| # taz.de -- Umgang in den sozialen Medien: Der Ton erschöpft | |
| > Viele haben Angst, wegen Fehlern diskreditiert zu werden. Dabei sollten | |
| > gerade jene, die gemeinsame Ziele haben, einander konstruktiv begegnen. | |
| Bild: Wann ist es okay geworden, unter dem Deckmantel „Kritik“ ein Arschloc… | |
| Ich bin eine Frau, die Diskriminierung in den Mittelpunkt ihrer Arbeit | |
| stellt, auf Social Media aktiv ist und stark darauf achtet, niemanden zu | |
| diskriminieren und sich dabei selber reflektiert – also die perfekte | |
| Voraussetzung, um von Menschen, die für Ähnliches einstehen wie ich, | |
| [1][geoutcallt oder gar gecancelt zu werden]. Sobald man mit Themen, mit | |
| denen man diese Gesellschaft etwas besser machen will, etwas „Berühmtheit“ | |
| auf Social Media erlangt, muss vor allem frau damit rechnen, geshitstormt | |
| zu werden. | |
| Ich kommentiere deshalb auf Twitter so gut wie nichts und poste selber | |
| hauptsächlich Belangloses. Trotzdem erreicht mich täglich die Information | |
| von Fremden, dass sie mich scheiße finden, noch sind es hauptsächlich | |
| Menschen, deren Werte ich ohnehin nicht teile, das kann ich verkraften. Von | |
| Menschen, die einem ähneln, die auch gegen Diskriminierung kämpfen, | |
| diskreditiert zu werden, ist die große Angst – zu oft habe ich das bei | |
| anderen beobachtet. | |
| Ich dachte lange, es läge an Twitter, und bin seit August auf Instagram | |
| geflüchtet. Ich habe mein privates Profil öffentlich gestellt und seit | |
| einer Woche mit die_chefredaktion einen journalistischen Instagram-Kanal | |
| für junge Menschen gestartet, [2][der den Anspruch auf Diversität hat]. Die | |
| Redaktion steht nicht und ist noch nicht zwei Wochen alt und schon muss sie | |
| sich rechtfertigen, wieso der Name nicht gegendert ist (wollen den Begriff | |
| „Chefredaktion“ enteignen und neu besetzen), wieso keine Untertitel | |
| (arbeiten daran, ist für Insta-Storys nicht so einfach). | |
| Die Etablierten freuen sich | |
| Auch wenn die Kritik berechtigt ist – sie erschöpft in dem Ton, in dem sie | |
| formuliert wird: „Euch scheint Gleichberechtigung scheißegal zu sein, sehr | |
| heuchlerisch“. Meine noch nicht etablierten Kolleg:innen äußern immer | |
| öfter ihre Angst davor, einmal gecancelt zu werden, obwohl sie fast schon | |
| pedantisch darauf achten, alles richtig zu machen. | |
| In manchen großen Redaktionen lachen sich ältere etablierte Kolleg:innen, | |
| die nicht annähernd so sensibel für diese wichtigen Themen sind, ins | |
| Fäustchen, dass alle, die versuchen, es besser zu machen, es trotzdem | |
| niemandem recht machen können – sie fühlen sich bestätigt, alles beim Alten | |
| zu lassen. | |
| Das soll kein Freifahrtschein sein, diskriminierenden Müll zu posten und | |
| sich dann bei berechtigter Kritik über das Canceln zu beschweren (zwei | |
| kritische Kommentare sind kein Canceln by the way). Ich meine auch kein | |
| Lisa-Eckhart-Canceln, das zu mehr verkauften Büchern führt. Ich meine das | |
| An-den-Pranger-Stellen von hauptsächlich auf Social Media bekannten jungen | |
| Frauen, die versuchen, die Welt etwas besser zu machen und dabei vielleicht | |
| einmal etwas übersehen, jemanden unabsichtlich ausschließen und die, wenn | |
| man ihnen das sachlich schreiben würde, das einsehen würden. | |
| Aber wann ist es okay geworden, unter dem Deckmantel „Kritik“ ein Arschloch | |
| zu sein? | |
| 8 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Melisa Erkurt | |
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