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# taz.de -- Live-Talk-App Clubhouse: Zeit für Real Talk
> Clubhouse hatte kürzlich einen rasanten Start in Europa hingelegt. Doch
> der Hype scheint vorbei. Der Markt ist längst viel weniger offen für
> Neues.
Bild: Radio und Podcasts setzen auf Redaktionen und gutes Equipment, bei Clubho…
Es ist still geworden nicht nur um Clubhouse, sondern auch auf Clubhouse:
68 Prozent weniger Installationen der eben noch schwer gehypten
Live-Talk-App meldet die Markforschungsfirma SensorTower. Oder anders
gesagt: im März war drei Mal mehr los – bei gefühlt hundert Mal mehr
Aufmerksamkeit. Kein soziales Netzwerk hatte sich zuvor innerhalb so kurzer
Zeit so viel Raum in öffentlichen Debatten erobert.
Hinter den Kulissen sorgfältig orchestriert schaffte [1][Clubhouse Anfang
des Jahres] praktisch innerhalb eines Wochenendes den Sprung aus
Kalifornien mitten auf die Smartphones der meisten deutschen Politik- und
Medienmenschen. Eben noch ein Produkt im Teststadium, zugänglich nur für
Fachleute mit Nähe zum Silicon Valley, diskutierten plötzlich all jene, die
auch sonst vor deutschen Mikrofonen diskutieren – aber jetzt ohne
Redaktion, zwischengeschaltetes Social-Media-Team oder sorgfältigen
Tonschnitt.
Wie gut oder schlecht das funktioniert, ließ sich anhand der kleinen
Skandale und Coups erkennen, die allein innerhalb der ersten paar Tage auf
Clubhouse ihren Anfang nahmen: Philip Amthor sang das Pommerlied, [2][Bodo
Ramelow schimpfte Angela Merkel „das Merkelchen“], Manuela Schwesig tauchte
spät am Abend spontan in Clubhouse-Räumen auf, um sich mit Gegner*innen
von Nord Stream 2 anzulegen.
Vor allem wegen dieses rasanten Starts sind die neuen Zahlen ein herber
Rückschlag für [3][das kaum ein Jahr alte soziale Netzwerk], das sich laut
Businessplan eigentlich in seiner „Hypergrowth“-Phase befinden müsste – …
Wachstumsraten, die sich nur in dreistelligen Prozentzahlen oder
Raketen-Emojis ausdrücken lassen. Dass jetzt auch noch Facebook-Chef Mark
Zuckerberg verkündete, eine ganze Reihe Clubhouse-ähnlicher Funktionen in
Facebook zu integrieren, trübt die Aussichten weiter – zumal auch andere
sozialen Netzwerke wie Twitter an ähnlichen Plänen arbeiten. Herrscht also
bald Totenstille in Deutschlands einst lautester App?
## Bedeutungslos oder zukunftsweisend
Nicht alle sind sich da einig: gerade erst drang die Nachricht aus dem
Silicon Valley zu uns, dass Clubhouse bei einer neuen Finanzierungsrunde
mit 4 Milliarden Dollar bewertet wurde. Was denn jetzt? Ist Clubhouse auf
dem Weg in die Bedeutungslosigkeit – das MySpace von übermorgen – oder ein
Medium mit großer Zukunft?
Um zu verstehen, welche zwei Lager in der Debatte um Clubhouse
aufeinandertreffen, hilft eine Anekdote, die die Gründer des
Cloud-Speicherdienstes Dropbox erzählen: Apple-Chef Steve Jobs hatte die
beiden 2009 eingeladen, weil er die Dropbox-Software so gut fand, dass er
die ganze Firma kaufen wollte. Warum die beiden Gründer zustimmen sollten,
begründete er folgendermaßen: „you have a feature, not a product“. Was er
meinte: Dropbox mag eine super Erfindung sein, aber taugt nicht als
alleinstehendes Produkt – Online-Speicher ist eine so elementare Funktion,
dass sie früher oder später einfach in das Betriebssystem integriert wird.
Entweder also, die Dropbox-Gründer verkaufen – oder dürfen mit ansehen, wie
sie von Apple, Google und Microsoft kopiert und aus dem Markt gedrängt
werden.
Die Dropbox-Gründer haben damals abgelehnt und sind damit bisher sehr gut
gefahren, die grundlegende Frage „is it a feature or a product“ gehört aber
seitdem zum festen Inventar jedes Wagniskapitalgebers. Die Beispiele
reichen von Foto-App-Start-ups, deren smarte Filter einfach von Instagram
und Co kopiert und integriert wurden, über Business-Software-Lieblinge wie
Slack oder Zoom, deren gesamte Funktionalität einfach in einem weiteren
Icon im viel umfangreicheren Microsoft Teams aufgeht, bis hin zu – genau –
Clubhouse.
Dessen radioähnliche Live-Gespräche, sagen die Zweifler*innen, seien
anderswo viel besser aufgehoben, nämlich in einem der bereits bestehenden
Netzwerke. Dort nämlich, bei Twitter und Facebook vor allem, sind all die
modernen Meinungsführer*innen schon längst angemeldet und aktiv, die
Clubhouse alleine nicht dauerhaft halten kann. Denn der Live-Charakter, das
ist in den letzten Wochen deutlich geworden, hat diverse Nachteile.
## Der Live-Charakter macht Probleme
So haben Clubhouse-Gespräche zum Beispiel wenig „Viralität“: der flüchti…
Charakter und das ausdrückliche Verbot, die Diskussionen mitzuschneiden,
sorgen zwar immer wieder für fast festivalähnliche Anekdoten („Warst du
dabei, als Bodo Ramelow sich um Kopf und Kragen geredet hat?“), verhindern
aber auch jene Art von digitalem Buschfeuer, um das andere Netzwerke
mittlerweile ihr ganzes Geschäft bauen.
Doch nicht nur macht Clubhouse es damit unmöglich, vergangene Highlights
nachzuvollziehen. Der Live-Charakter erschwert es auch, Leute überhaupt an
die App zu binden: Acht Sekunden lang ist einer Microsoft-Studie zufolge
die menschliche Aufmerksamkeitsspanne – so lange haben Apps oder Webseiten
Zeit, um Menschen von ihrem Angebot zu überzeugen. Doch während Instagram,
TikTok und Co hohe Summen in Algorithmen investieren, die jeweils den
besten Inhalt auf die Startseite ihrer Apps spülen, ist Clubhouse abhängig
von den User*innen, die gerade online sind. Einmal zur falschen Zeit
eingeloggt und schon verfestigt sich der Eindruck: gar nichts los hier! Und
selbst wer auf Anhieb einen Raum aufstöbert, der ihn interessiert, kämpft
oft mit dem Nachteil, den Anfang oder wichtige Details verpasst zu haben.
Das ist zwar auch im Fernsehen oder Radio so, dort aber hat man seine
Inhalte über Jahrzehnte genau auf diese Art von Konsum optimiert, während
bei Clubhouse, das merkt man schnell, vor allem Menschen produzieren, die
sich an einer bestimmten Sorte Podcast orientieren: es mäandert gerne.
Doch nicht nur der Live-Charakter erschwert Clubhouse die Etablierung
zwischen Facebook und Co – auch der Markt an sich ist längst viel weniger
offen für neue Angebote. Denn entgegen der gängigen Annahme, dass soziale
Netzwerke alle paar Jahre durch neue Konkurrenz ersetzt werden wie damals
Myspace, Tumblr und StudiVZ, hat längst eine Konsolidierung eingesetzt. So
sorgen TikTok und Snapchat zwar dafür, dass Facebook kaum noch junge
Nutzer*innen gewinnt – gleichzeitig nehmen sie diesem aber auch kaum
Mitglieder ab. Das macht es für Start-ups wie Clubhouse nicht nur schwer,
überhaupt neue Nutzer*innen zu gewinnen, auch das Reservoir jener
Menschen, die überhaupt genug interessante Dinge zu sagen haben – und
gewillt sind, das umsonst und nur zur Eigenwerbung zu tun –, ist zunehmend
erschöpft. Schwer vorstellbar, dass es kein Limit gibt für die Zahl der
Plattformen, die Journalismus und Politik bereitwillig bespielen.
Ein Clubhouse-Klon, integriert in Twitter oder Facebook, würde einige
Probleme der jetzigen App lösen – und wäre gleichzeitig der Todesstoß für
das junge Start-up.
Dass das gar keine Niederlage für die Gründer sein muss, darauf weist unter
anderem der Tech-PR-Spezialist Ed Zitron hin: Clubhouse sei gebaut worden,
um verkauft zu werden, analysiert er [4][auf seinem Blog] und weist darauf
hin, dass viel Wagniskapital vor allem von A16Z kommt – jener Firma, die
als mit Abstand marketingstärkste unter den kalifornischen Geldgebern gilt.
Gut möglich also, dass eine der großen Konkurrenzfirmen doch noch zugreift
– um Expertise, Nutzer*innenaktivität und vor allem Wachstum
einzukaufen.
29 Apr 2021
## LINKS
[1] /Neues-soziales-Netzwerk-Clubhouse/!5741788
[2] /Politiker-bei-Clubhouse/!5743162
[3] /Hype-um-Audio-App-Clubhouse/!5747238
[4] https://ez.substack.com/p/clubhouses-endgame-and-silicon-valleys
## AUTOREN
Stefan Stuckmann
## TAGS
Soziale Medien
Schwerpunkt Meta
Clubhouse
Silicon Valley
Social Media
Soziale Medien
Sprache
Bodo Ramelow
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