# taz.de -- Postmigrantische Gesellschaften: Der Blick von Österreich | |
> Auch wenn in Deutschland noch lange nicht alles gut ist: Österreichische | |
> Migrant:innen bewundern jene in Deutschland. | |
Bild: Arabella Kiesbauer, 1996: Zehn Jahre lang moderierte sie die Talkshow „… | |
Ob ihr das wisst, weiß ich nicht, aber wir Migrant*innen in Österreich | |
schauen zu euch Migrant*innen in Deutschland auf. Als Kind habe ich | |
mitbekommen, dass Österreicher*innen Deutsche nicht besonders mögen, sie | |
nennen euch abschätzig „Piefke“ und finden es furchtbar, dass so viele | |
ihrer Kinder einen bundesdeutschen Akzent haben, weil sie deutsches Youtube | |
schauen. | |
[1][Wir österreichischen Migrant*innen] haben schon immer bewundernd nach | |
Deutschland geblickt und immer schon Hochdeutsch gesprochen. Ich habe von | |
Anfang an lieber deutsches statt österreichisches Fernsehen geschaut, weil | |
es da zumindest ein paar Menschen gab, die eine ähnliche Biografie wie ich | |
zu haben schienen. Auch wenn sie anfangs nur Nebenrollen in der Pseudo-Doku | |
„Die Abschlussklasse“ hatten. Spätestens in meiner Popstars- und | |
Deutschrapphase war ich überwältigt davon, dass sich deutsche Kinder Poster | |
von deutschen Migrant*innen ins Zimmer hängen. Ist wohl auch kein Zufall, | |
dass die Schwarze Österreicherin Arabella Kiesbauer in Deutschland und | |
nicht in Österreich mit ihrer Talkshow berühmt wurde. | |
Heute konsumiere ich weniger Deutschrap und Trash-TV, dafür blicke ich als | |
Journalistin fast neidvoll zu euch. Manche Ausschreibungen richten sich | |
gezielt an Menschen mit Migrationserfahrung. So wie eine | |
Praktikumsausschreibung des Missy Magazine, das dann zu Recht dafür | |
kritisiert wurde, dass sich das viele Migrant*innen bei der schlechten | |
Bezahlung nicht leisten könnten. | |
## Es fehlt der Mut | |
Bei uns traute sich die Sportredaktion des Öffentlich-Rechtlichen im Sommer | |
erstmals, gezielt nach Praktikant*innen mit Migrationshintergrund zu | |
suchen. Der Aufruf war nur ein paar Tage online, ehe er wieder | |
runtergenommen wurde, weil sich zu viele darüber aufgeregt hatten, das | |
würde Menschen ohne Migrationshintergrund benachteiligen. Es fehlt hier | |
nicht nur der Mehrheitsgesellschaft der Mut, für uns einzustehen – auch von | |
Seiten der marginalisierten Gruppen gibt es [2][keine Initiativen wie die | |
Neuen Deutschen Medienmacher*innen] und vergleichsweise sehr wenige | |
Migrant*innenselbstorganisationen. | |
Hier sind wir noch immer Nischenprodukte, während bei euch Bücher von Alice | |
Hasters, Nura Habib-Omer, Saša Stanišić und [3][Aladin El-Mafaalani] | |
Spiegel-Bestseller sind. Ich weiß, das alles ist noch immer viel zu wenig | |
und bedeutet in keinster Weise, dass es in Deutschland keinen Rassismus | |
gibt, aber für uns in Österreich ist es ein Hoffnungsschimmer. | |
Ich weiß, dass mir nach dieser Kolumne Österreicher*innen schreiben | |
werden, ich soll doch zu den „Piefkes“ gehen, wenn es mir hier nicht passt. | |
Aber Österreich hat es nicht geschafft, mich mit seinem Hass anzustecken. | |
Ich schaue mit großer Anerkennung auf euch: Deutschlands Migrant*innen sind | |
über die Landesgrenzen hinaus Vorbilder. | |
14 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Melisa Erkurt | |
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