# taz.de -- Studie zu Diversität im Journalismus: Vielfalt unerwünscht | |
> Chef*innen mit Migrationsbiografien sind im Journalismus eine Seltenheit. | |
> Das zeigt eine neue Studie der Neuen Deutschen Medienmacher*innen. | |
Bild: Viele Redaktionen hadern noch mit Diversität | |
Berlin taz | Im Sommer 2018 erzählten Menschen in den sozialen Netzwerken | |
unter dem Hashtag #MeTwo, darunter zahlreiche Journalist*innen, von ihren | |
Rassismuserfahrungen. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) reagierte | |
damals mit [1][einer Resolution] auf diese Debatte. Darin heißt es, der DJV | |
mache sich „für eine größere Vielfalt in deutschen Medien stark“. Man | |
appelliere an Medienunternehmen, bei der Auswahl ihrer Beschäftigten auf | |
Diversität zu achten. | |
Wurden die Forderungen des DJV seitdem umgesetzt? Und wie divers sind | |
deutsche Redaktionen tatsächlich? | |
Die erwartbare und dennoch traurige Wahrheit ist: Die deutsche | |
Journalismusbranche ist weit davon entfernt, die gesellschaftliche Realität | |
abzubilden. Zu dieser Erkenntnis kommt eine Untersuchung der Organisation | |
[2][der Neuen deutschen Medienmacher*innen] (NdM). | |
„Viel Wille, kein Weg. Diversity im deutschen Journalismus“ [3][heißt die | |
Studie.] Der Fokus liegt auf denen, die im Journalismus Entscheidungsmacht | |
haben: den Chefredakteur*innen. Untersucht wurde zunächst, wie divers die | |
Chefetagen der Medienhäuser sind, um im zweiten Schritt zu erfragen, wie | |
diese Führungskräfte zu Diversity in den Medien stehen. | |
## Keine Datengrundlage | |
126 Chefredakteur*innen der 122 reichweitenstärksten regionalen und | |
überregionalen Medien haben die NdM befragt. Dazu zählen Medienhäuser wie | |
Zeit, Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Spiegel, WDR, ARTE, Prosieben, | |
Deutsche Welle und Deutschlandfunk. | |
Das Ergebnis ist ernüchternd: Von 126 befragten Chefredakteur*innen sind | |
118 Deutsche ohne Migrationshintergrund. „Sie sind eine homogene Enklave“, | |
heißt es. Lediglich 6 Prozent der Chefredakteur*innen haben also einen | |
Migrationshintergrund. Besonders diskriminierte Gruppen seien hier | |
überhaupt nicht vertreten, „kein Chefredakteur und keine Chefredakteurin, | |
der oder die schwarz ist, aus einer muslimisch geprägten Familie oder einer | |
der größten Einwanderergruppen (türkisch, polnisch, russischsprachig) | |
stammt.“ | |
Besonders an der Recherche der NdM ist sicherlich, dass solche Daten | |
erstmals für Deutschland erhoben wurden. Und hier sind wir auch gleich bei | |
einem Problem, das sich in diesem Zusammenhang zeigt. Zwar mag erschreckend | |
sein, dass die Chefetagen deutscher Medienhäuser vornehmlich weiß und | |
deutsch sind, nur: Wen überrascht das? Viel erschreckender ist daher, dass | |
es bislang wenig bis keine validen Untersuchungen und Zahlen gab, die | |
Aufschluss über die Zusammensetzung von Redaktionen hätten geben können. | |
## Blinde Flecken | |
Hier zeigt sich etwas, das im Zusammenhang mit Diskriminierungsstrukturen | |
häufig auftritt. Untersucht wird eben meist, wer den Untersuchenden am | |
nächsten ist. Das ist in Deutschland immer noch eine weiße, deutsche | |
Mehrheit ohne Einwanderungsgeschichte. Der Tenor war lange Zeit: Weshalb | |
sollte man sich um etwas bemühen, das einen selbst nicht betrifft? | |
„Wer nicht gezählt wird, zählt nicht“, zitiert die Studie der NdM aus ein… | |
Handbuch über Gleichstellungspolitik. Und weiter: “Ohne die Vermessung von | |
Diskriminierung ist die Förderung von Inklusion und Gleichberechtigung | |
gerade auch in großen Organisationen nur schwer möglich, weil sie für | |
Nicht-Betroffene unsichtbar bleibt.'“ | |
Solange Redaktionen also keinen Einblick in die Hintergründe ihrer | |
Kolleg*innen haben, fällt es schwer, über Maßnahmen zur Förderung von | |
Diversity oder Inklusion zu sprechen. Interesse daran, künftig Daten zur | |
Diversität zu erheben, zeigten die wenigsten Medienunternehmen, heißt es in | |
der Studie. Gerne wird „mit dem Datenschutz oder auch mit dem Schutz vor | |
Diskriminierung“ argumentiert. | |
## Vielfalt als Normalität | |
Menschen mit Migrationsgeschichten galten viele Jahrzehnte in Redaktionen | |
als „exotisch“. Das hat sich zum Glück geändert. Heute sind migrantische | |
Journalist*innen sichtbar: als Kolumnist*innen, Nachrichtensprecher*innen, | |
Moderator*innen. | |
Ein positiver Befund der Untersuchung ist deshalb, dass Diversität von fast | |
allen befragten Chefredakteur*innen gewollt ist. Am Ende scheitert es aber | |
an der Umsetzung. Es fehlt an Strategien, um Journalist*innen mit diversen | |
Hintergründen zu fördern. Es wirkt zuweilen so, als habe man verinnerlicht, | |
dass Diversität für das gute Image eines Medienhauses wichtig sei. Aber | |
aufrichtig und nachhaltig daran arbeiten, das wollen die wenigsten. | |
Wer Vielfalt in seinen Redaktionen möchte, muss aber aktiv etwas dafür tun. | |
Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen haben deshalb Empfehlungen für | |
Redaktionen erarbeitet, die dabei helfen können, die Realität im eigenen | |
Haus zur Normalität zu machen. | |
Im Kern empfehlen die NdM dabei drei Dinge: Chef*innen müssen sich für | |
Vielfalt einsetzen, Daten über Diversität müssen erhoben werden und die | |
Medienhäuser müssen neue Wege in den Journalismus öffnen. | |
Denn Fakt ist: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Ein Viertel der | |
Menschen in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Sie in die | |
Redaktionen zu holen, ist längst überfällig. | |
11 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.djv.de/startseite/service/news-kalender/detail/aktuelles/articl… | |
[2] https://www.neuemedienmacher.de/ | |
[3] https://www.neuemedienmacher.de/diversity-im-journalismus-pm/ | |
## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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