# taz.de -- Mangelnde Diversität in deutschen Medien: Griaß di, allet jut | |
> Lokale Akzente sind bei Moderator*innen im deutschen Fernsehen und | |
> Radio immer öfter zu hören, fremdsprachige dagegen kaum. | |
Bild: Passiert immer öfter: Moderator*innen, die mit bayrischem Akzent ins Mik… | |
Samstagmorgen beim BR24, der Nachrichtensendung des Bayerischen Rundfunks: | |
Ein Reporter spricht über [1][Reformen in der Katholischen Kirche]. Er | |
wirkt professionell und gut vorbereitet. Dass er mit einem rollenden r und | |
einem bayerischen Akzent spricht, stört nicht. Beim BR, bei SWR und bei | |
anderen regionalen Sendern sind mittlerweile immer öfter lokale Akzente zu | |
hören. Bei fremdsprachigen Akzenten ist das dasgegen anders: man hört sie | |
beim Bäcker oder in der Straßenbahn, im Krankenhaus oder auf dem | |
Spielplatz. Sie sind längst Teil des deutschen Alltags – aber nicht im | |
[2][Radio und Fernsehen]. | |
27 Prozent der Bevölkerung hat eine Migrationsgeschichte, bei | |
Journalist*innen liegt der Anteil schätzungsweise [3][bei lediglich | |
fünf bis zehn Prozent]. Die meisten davon sind in Deutschland geboren oder | |
aufgewachsen. Kaum vertreten ist hingegen die erste Generation der | |
Eingewanderten. Fast alle Menschen, die nach der Jugend migrieren, haben | |
einen Akzent. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber wenn man bei DLF, ARD oder | |
RTL nach diesen Reporter*innen sucht, wird man nicht so einfach fündig. | |
Ja, es gab mal das prominente Beispiel des Niederländers Rudi Carrell, der | |
mit einem starken Akzent sprach. Aber Carrell machte Unterhaltung und nicht | |
Journalismus. Außerdem gibt es unter den Akzenten durchaus eine | |
Hierarchisierung. Ein französischer Akzent wird vielleicht als niedlich | |
empfunden, ein osteuropäischer oder arabischer hingegen nicht – denn auch | |
die Sprache ist ein ethnisches Merkmal. | |
## Keine Chance für Migrant*innen der ersten Generation | |
„Die Mehrheit der Zuschauer und der Hörer würde einen fremdsprachigen | |
Akzent wahrscheinlich tolerieren, sogar ermutigend finden“, sagt Joachim | |
Trebbe, Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU | |
Berlin. Insbesondere diejenigen, die eine Migrationserfahrung in der | |
Familie haben, würden dies begrüßen. Wer Vorbehalte habe, seien die | |
Medienhäuser selbst. „Journalismus ist sehr stark an die Sprache gebunden | |
und bezüglich der Sprache hat man in Deutschland hohe Ansprüche“, sagt er. | |
Deshalb findet er es berechtigt, dass Redaktionen Sprachfehler minimieren | |
wollen. | |
Es gibt wenige Dinge, die hierzulande so identitätsstiftend sind wie die | |
Sprache: die erhitzte Diskussion um Deutschkenntnisse von geflüchteten | |
Menschen und der Kinder mit Migrationshintergrund, die regelmäßig geführt | |
wird, ist nur ein Beispiel. Es überrascht also nicht, dass Migrant*innen | |
der ersten Generation im deutschen Journalismus kaum Chancen haben. Ihnen | |
wird vorgeworfen, die Sprache nicht perfekt zu beherrschen. Doch was heißt | |
schon, „perfekt“? Und wo sind die Grenzen zwischen einem regionalen und | |
einem fremdsprachigen Akzent? | |
„Eine feste Regel gibt es nicht“, sagt Trebbe. Die Redaktionen können frei | |
entscheiden, welche Abweichungen von der Standardsprache sie akzeptieren | |
wollen. Im englischsprachigen Raum, zum Beispiel unter den | |
CNN-Korrespondent*innen, sind fremdsprachige Akzente zwar nicht die Regel, | |
aber auch keine Ausnahmen. Und das sei richtig so, findet Ella Schindler. | |
Sie ist mit 16 Jahren aus der Ukraine eingewandert. Heute verantwortet sie | |
die Volontärsausbildung im Verlag Nürnberger Presse und ist Co-Vorsitzende | |
des Vereins Neue Deutsche Medienmacher*innen. | |
Schindler fordert nicht, dass man Menschen mit geringen Sprachkenntnissen | |
die Moderation einer Sendung anvertraut, wohl aber, dass man differenziert. | |
„Im Moment heißt es: Entweder spricht man als Muttersprachler*in oder | |
man hat kaum Chancen“, sagt sie. Guter Journalismus bestehe aber nicht nur | |
aus Sprache, sondern auch aus Gewissenhaftigkeit, Recherchefähigkeit, | |
Themengespür. Und außerdem erzähle auch ein Akzent eine Geschichte: „Er | |
macht deutlich, dass hier ein Mensch steht, der mehr als eine Kultur und | |
ein Land kennt und viele Hürden nehmen musste, um da zu stehen, wo er heute | |
ist“, sagt sie. Auch das sei eine Kompetenz, obwohl das häufig übersehen | |
wird. | |
Für Schindler wäre es Zeit, dass die Redaktionen sich den Menschen öffnen, | |
die nicht komplett akzentfrei sind. „Medienhäuser, insbesondere die | |
Öffentlich-Rechtlichen, haben den Auftrag, die Welt da draußen abzubilden“, | |
sagt sie. Und zur Welt da draußen gehören Menschen dazu, die ursprünglich | |
nicht aus Deutschland kommen. Auch sie sind Medienkonsumenten und wollen | |
sich in Fernsehen und Radio wiederfinden. Das sollte in den Chefetagen | |
nicht vergessen werden. | |
19 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Francesca Polistina | |
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