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# taz.de -- Kommentar Diversity in den Medien: Wir gehören dazu
> In deutschen Redaktionen arbeiten zu wenige Menschen mit
> Migrationsgeschichte. Dabei werden ihre Stimmen dringend benötigt.
Bild: Nicht einmal 5 Prozent der Medienschaffenden in Deutschland haben einen M…
Etwa ein Viertel der deutschen Bevölkerung hat ihn, den sogenannten
Migrationshintergrund – und trotzdem wird der Anteil der Journalist*innen
mit Wurzeln im Ausland in den Redaktionen auf etwa 5 Prozent geschätzt.
Dementsprechend fehlt es an neuen Perspektiven und Geschichten, die unsere
Gesellschaft bewegen.
Viele Medienhäuser haben eine enge Verbindung zu Journalistenschulen. Egal,
ob die Henri-Nannen-Schule in Hamburg oder die Deutsche Journalistenschule
in München – Journalistenschüler*innen haben einen besseren Zugang zu
Redaktionen als Hochschulabsolventen oder Auszubildende und damit auch mehr
Möglichkeiten, mit Meinungsmacher*innen in Kontakt zu treten. Aber wer
sitzt in den Journalistenschulen? Meist sind die Auszubildenden weiß und
kommen aus Akademikerfamilien.
Arbeiterkinder und Menschen mit Migrationsgeschichte sind eine Seltenheit.
Zu spüren ist diese für uns immer wieder: Wenn deine Themenvorschläge als
„Nischenthemen“ abgetan werden, weil sie nichts mit der Lebensrealität der
überwiegend weißen Redaktionsmitglieder zu tun haben. Wenn du deinen Text
abgibst und für dein einwandfreies Deutsch gelobt wirst, weil du Mehmet
oder Leyla heißt. Wenn du es auf die Journalistenschule geschafft hast –
und deine Kommilitonen sagen, du hättest deine Bewerbung genauso gut leer
abgeben können, denn Menschen mit „Migrationshintergrund“ würden ja jetzt
gesucht.
Ähnlich verhält es sich mit der Berichterstattung. Warum lesen wir von
„Dönermorden“, wenn über den NSU-Prozess geschrieben wird? Warum lesen wir
von „fremdenfeindlichen Motiven“ anstatt von Rassismus, wenn über den
Anschlag in Bottrop berichtet wird? Und warum hat das niemand in den
Redaktionen bemerkt?
## Der Quotentürke reicht nicht
Menschen wie wir, mit sogenanntem Migrationshintergrund also, werden in
Deutschland oft nicht als Individuen wahrgenommen, sondern einer Masse
zugeordnet. Der Masse der Ausländer, der Migranten, der Türken, der Kurden,
der Flüchtlinge, der Muslime, oder, abwertend der „Kanaken“. Darauf werden
wir reduziert. Selbst wenn wir in dritter Generation hier leben, einen
deutschen Pass haben und nicht einmal mehr die Muttersprache unser
Großeltern beherrschen. Aber wir sind in Deutschland geboren und
aufgewachsen. Wir gehören dazu.
Die eine migrantische Stimme, die gibt es nicht. Deswegen reicht es nicht,
den einen Quotentürken in der Journalistenschule zu haben, die eine
muslimische Frau auf dem Podium, die eine jüdische Kolumnistin. Wir sind
mehr als nur das Aushängeschild einer Redaktion. Wir sind nicht hier, um
auch mal was zu sagen, damit die „Migrantenkinder“ auch mal was gesagt
haben dürfen.
Wir wollen Partizipation, wir wollen schreiben, unsere Arbeit machen. Wir
wollen den Diskurs mitbestimmen. Die Vielfalt unserer Stimmen ist nicht nur
dann wichtig, wenn wir über Islam, Integration und unsere traurigen
Familiengeschichten schreiben, sondern auch wenn wir von Umweltschutz,
klassischen Musikkonzerten und den neuesten Modetrends berichten.
## Wir sind viele
Eine Perspektive reicht nicht. Gerade weil unsere Perspektiven
unterschiedlicher nicht sein können. Sascha Lobo schreibt in seiner
SPON-Kolumne ja auch nicht das Gleiche wie Jan Fleischhauer, nur weil sie
beide weiß sind. Der Unterschied aber ist: Bei Jan Fleischhauer und Sascha
Lobo werden Haltung und Tonfall wahrgenommen. Im Gegensatz dazu wird Mirna
Funk oft als die jüdische Kolumnistin und Ferda Ataman als die migrantische
gelesen. Als ob das alles wäre.
Repräsentation ist wichtig, Diversity ist wichtig. Aber nicht nur ein
bisschen, fürs gute Gefühl. Eine Özlem Topçu reicht nicht. Es braucht auch
eine Canan Topçu, eine Mely Kiyak. Es braucht eine Vanessa Vu, einen
Hasnain Kazim. Wir sind viele, und wir werden gebraucht.
Förder- oder Mentoringprogramme wie das der neuen Medienmacher*innen oder
die Programme der Heinrich Böll Stiftung sind keine Charityprogramme. Man
tut uns „armen Migrantenkindern“ keinen Gefallen damit, dass wir jetzt auch
mal was schreiben dürfen. Es ist vielmehr umgekehrt: Unsere
unterschiedlichen Stimmen werden dringend benötigt.
## Völkische Ideen sind wieder salonfähig
Gerade jetzt. Wenn nicht jetzt diversen Stimmen Raum gegeben wird – wann
denn dann? Jetzt, da die antidemokratischen rechtsnationalen Kräfte in
unserem Land erstarken, so wie überall in Europa. Jetzt, da es wieder
salonfähig geworden ist, „deutsch“ mit einer völkischen Idee von
genetischer Abstammung zu verbinden. Jetzt, da wir täglich mit der Frage
konfrontiert sind, wie dieses Land sein soll – und was Deutschsein
bedeutet.
Die Antwort auf diese Entwicklung kann eben nicht sein, den einen Kurden,
Muslim, Juden in die Redaktion zu setzen. Die Antwort muss eher lauten: Wir
sind schon längst ein diverses, ein pluralistisches Land. Dieser Aspekt
gehört zu Deutschland nicht erst seit den sechziger Jahren, seit den
sechziger Jahren aber umso mehr. Ein Viertel der Menschen in Deutschland
hat Migrationshintergrund. Ein Viertel!
Lasst uns diese Realität endlich in den Redaktionen abbilden. Und in allen
anderen Bereichen: in der Wirtschaft, der Politik, der Rechtspflege, der
Pharmaindustrie. Dafür müssen Programme, die Vielfalt fördern, sowohl
finanziell als auch strukturell unterstützt werden. Die Politik ist
gefragt, sich diese Förderung zur Aufgabe zu machen. Finanzielle
Unterstützung hebt strukturelle Diskriminierung nicht auf, ist aber ein
valides Mittel zur Bekämpfung von Symptomen.
Die Vielfalt der Bevölkerung muss sich in den Redaktionen widerspiegeln.
Denn nur so können Stereotype, Klischees und Vorurteile in den Medien
aufgebrochen werden – und folglich auch in den Köpfen der Menschen.
9 Apr 2019
## AUTOREN
Beliban zu Stolberg
Eser Aktay
Ronya Othmann
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