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# taz.de -- Schwächen des Bildungssystems: Sei dankbar, Migrant!
> Ich habe mich lange mit der Benachteiligung von Kindern mit
> Migrationshintergrund im Bildungswesen beschäftigt. Viele sind zum
> Scheitern verurteilt.
Bild: Es wird von Eltern erwartet, dass sie bei den Hausaufgaben helfen. Nicht …
Ich habe ein Buch geschrieben – „Generation haram“. [1][Ein Buch darüber,
wie Kinder mit Migrationshintergrund und Arbeiterkinder im Bildungssystem
zum Scheitern verurteilt sind.] Gewisse Schultypen sind für sie nicht
vorgesehen, sie werden anders bewertet, schaffen den Bildungsaufstieg
seltener und flüchten sich deshalb in veraltete Rollenbilder und bestätigen
Stereotype.
Schule erwartet, dass die Mama zu Hause bei den Schulaufgaben hilft. Eltern
mit Migrationshintergrund und wenig Geld haben aber oft zu schlechte
Deutschkenntnisse dafür und können sich keine Nachhilfe leisten. Dazu kommt
die individuelle Komponente, wenn etwa Lehrer und Mitschülerinnen Kinder
aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe anders behandeln.
Das habe ich als Schülerin mit Migrationshintergrund, als
Schulprojektleiterin, als Journalistin und als Lehrerin beobachtet. Seit
ich Anfang 20 bin, arbeite ich mit Jugendlichen, ich habe Lehramt studiert,
drei Jahre lang mit über 500 Schülerinnen gearbeitet und vergangenes Jahr
schließlich ein Jahr lang Deutsch und Psychologie und Philosophie
unterrichtet und jetzt dieses Buch geschrieben. Anstatt mir zuzuhören,
spricht mir ein Teil der Mehrheitsgesellschaft als Reaktion auf das Buch
meine Expertise ab.
## Wir reden mit
„Die Erkurtsche Weinereimasche. [2][Ich war 40 Jahre AHS-Lehrer] (nicht
bloß ein Jahr). Meine letzte Klasse als KV zeichnete sich durch 12 versch.
Sprachen aus; dennoch haben die meisten, die aus einfachen Familien kamen,
maturiert. Warum? Weil die Eltern Bildung für wichtig erachten“, ist nur
einer der unzähligen Foren- und FB-Kommentare zu meinem Buch.
Ich bin jetzt 29, entschuldigen Sie bitte vielmals, Herr Oberstudienrat,
dass ich nicht schon nach der Volksschule angefangen habe zu arbeiten. Mehr
Erfahrung hätte ich in meinem Alter unmöglich sammeln können.
Aber darum geht es Ihnen gar nicht. Migrant*innen werden noch immer
höchstens als Islam-Expert*innen akzeptiert, aber auch da nur, wenn sie
einseitig über den radikalen Islam berichten. Eine Migrantin, die erklärt,
was in der Bildungspolitik falsch läuft und den Fokus weg von den
Migrantenkindern und Muslimen lenkt – die darf nicht den Diskurs bestimmen,
die will man nicht mitreden lassen.
[3][Der Soziologe Aladin El-Mafaalani beschreibt das in seinem Buch „Das
Integrationsparadox“ sehr gut]: Migrantinnen und Migranten wollen plötzlich
auch ihren Platz am Tisch. Es reicht ihnen nicht, Bauarbeiter und Putzkraft
zu sein, sie wollen jetzt mitreden. Ich merke, dass die
Mehrheitsgesellschaft ganz verwundert ist, dass ich Teilhabe einfordere.
Die häufigste Reaktion ist: Du sei in erster Linie einmal dankbar. Einige
wenige von uns haben einen Platz am Tisch ergattert, dazu zähle ich mich
auch. Wir werden jetzt ins Haubenrestaurant gelassen, bekommen aber den
Platz beim WC.
24 Aug 2020
## LINKS
[1] https://orf.at/stories/3177772/
[2] https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schulsystem/sa/ahs.html
[3] /Coronakrise-weltweit/!5673071
## AUTOREN
Melisa Erkurt
## TAGS
Kolumne Nachsitzen
Bildung
Migration
Islamismus
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