| # taz.de -- Chefredakteur über muslimisches Magazin: „Wir wollen Mut machen�… | |
| > Muhamed Beganović hat „Qamar“ gegründet, ein muslimisches Magazin für | |
| > Kultur und Gesellschaft. Wie seine Redaktion die Medienwelt verändern | |
| > will. | |
| Bild: Junge Menschen in Berlin | |
| taz: Herr Beganović, Qamar bedeutet auf Arabisch Mond. Warum heißt Ihr | |
| Magazin so? | |
| Muhamed Beganović: Der Mond hat für viele Muslim:innen eine wichtige | |
| Bedeutung: Der islamische Kalender ist ein Mondkalender, auch der Ramadan | |
| richtet sich danach. Mit dem Namen wollen wir ausdrücken, was wir sind: ein | |
| muslimisches Magazin für Kultur und Gesellschaft. Einen Klischeetitel wie | |
| „Minarett“ wollten wir nicht, das würde auch inhaltlich irritieren. Wir | |
| machen keine theologische Zeitschrift. | |
| Aber Sie machen doch ein muslimisches Magazin. Wie kann man das verstehen? | |
| [1][Wenn es um Muslim:innen geht], dann geht es oft nur um die Religion. | |
| So sprechen viele Medien über uns, aber auch viele Imame. Andere | |
| Identitätsmerkmale spielen keine Rolle, man bekommt den Eindruck: Diese | |
| Menschen haben gar kein Leben außerhalb der Religion. Das ist natürlich | |
| Quatsch. Mit Qamar wollen wir das anders machen: Wir reden mit Menschen, | |
| weil sie etwas Spannendes machen, als Unternehmerin, Politiker, Psychologin | |
| oder Sportler. Wie oft sie beten, interessiert uns nicht. Die Religion | |
| steht bei uns im Hintergrund. | |
| Wie beobachten Sie die Berichterstattung über Muslim:innen und den | |
| Islam? | |
| Ich finde sie problematisch. Es geht oft um die selben Themen: | |
| Clankriminalität, Ehrenmorde, Terror oder das Kopftuch. Auf die | |
| Gesellschaft hat das einen gefährlichen Effekt: Wer immer nur solche | |
| Artikel liest, oft aus einer sehr einseitigen Perspektive, bekommt ein | |
| falsches Bild von Muslim:innen und kommt im schlimmsten Fall zu dem | |
| Schluss: Mit diesen Menschen will ich nicht zusammenleben. | |
| Aber hat sich das in vielen Medien nicht schon verändert? | |
| Ein bisschen vielleicht. [2][Anti-muslimischer Rassismus], Themen wie | |
| Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche kommen | |
| öfter vor. Aber mir fehlt weiterhin eine differenzierte Darstellung von | |
| Musliminnen und Muslimen. Wir sind ganz normale Bürger:innen, wir haben | |
| Berufe, zahlen Steuern und interessieren uns für Themen fernab von Religion | |
| und Rassismus. | |
| Mit Qamar wollen Sie das anders machen. Aber ist das nicht eine | |
| Kapitulation – anstatt zu versuchen, die großen Medien zu verändern? | |
| Man kann es als Kapitulation sehen. Wir sehen es eher als Ergänzung. Und | |
| wir wollen auch auf die großen Medien wirken: Nachwuchsautor:innen | |
| können sich bei uns ausprobieren und ihre Texte dann als Arbeitsproben | |
| vorweisen. So schaffen sie eher den Sprung in größere Redaktionen. Und wir | |
| hoffen, dass andere Journalist:innen bei uns Themen entdecken und | |
| aufgreifen. In unserer ersten Ausgabe stellen wir einen Unternehmer vor, | |
| der von Hand genähte Turnbeutel verkauft. Wir sind die ersten, die über | |
| seinen Laden berichten. Vielleicht inspiriert das ja eine | |
| Wirtschaftsredaktion, auch darüber zu schreiben. | |
| Abgesehen von anderen Journalist:innen: Wen wollen Sie erreichen? | |
| Natürlich vor allem Muslim:innen im deutschsprachigen Raum. Bisher gab | |
| es kein Medium, das sie so vielfältig repräsentiert und zu so | |
| unterschiedlichen Themen zu Wort kommen lässt. Das ist vor allem für junge | |
| Muslim:innen wichtig, für junge Menschen auf der Suche nach ihrer | |
| eigenen Identität und ihrem Platz in der Welt. Wir haben das Magazin | |
| gemacht, das wir selbst immer lesen wollten. Wir hoffen aber auch, dass | |
| weltoffene Nichtmuslim:innen es kaufen. Unsere Faustformel – zwei | |
| Drittel aus der Community, ein Drittel andere – scheint bisher aufzugehen. | |
| Es gibt bereits einige Medienprojekte, die muslimische Stimmen laut machen. | |
| Migazin etwa oder der Podcast „Primamuslima“ vom Bayerischen Rundfunk. Was | |
| ist besonders an Qamar? | |
| Wir machen ein gedrucktes Magazin. Noch verkaufen wir es fast nur [3][in | |
| unserem Webshop], aber bald soll es auch in Buchhandlungen, Geschäften und | |
| Kiosken liegen. So wird es – und damit diverse muslimische Stimmen – | |
| deutlich sichtbarer, als wenn es uns nur online gäbe. | |
| Qamar erscheint vierteljährlich. Welche Themen wollen Sie künftig | |
| behandeln? | |
| Unser Magazin hat immer ein Schwerpunktthema. In der zweiten Ausgabe geht | |
| es um „die Hand“. Da greifen wir die Debatte auf, [4][ob so viele Muslime | |
| Frauen wirklich nicht die Hand geben] – und ob das ein Grund sein sollte, | |
| ihnen die Staatsbürgerschaft zu verweigern. Im Sommer geht es dann um | |
| „Zahlen“, weil Muslim:innen oft nur in Statistiken vorkommen. Fast eine | |
| Million Geflüchtete zum Beispiel, mehrheitlich muslimisch, die 2015 nach | |
| Deutschland kamen. Wir wollen die Geschichten dahinter erzählen. Bei allem | |
| ist unser Ziel, uns nicht nur darüber zu beschweren, was schief läuft. Wir | |
| wollen Mut machen, inspirieren, neue Ideen zeigen. | |
| Wie finanzieren Sie sich? | |
| Die [5][Wirtschaftsagentur Wien] fördert uns für anderthalb Jahre, der Rest | |
| kommt aus meinen Ersparnissen. Reich sind wir nicht. Unser Team besteht aus | |
| mir, einem Grafiker und zwei Redakteur:innen. Wir haben alle andere Jobs, | |
| mit denen wir unser Geld verdienen. Qamar machen wir im Feierabend, oft | |
| nachts und am Wochenende. Ohne viele Engagierte und viel Unterstützung, | |
| auch von meiner Frau, würden wir das nicht hinbekommen. | |
| Haben Sie schon Rückmeldungen von Leser:innen? | |
| Ja, unheimlich viele. Frauen haben sich bedankt, dass wir ihre | |
| Entscheidung, das Kopftuch zu tragen, nicht problematisieren, sondern als | |
| etwas Normales darstellen. Eine Geschichte rührt mich besonders: Ein Leser | |
| hat geschrieben, dass seine Mutter mit Vornamen Qamar heißt und sich sehr | |
| freut, dass es neben Brigitte, Barbara und all den Frauenzeitschriften | |
| jetzt ein Magazin gibt, das ihren Namen trägt. | |
| Ihre Vision für die Zukunft, für Qamar, aber auch für die Berichterstattung | |
| über Muslim:innen? | |
| Ich hoffe natürlich, dass Qamar sich am Markt etabliert. Bis Anfang 2022 | |
| ist die Finanzierung gesichert, dann müssen wir weitersehen. Bald werden | |
| noch viel mehr Menschen mit unterschiedlichen Biografien und Religionen in | |
| großen Redaktionen arbeiten. Da hat sich in den letzten zwei Jahren einiges | |
| getan. Wichtig ist aber, dass diese Kolleg:innen auch in | |
| Führungspositionen kommen, damit sich wirklich etwas ändert. | |
| Ressortleiter:innen und Chefredakteur:innen sind die, die über | |
| Personal und Themen entscheiden. | |
| 3 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susan Djahangard | |
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