wäre es besser, wenn es stattdessen | |
Kauf-Vor-Ort-Gutscheine geben würde, weil die sowohl zielgerichteter als | |
auch sozial gerechter gewesen wären. | |
Die Bahn soll mit fünf Milliarden Euro gestützt werden, der ÖPNV mit 2,5 | |
Milliarden Euro. Reicht das aus? | |
Es ist wichtig, dass sie das Geld bekommen, aber gerade bei Bus und Bahnen | |
ist ganz entscheidend, dass man eine langfristige | |
Ausbauinvestitionsoffensive hat. Da braucht es deutlich mehr. | |
Die Bundesregierung verweist auf die Länder, die jetzt in der Pflicht | |
wären, ebenfalls kräftig in den ÖPNV zu investieren. Liegt sie damit nicht | |
richtig? | |
Das eine ersetzt nicht das andere. Selbstverständlich müssen die Länder | |
mehr in den Öffentlichen Nahverkehr stecken. Aber ich halte nicht so viel | |
davon, wenn der Bund auf die Länderebene verweist und die Länderebene auf | |
den Bund. Der Bund muss erstmal selbst tun, was bei ihm notwendig ist. Bis | |
auf wenige Ausnahmen abgesehen ist das Streckennetz der Bahn im Besitz des | |
Bundes. Das muss verbessert und ausgebaut werden. | |
Ein vernünftiges Bahnhofsprogramm wäre übrigens auch dringend angesagt. | |
Aber das ist ohnehin die große Schwachstelle des Regierungspakets. Es | |
enthält zwar einige kurzfristige Investitionen, aber was fehlt ist die | |
längerfristige Perspektive. Unser Zukunftspakt bestand aus gutem Grund | |
nicht nur aus einem Konjunkturprogramm, sondern enthielt außerdem noch ein | |
mittel- und langfristiges Investitionspaket in Höhe von 500 Milliarden | |
Euro. Das ist etwas, was jetzt noch dringend kommen muss. | |
Aber insgesamt sind Sie trotzdem ganz zufrieden, oder? | |
Das trifft es nicht. Tatsache ist, dass das jetzige Konjunkturpaket weitaus | |
besser ist als die Konjunkturpakete der Großen Koalition bei der Banken- | |
und Finanzkrise 2008 und 2009. Das ist erstmal erfreulich. Und noch etwas | |
ist bemerkenswert: Beim Klimapaket im vergangenen Herbst, wo es um moderne | |
Zukunftspolitik ging, da hat die Bundesregierung weitgehend versagt. Jetzt | |
beim Konjunkturpaket, wo es stärker um klassische Politik geht, kriegt sie | |
das ganz vernünftig hin. Mit Lücken und Leerstellen, aber immerhin. | |
Haben Union und SPD also dazugelernt? | |
Vor allem zeigt sich für mich, dass politischer Druck etwas bewirken kann. | |
Das ist doch eine positive Botschaft, insbesondere an die jungen Leute von | |
Fridays for Future: Eure Proteste waren und sind nicht umsonst! Wir sind | |
zwar noch längst nicht da, wo wir sein müssten, um die großen | |
Menschheitsaufgaben zu bewältigen. Es fehlt noch viel, um den | |
menschengemachten Klimawandel in den Griff zu bekommen. Aber wir haben | |
trotzdem schon jetzt einen Schwung gemeinsam erreicht. | |
4 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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