# taz.de -- Geheimnisse in Zeiten des Oversharings: Weniger teilen, mehr versch… | |
> Das 21. Jahrhundert scheint keine Geheimnisse mehr zu kennen. Überall | |
> wird alles und immer geteilt. Höchste Zeit, wieder geheimnisvoller zu | |
> werden. | |
Bild: Oversharing im vordigitalen Zeitalter: Moderatorin Arabella Kiesbauer in … | |
Neulich sprach ich mit jemandem über Geheimnisse und stellte dabei fest, | |
dass ich so gut wie keine Geheimnisse habe. Vielleicht bin ich das, was man | |
im [1][Internet „Oversharer“ nennt]. Was heißt vielleicht. Ich weiß es ga… | |
sicher, dass ich ein Oversharer bin. | |
Aber ich empfinde es irgendwie als befreiend zu wissen, dass es nichts | |
gibt, was mir unangenehm wäre, wenn es rauskäme. Also etwas, womit mich | |
jemand unter Druck setzen könnte. | |
Ich glaube mein Verständnis von Geheimnissen wurde stark von den Sendungen | |
beeinflusst, die ich früher als Teenager jeden Nachmittag geschaut habe. | |
Gerade Talkshows und Soaps leben von diesen Momenten, in denen das | |
Geheimnis einer Person gelüftet wird. Geheimnisse sind wichtig, dramatisch | |
und auf eine Art cool. So meine damalige simple wie auch logische | |
Schlussfolgerung. Also beschloss ich, geheimnisvoll zu werden. | |
Ich dachte, Geheimnisse bedeuten gleichzeitig auch Schutz vor der | |
Außenwelt. Niemand kann dir etwas antun, weil niemand genug in der Hand | |
hat, um dich unter Druck zu setzen. Außerdem fand ich geheimnisvolle | |
Menschen so viel spannender und interessanter als mein Oversharing-Ass, der | |
jedem alles sofort erzählen wollte. Nicht zuletzt erhoffte ich mir auch der | |
ewigen Kumpelrolle, in der ich als Teenie (und vielleicht heute auch noch) | |
war, zu entkommen. | |
## Arabella Kiesbauer schauen | |
Geheimnisvolle Menschen kriegen die heißesten Typen ab, war meine sehr | |
einfache Rechnung. Operation geheimnisvolle Anna war geboren. Ich | |
trainierte einen Blick im Spiegel, den ich für geheimnisvoll hielt. Und | |
überlegte, wie eine geheimnisvolle Garderobe wohl aussieht und wie ich sie | |
mir mit dem Taschengeld einer 15-Jährigen leisten könnte. Ich las die | |
Mädchen, die Bravo Girl und die Jolie und die Joy und die günstigen | |
[2][Variationen der Designerkleidung] waren immer noch Mango, Zara und | |
damit für mich zu teuer. | |
Also versuchte ich meine Kleidung mit wenig Geld cooler und geheimnisvoller | |
zu machen. Ich schnitt meine Hosen auf und experimentierte mit Aufnähern | |
und Sicherheitsnadeln. Aber egal was ich versuchte: Ich wurde nicht | |
geheimnisvoller. Ich versuchte abzunehmen und androgyner zu wirken, weil | |
ich dachte, dass das auch geheimnisvoll bedeutet. Es half nichts. | |
Meine Hobbys waren schließlich Nutellabrote essen [3][und Arabella | |
Kiesbauer schauen]. Und selbst wenn ich abnahm, blieb mein Hintern gleich. | |
Toll, Riesenhintern und dazu auch noch null geheimnisvoll. Jetzt sind große | |
Hintern angesagt, und die, die sich früher über meinen lustig gemacht | |
haben, lassen sich ihren beim Schönheitschirurgen vergrößern. | |
[4][Alle oversharen auf Twitter], Instagram, Facebook, Clubhouse und im Bus | |
auf dem Handy. Und jetzt will ich wieder geheimnisvoll werden. Nach der | |
nächsten Kolumne. | |
27 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-soziales-Netzwerk-Clubhouse/!5741788 | |
[2] /Berliner-Fashion-Week/!5743017 | |
[3] /Postmigrantische-Gesellschaften/!5709552 | |
[4] /Flanieren-durch-Berlin/!5701115 | |
## AUTOREN | |
Anna Dushime | |
## TAGS | |
Kolumne Bei aller Liebe | |
Social Media | |
Teilen | |
Gender Pay Gap | |
Kolumne Unter Druck | |
Kolumne Bei aller Liebe | |
Kolumne Bei aller Liebe | |
Sprache | |
Kolumne Nachsitzen | |
Kolumne Berlin viral | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kein Gender Gap beim Taschengeld: Kinder gleicher als Erwachsene | |
Bei Gehältern, Renten und Erbschaften klafft eine deutliche Lücke zwischen | |
Frauen und Männern. Nicht so beim Taschengeld, zeigt eine Studie. | |
Gedanken zum Medienjournalismus: Die persönliche K-Frage | |
Unsere Kolumnistin wechselt vom Medien- ins Investigativressort und beendet | |
damit ihre Kolumne. Ein Rückblick und ein hoffnungsvoller Ausblick. | |
Gedanken über die große Liebe: Ganz ohne Feuerwerk | |
Die große Liebe muss nicht mit einem Knall kommen. Sie äußert sich gerade | |
in den kleinen, unscheinbaren Dingen – und überall. | |
Öffentlich um Entschuldigung bitten: Sorry seems to be the hardest word | |
In den vergangenen Wochen wurde sich viel öffentlich entschuldigt. Aber war | |
das wirklich aufrichtig? Und wieso fällt es schwer, Schuld einzugestehen? | |
Debatten-App Clubhouse: Es gilt das gesprochene Wort | |
Die App Clubhouse hat die Schriftkommunikation aus dem digitalen Raum | |
verbannt. Fünf Gründe, warum sie mehr als ein Hype sein kann. | |
Neues soziales Netzwerk Clubhouse: Du kommst hier nicht rein | |
Die Audioplattform Clubhouse erlebt einen Hype in Deutschland. Doch der | |
elitäre Zugang ist nicht das einzige Problem der App. | |
Postmigrantische Gesellschaften: Der Blick von Österreich | |
Auch wenn in Deutschland noch lange nicht alles gut ist: Österreichische | |
Migrant:innen bewundern jene in Deutschland. | |
Flanieren durch Berlin: Die Überstunden des Nervensystems | |
Ist das, was auf dem Bildschirm passiert, die Welt? Oder bildet die Welt | |
nur das ab, was auf dem Bildschirm passiert? Ein psychogeografischer Essay. |