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# taz.de -- Debatten-App Clubhouse: Es gilt das gesprochene Wort
> Die App Clubhouse hat die Schriftkommunikation aus dem digitalen Raum
> verbannt. Fünf Gründe, warum sie mehr als ein Hype sein kann.
Bild: Schafft Gesprächsanlässe auf Distanz: Clubhouse
„Chen“. Vier Buchstaben waren es nur, die Thüringens Ministerpräsident Bo…
Ramelow einen Shitstorm einbrachten. Dabei ist „Chen“ an sich gar nicht so
verwerflich, hängt man es an Katze, Pflanze, Haus oder Söder.
Ramelow aber bedachte die Bundeskanzlerin damit: „Merkelchen“. Mit der
Verniedlichung einer Frau legte Ramelow männliches Machtgehabe an den Tag.
Und zwar öffentlich, [1][während einer Diskussion auf der Smartphone-App
„Clubhouse“], die seit ein paar Wochen ein neues Lieblingsspielzeug von
Medien- und Werbeleuten, Politiker:innen und digital affinen Menschen
ist. Das wurde natürlich bekannt. Und Ramelow musste sich öffentlich
entschuldigen.
Denn anders als auf vielen Social-Media-Kanälen gilt auf Clubhouse das
gesprochene Wort. Hier wird nicht geschrieben, hier wird geredet, und die
Gespräche sind live. Man kann nichts nachträglich löschen, nichts vorher
aufzeichnen und es sich dann doch nochmal anders überlegen.
Auf Clubhouse fällt man Alice-im-Wunderland-gleich in einen Kaninchenbau
voller digitaler Türen. Dahinter warten sogenannte Räume, hier können die
Clubhausgäste live zuhören oder diskutieren, ohne sich zu sehen. Mal geht
es um Politik, mal um Fortnite, mal um Sexpraktiken, American Football oder
Feminismus. Mal hören fünf, mal mehrere Tausend Menschen zu.
Erschienen ist die US-amerikanische App schon im April 2020, aber erst
Mitte Januar wurde in Deutschland ein Hype daraus – am 19. Januar war sie
dann die am meisten heruntergeladene Anwendung aus Apples App-Store. Will
man hinein ins Haus, braucht man eine virtuelle Einladung. Außerdem muss
man volljährig sein. Besucher müssen sich mit ihrem echten Namen und Foto
anmelden. Ist man drin, darf man zwei weitere Gäste einladen.
Doch schon bald [2][gab es auch Kritik an Clubhouse]. Lockerer Datenschutz
wird bemängelt, der Zugriff der App auf das Telefonbuch und alle Kontakte.
Und Elitarismus: Man muss eingeladen werden, gehörlose Menschen sind
ausgeschlossen und zusätzlich kann Clubhouse nur nutzen, wer ein
Apple-Produkt besitzt. Ein iPhone kann sich aber nicht jeder leisten.
Dennoch hat auch Clubhouse seine Daseinsberechtigung. Denn die App bietet
einiges, das andere soziale Medien vermissen lassen. Hier fünf Gründe,
warum sie mehr als ein Hype sein kann.
## 1. Die virtuelle Bar
Clubhouse trifft besonders in der Coronapandemie einen Zeitgeist, da die
Menschen viel weniger direkt mit einander reden und interagieren können als
sonst.
Für Konstanze Marx, Linguistin an der Universität Greifswald, ist Clubhouse
die konsequente Fortführung eines Trends, den es in der direkten
Kommunikation bereits gibt: Hier verlagert sich das Gewicht seit einiger
Zeit vom schriftlichen Chat zu Sprachnachrichten. Marx formuliert es so:
„Es scheint mir, dass bereits lange etablierte Formen der mündlichen
Interaktion in einen quasi-exklusiven Raum transferiert wurden.“
Letztlich passiere auf Clubhouse nicht viel anderes als in einer
Podiumsdiskussion oder in einer kleinen informellen Gesprächsrunde nach
einer größeren Veranstaltung. Die es aber nun mal gerade nicht gibt. Es
müssen also neue informelle Formate aktuell emotionale Nähe und Intimität
herstellen – auf Distanz. Clubhouse ist die neue virtuelle Bar an der Ecke.
2. Die Wahrhaftigkeit der Stimme
Wer glaubt, bei Audioformaten wie Clubhouse gehe es allein um die Stimme,
liegt falsch. Es geht um das, was die Stimme erzeugt. Denn unsere Stimme
ist nicht zu hundert Prozent steuerbar und hat somit eine größere
Wahrhaftigkeit als geschriebener Text. Mal ist es ein tiefes Krächzen, ein
melodisches Summen, ein trauriger Unterton. Jede Stimme zeigt unwillkürlich
eine Stimmung an – nicht umsonst liegen die beiden Begriffe semantisch nah
beeinander.
Gleichzeitig lassen wir durch die Stimme unser Wesen mit durchklingen.
Person stammt von „personare“, aus dem Griechischen: erschallen oder
widerhallen. Es gibt auf Clubhouse resigniertes Seufzen, Gähnen, ein
Stocken oder einen drohenden Unterton. Und anders als bei schriftlicher
Kommunikation wird daher Ironie (auch ohne Emoticons) auf Clubhouse besser
verstanden.
Für Ines Bose, Professorin der Sprechwissenschaft an der Universität
Halle-Wittenberg, wird alles, was wirken soll, über die Stimme
transportiert. Nähe und Distanz, emotionale Attraktivität und Abneigung
werden sinnlich hergestellt. Wie man spricht, hat somit auf Formaten wie
Clubhouse eine viel größere Bedeutung: Artikulation, Dialekt, Gliederung,
Akzentuierung, Eindringlichkeit, all das ist wichtig.
Laut Bose hören wir gerne etwas, was wir selber glauben zu sein. Diesen
Moment von Authentizität verbinden wir mit Vertrautheit.
3. Zuhören statt Pointenjagd
Twitter steht mittlerweile für vollkommene Trivialität im
Zwei-Minuten-Takt. Clubhouse erscheint wie eine Antwort darauf. Twitter
funktioniert über Punchlines, schmissige Pointen in 280 Zeichen.
Hauptsache, man ist präsent. Jeden Tag. Und was wird geteilt? Richtig –
das, was provoziert, aneckt und schmissig klingt. Man bekommt schließlich
Herzchen dafür. Die sofortige Bewertung und Belohnung verstärkt den Drang
zur Selbstdarstellung.
Gespräche funktionieren aber nun mal nicht ausschließlich über Punchlines.
Mit Clubhouse kehrt der Dialog zurück, wird die Kommunikation
gruppenorientierter und thematisch fokussierter. Und wenn immer nur einer
gleichzeitig reden kann, müssen die anderen – zuhören. Übrigens: Auf
Twitter redet man viel über #Clubhouse, auf Clubhouse aber nicht so viel
über Twitter.
4. Weniger Hass
Endlich: Man ist wieder nett zueinander. Im direkten Gespräch wird auf
Clubhouse selten gepöbelt oder beleidigt. In der App meldet man sich mit
dem echten Namen an und spricht seinem Gegenüber ins Gesicht. Beides
steigert die Hemmschwelle für Diskriminierung, Zynismus und Hetze enorm. Wo
es keine Maskerade gibt, ist Hatespeech schwieriger. Und anders als
beispielsweise bei Whatsapp, wo nur ein Emoticon falsch gesetzt sein muss,
kommt es seltener zu Missverständnissen.
Allerdings: Auch Twitter fing einst so kuschelig an. Die Trolle werden wohl
noch ihren Weg ins Clubhouse finden. In den USA haben Rechte schon
begonnen, die App zu kapern.
5. Stolpern ins Glück
Durch Clubhouse bewegt man sich ohne Plan. Es geht um den Zufall. Das
Reinstolpern. Man folgt erst mal ein paar Leuten und besucht die Räume, in
denen sie schon sind. So stößt man in neue Lebensrealitäten vor, weil der
Kollege eben vielleicht auch Balletttänzer ist. Oder die Bekannte aus dem
Fitnessstudio bei der Bundeswehr. Dort lernt man neue Leute kennen, folgt
denen – und so weiter.
Wenn man auf Facebook in eine andere Welt schauen möchte, muss man
offiziell einer Gruppe beitreten, die Hürde liegt da höher. Auf Clubhouse
kann man sich inspirieren lassen. Und entgegen dem Namen passiert dies ganz
ohne Verpflichtungen und Aufnahmebedingungen.
30 Jan 2021
## LINKS
[1] /Politiker-bei-Clubhouse/!5743162
[2] /Neues-soziales-Netzwerk-Clubhouse/!5741788
## AUTOREN
Amonte Schröder-Jürss
## TAGS
Sprache
Clubhouse
Hype
Soziale Medien
Soziale Medien
Türkei
Social Media
Kolumne Bei aller Liebe
Bodo Ramelow
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