# taz.de -- Junge Muslima in Deutschland: Lasst uns an einem „Wir“ arbeiten! | |
> Als junge muslimische Frau in Deutschland erfährt man oft, dass man nicht | |
> wirklich dazugehört. Es ist an der Zeit, die Gesellschaft differenzierter | |
> zu denken. | |
Bild: „Einen Raum gestalten, in dem es egal ist, ob jemand Schweinefleisch is… | |
Mashallah, „wir“ werden mehr. Zur Zeit leben etwa 5,5 Prozent Muslime in | |
Deutschland. Dem „Pew Research Center“ zufolge könnte dieser Anteil bis zum | |
Jahr 2050 auf 11 Prozent steigen. Muslimtendenz steigend also. | |
Doch wer ist dieses von Anführungszeichen umklammerte Wir? Zunächst einmal | |
allzu oft ein „Ihr“ voller Fremdzuschreibungen. Eine verbreitete | |
Vorstellung innerhalb der westlichen Welt ist die von „dem Islam“ als eines | |
monolithischen Blocks. Damit einher geht der Blick auf „die Muslime“ als | |
„die Anderen“ schlechthin. | |
Was für ein schlichtes, falsches Weltbild. Meine Aufforderung wäre: Denken | |
wir differenzierter. Gestalten wir in Deutschland gemeinsam einen Raum, in | |
dem „wir“ und „ihr“ zueinander finden. In dem man als junge muslimische | |
Frau nicht automatisch als unterdrückt, rückwärtsgewandt und ungebildet | |
wahrgenommen wird. | |
Ich zum Beispiel trage Kopftuch, aber ich bin die größte Almanin überhaupt. | |
Vor sieben Jahren bin ich mit meiner Familie aus Ägypten nach Deutschland | |
eingewandert, gerade mache ich mein Abitur. Ich bin überpünktlich, sehr | |
organisiert und trenne zu Hause unseren Müll. Manchmal habe ich das Gefühl, | |
ich bin besser integriert als der Bundespräsident – und ich nehme mir | |
dennoch die Freiheit heraus, ein Kopftuch zu tragen. Es ist dieses, oft als | |
Symbol der Unterdrückung gelesene Stück Stoff, das den Blick vieler | |
Menschen auf mich determiniert. Das mich reduziert – auf meine Kleidung, | |
auf meine Religion. | |
## Geboren am 11. September | |
Schon eine 2010 durchgeführte Studie des Soziologen Detlef Pollack kam zu | |
dem Ergebnis, dass der Islam von den Befragten in Deutschland überwiegend | |
mit negativen Eigenschaften wie der Benachteiligung von Frauen (82 | |
Prozent), Fanatismus (73 Prozent), Gewaltbereitschaft (61), Engstirnigkeit | |
(53) und Rückwärtsgewandtheit (39) assoziiert wird, während positive | |
Eigenschaften wie Toleranz (5), Friedfertigkeit (8 Prozent) oder | |
Solidarität (9 Prozent) dem Islam kaum zugesprochen wurden. Es ist | |
anzunehmen, dass diese Zahlen in den letzten Jahren eher schlimmer geworden | |
sind. | |
Mit meiner Geburt am 11. September 2001 – ja, tatsächlich, 9/11 – lässt | |
sich eine Kulturalisierung und „Islamisierung“ der Debatten beobachten, die | |
sich in den vergangenen Jahren durch den Diskurs um geflüchtete Menschen | |
deutlich zuspitzte. In dieser Debatte werden Fragen von Migrations- und | |
Identitätspolitik, innerer Sicherheit oder Jugendkriminalität zunehmend als | |
„islamische“ Themen diskutiert. Dabei werden Eingewanderte aus islamisch | |
geprägten Gesellschaften ebenso wie deren Nachfolgegenerationen oftmals | |
pauschal als Muslime markiert – und damit in den Topf vorurteilsbehafteter | |
Assoziationen geworfen. | |
Diesen Prozess kann man auch als „Muslimisierung“ von Muslim*innen | |
bezeichnen, in dem türkisch- oder arabischstämmige Menschen pauschal dem | |
„islamischen Kulturkreis“ zugeordnet werden. Die Betonung der religiösen | |
Zugehörigkeit von Menschen aus mehrheitlich muslimischen Ländern geht dabei | |
mit der Konstruktion einer homogenen muslimischen Gemeinschaft einher. | |
Diese Zuschreibungen dienen dazu, ein kollektives „Ihr“ zu erschaffen. Und | |
sie führen im Zuge dessen dazu, dass Unterschiede unter Muslim*innen sowie | |
Gemeinsamkeiten zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Personen | |
vernachlässigt werden. Damit „wir“ wissen, wer „ihr“ seid. | |
## Ein Raum, wo wir alle Deutsche sein können | |
Diese Pronomen und Stereotype, das merkt man auf beiden Seiten, verfestigen | |
sich immer mehr. Islamisches Bewusstsein und die Identifikation als Muslim | |
sind längst nicht mehr vorrangig an Religiosität oder Glauben gebunden, | |
sondern zunehmend Reaktionen auf Fremdzuschreibung als Muslim, | |
Diskriminierung und Entfremdung. | |
Die Islamwissenschaftlerin Kathrin Klausing von der Universität Osnabrück | |
erklärt diesen gesellschaftlichen Entfremdungsprozess. Sie arbeitet heraus, | |
dass Selbst- und Fremdzuordnungen von Zugehörigkeit und Differenz den | |
Identitätsbildungsprozess besonders beeinflussen, wenn sie mit | |
gesellschaftlichen Wertungen verbunden sind. Man könnte sagen: Ein | |
„migrantischer Raum“ wird gegeben, jedoch keiner, wo wir alle Deutsche sein | |
können. | |
Einen solchen Raum müssen wir als Gesellschaft zusammen gestalten. Einen | |
Raum, in dem es egal ist, ob jemand Schweinefleisch isst oder sich vegan | |
ernährt. Ob eine Frau ein Kopftuch trägt oder einen Mini-Rock. | |
In dem niemand davon überrascht ist, dass ich flüssig Deutsch sprechen | |
kann, oder sich darüber wundert, dass eine Ausländerin und Muslima sich für | |
Umweltschutz und eine bessere Klimapolitik einsetzt. Aber | |
selbstverständlich tue ich das, denn es geht um die Welt, in der ich in | |
Zukunft leben werde. Diese Welt sollte im Idealfall nicht nur klimatisch | |
lebenswert sein. Sie sollte endlich zu unserem gemeinsamen Raum werden. | |
18 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Aya Elkhodary | |
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