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# taz.de -- Staatliche Hilfspakete wegen Corona: Die Anti-Schock-Strategie
> Ein Blick auf das Konjunkturpaket verrät: Die Große Koalition ist besser
> als ihr Ruf. Das liegt an der SPD.
Bild: Hat den Milliarden-Hilfspaketen seinen Stempel aufgrdrückt: Bundesfinanz…
Im Jahr 2004 verwüstete ein Tsunami die Küste Sri Lankas. Der Schaden für
die Fischer war ein doppelter: Die Fluten zerstörten ihre Dörfer, danach
nutzten die Regierung und Investoren das Desaster, um dort, wo ihre Häuser
gestanden hatten, Hotelkomplexe hochzuziehen. Katastrophen werden oft für
eine neoliberale Tabula-rasa-Politik genutzt, bei der die Reichen und
Mächtigen gewinnen und die Armen verlieren. Die amerikanische
Globalisierungskritikerin Naomi Klein hat dieses Prinzip etwas reißerisch
„Schock-Strategie“ getauft.
Der Lockdown hat durchaus tsunamihafte wirtschaftliche Schäden angerichtet.
Das [1][Konjunkturprogramm der Großen Koalition] ist eher eine Art
Anti-Schock-Strategie. Man kann und muss [2][einiges bemängeln] – etwa dass
Hartz-IV-Empfänger noch nicht mal einen symbolischen Bonus erhalten. Oder
dass die Chance, Kommunen beherzter aus dem Kreislauf von Armut und
Überschuldung zu befreien, versäumt wurde. Oder dass Pflegeberufe nicht
eigens bedacht wurden.
Aber all das trifft nicht den Kern. Das Konjunkturpaket ist, unabhängig
davon, ob sich die SPD da mehr oder weniger durchgesetzt hat, ein
rot-grünes Programm. Der Staat investiert antizyklisch, um die Krise
abzupuffern. Bei der SPD gehört der Keynesianismus zur DNA, bei der Union
sind sie Keynesianer aus Not. Die Union hat die Rolle des Bremsers gespielt
– und auch das nur halbherzig. Sie wollte Steuern für Reiche senken, was
für den Konsum nichts bringt.
Sie wollte das Programm auf 100 Milliarden Euro begrenzen, was die
Schlagkraft des Pakets ohne Not gemindert hätte. Und sie wollte, jedenfalls
zum Teil, eine Abwrackprämie für Benziner und Diesel. Doch wenn der
BMW-Konzern, der 1,6 Milliarden Euro an Aktionäre zahlt und das
Kurzarbeitergeld nutzt, auch noch eine Kaufprämie für Luxusautos bekommen
hätte, wäre das purer Lobbyismus gewesen.
Nichts davon kommt, und das ist gut so. Stattdessen fließt viel Geld in
[3][ökologisch verträgliche Wirtschaft und Zukunftstechnologie]. Es ist
kein Zufall, dass die Kritik (Grüne: es hätte noch mehr Öko sein können,
Linkspartei: es hätte noch sozialer sein können) eher routiniert klingt.
Die SPD hat die Union bei den Verhandlungen keineswegs trickreich über den
Tisch gezogen, das Ergebnis ist schlicht ein Kompromiss. Doch es gibt eine
Asymmetrie: Die SPD will ein Konzept durchsetzen, die Union moderieren. Der
Geist dieses Pakets ist sozialdemokratisch. Wenn die Union harte
Überzeugungen leidenschaftlich verteidigen würde, müsste sie depressiv
werden. Das wird nicht passieren, denn die Union ist keine Programmpartei
und hat keine Neigung zum Depressioven. Bei der SPD ist beides anders.
## Mit Jamaika wäre es wohl nicht gegangen
Es gab in der Berliner Politik in den letzten Jahren zwei Schlüsselmomente,
die in der Krise in anderem Licht erscheinen. Christian Lindner jagte
Jamaika in die Luft, die SPD fühlte sich, staatstragend wie sie ist, zu
noch einer Großen Koalition genötigt. Damals schien das fatal – und Jamaika
das frischere, interessantere Projekt zu sein.
Doch nichts wäre derzeit schädlicher als Christian Lindners nervöser
Neoliberalismus oder der Versuch, die Krise mit Schockstrategien zu
bearbeiten. Merkel und die Union haben flexibel ihren Schwur gebrochen,
dass die EU keine Schulden machen darf, weil sie begriffen haben, dass eine
EU mit Schulden besser ist als gar keine EU. Ob einem FDP-Finanzminister
dieses Licht aufgegangen wäre, ist zweifelhaft.
Das zweite Ereignis war der Putsch in der SPD gegen Andrea Nahles. Der
hatte den Effekt, dass die Fraktions- und Parteispitze der SPD erkennbar
nach links gerückt sind. Und das ist, entgegen allen düsteren
Prophezeiungen, kein Nachteil.
Die Große Koalition, die im Normalmodus träge wirkt, macht sich in der
Krise gut. Die SPD steuert die Ideen bei, die Union steht bei deren
Umsetzung erfreulich wenig im Weg. Dass dies der SPD partout nicht zu mehr
Zuspruch bei den Wählern verhilft, wirkt fast tragisch.
5 Jun 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
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