# taz.de -- Österreichs Deutschland-Komplex: Corona als Chance | |
> Die Österreicher:innen hassen die Deutschen, vor allem ihre Sprache. Mit | |
> den bestehenden Reisewarnungen werden sie sie nun wohl aber vermissen. | |
Bild: Vielleicht liegt in den Reisewarnungen ja auch eine Chance auf Versöhnun… | |
Wenn man als Migrantin in Österreich aufwächst, dann gibt es vieles, das | |
man nicht versteht: die Dialekte, den Haider-Mythos, die Liebe zum | |
Ski-Fahren und den Deutschland-Hass. Das erste Mal ist er mir | |
entgegengeschlagen, als ich „Chemie“ wie „Schemie“ ausgesprochen habe. … | |
habe gesprochenes Deutsch durch deutsches Fernsehen gelernt (weil ganz | |
ehrlich, österreichisches Fernsehen kann nicht so viel). Meine | |
österreichischen Mitschüler:innen haben sich regelmäßig darüber lustig | |
gemacht. „Wieso redest du wie die Piefke?“ Manchmal wusste ich nicht, was | |
sie schlimmer fanden, [1][meinen bosnischen Migrationshintergrund], meinen | |
muslimischen Background oder meine bundesdeutsche Aussprache. | |
Dieser Deutschland-Komplex hat wohl mit der | |
Großer-kleiner-Bruder-Geschichte Deutschlands und Österreichs zu tun, aber | |
als Migrantin verstehe ich nicht, wie diese Abneigung über Generationen | |
hinweg weitertransportiert werden konnte. Bei uns daheim war Deutschland | |
ein Synonym für Österreich und umgekehrt, „Švabe“ ist die Jugo-Bezeichnu… | |
für Deutsche und Österreicher:innen, Alman die türkische für Deutsche und | |
Österreicher:innen – wir unterschieden da nicht. | |
Für mich persönlich hat das Bundesdeutsche immer einen Ticken intelligenter | |
gewirkt. Deutsche Professor:innen an der Uni kamen mir allein aufgrund | |
ihrer sprachlichen Betonung gebildeter vor. Das würde ich mich natürlich | |
niemals trauen, in Österreich zu schreiben. Die Österreicher:innen | |
verfassen ja schon Hass-Postings über ihre eigenen Kinder, weil die durch | |
deutsche Youtuber:innen und Deutschrap plötzlich alle bundesdeutsch | |
klingen. | |
Als Lehrerin habe ich auch bemerkt, dass der bundesdeutsche Ton Einzug in | |
österreichische Klassenzimmer gefunden hat. Die Schüler:innen sagten „ne“, | |
statt „nein“, „ne Eins“ statt „ein Einser“ und „is klar“ statt … | |
– aber gestört hat mich das keineswegs. Ein österreichischer Vater befand | |
am Elternsprechtag aber, es sei meine Pflicht als Deutschlehrerin, den | |
Kindern das Österreichische wieder näherzubringen. Ja, ne – is klar. Genau | |
ich, die ich Kartoffel statt Erdäpfelsalat bestelle und von den Wiener | |
Kellner:innen deshalb mein Schnitzel ohne Beilage serviert bekomme. | |
Jetzt hat Deutschland [2][für ganz Österreich] (ausgenommen Kärnten) eine | |
Reisewarnung ausgesprochen. Aber mal ehrlich, bei dem Deutschen-Hass | |
wundert es mich, dass es Corona gebraucht hat, bis eine Reisewarnung | |
verhängt wurde. Ich wittere aber genau jetzt die Chance auf eine große | |
Versöhnung. Denn [3][ihr Deutschen gehört zu den größten Tourigruppen in | |
Österreich,] und auch wenn die Kellner:innen über euren Geiz lästern, ihr | |
lasst viel Geld hier und seid angenehme Gäste. Manchmal muss man etwas erst | |
verlieren, um seinen Wert zu erkennen. Wenn die Leute davon reden, die | |
Krise als Chance zu sehen, müssen sie genau das gemeint haben. | |
26 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Melisa Erkurt | |
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