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# taz.de -- Vielfalt des Diskurses: Neue Welten
> Lange Zeit scheute sich unsere Autorin davor Sachbücher zu lesen. Doch
> nun erschließen neue Autor:innen das Feld – gegen Widerstände der
> Mehrheit.
Bild: Alice Hasters löste mit ihrem Buch „Was Weiße nicht über Rassismus h…
Erst seit etwa drei Jahren lese ich gerne Sachbücher. Ich fand Sachbücher
davor meist langweilig und führte das darauf zurück, dass ich vielleicht
nicht klug genug bin, um sie zu verstehen. Das ist insofern ungewöhnlich,
als dass ich Deutsch studiert habe, im Schnitt ein Buch pro Woche lese und
als Journalistin unglaublich gern dazulerne.
Meine Begeisterung für Sachbücher begann mit [1][Margarete Stokowskis
„Untenrum frei“]. Darin beschreibt sie die Konsequenzen des Patriarchats,
die mich in Gendervorlesungen an der Uni aufgrund der akademischen Sprache
davor nicht erreichten.
Populärwissenschaftliche Literatur und Sachbücher zur Diskriminierung
verschiedener marginalisierter Gruppen gab es natürlich schon davor, man
denke nur an Noah Sow und Tupoka Ogette, aber nicht in der Fülle, in der es
sie jetzt gibt. Plötzlich führen Namen wie Aladin El-Mafaalani, Alice
Hasters, Mohamed Amjahid, Kübra Gümüşay Bestsellerlisten an, und zwar nicht
mehr einmal alle fünf Jahre, sondern parallel.
Allein in den letzten zwei Wochen habe ich Neuerscheinungen von Emilia
Roig, Asal Dardan und Solmaz Khorsand gelesen und mein Herz geht auf, wenn
ich sehe, wie sie einander zitieren, aufeinander aufbauen und damit
wiederum von der breiten Bevölkerung in wissenschaftlichen Arbeiten,
Talkshows, Buchclubs, Feuilletons, privaten Gesprächen am Frühstückstisch,
Firmensettings und im Parlament zitiert werden.
## Konfliktpotenzial steigt
Personen ohne Diskriminierungserfahrung empfinden diese geballte Ladung an
für sie neuem Wissen als einschüchternd, warnen plötzlich vor einer
[2][„linken Identitätspolitik“ und einem „gefährlichen akademischen
Narrativ“]. Etablierte Redaktionen zitieren Autor:innen völlig [3][aus
dem Zusammenhang gerissen], verorten sie in einem Eck, in dem sie gar nicht
stehen. Das führte unlängst dazu, dass Alice Hasters, die mit „Was weiße
Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ eine längst
überfällige Rassismusdebatte im Mainstream entfachte, ihre
Social-Media-Kanäle stilllegte. Weil es zu viel für sie wurde. Um es mit
Oprah zu sagen: [4][„Were you silent, or were you silenced?“]
Weiße Intellektuelle werfen Autor:innen mit Diskriminierungserfahrung
vor, zu spalten, wenn sie doch in Wirklichkeit versuchen, Welten zu
vereinen. Wenn Sie in Wirklichkeit Menschen wie mich erstmals an Sachbücher
herangeführt haben. Um den Autor Aladin El-Mafaalani zu zitieren: „Das was
passiert, ist das, was passieren muss, nämlich, dass das Konfliktpotenzial
steigt, weil mehr Interessen in den Diskurs eingespeist werden und weil
Dinge in Frage gestellt werden. […] Und das führt dazu, dass auch die
anderen Widerstände leisten.“ Vielleicht müsste jemand ein Handbuch für die
Mehrheitsgesellschaft schreiben, wie sie lernt, ihre Widerstände zu
hinterfragen und nicht so aggressiv zu reagieren – Autor:innen, die
dafür infrage kommen, gibt es genug.
22 Mar 2021
## LINKS
[1] /Margarete-Stokowski-zu-Untenrum-frei/!5346889
[2] https://www.zeit.de/2021/11/identitaetspolitik-rassismus-soziale-gerechtigk…
[3] https://twitter.com/ARD_Presseclub/status/1370722828086091780
[4] https://people.com/royals/meghan-markle-oprah-interview-silenced-by-royal-f…
## AUTOREN
Melisa Erkurt
## TAGS
Kolumne Nachsitzen
Schwerpunkt Rassismus
Diskriminierung
Lesestück Interview
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Identität
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