# taz.de -- Überwiegend männliche Chefredaktionen: Wo sind die Frauen? | |
> In den vergangenen Wochen haben viele Verlage neue Chefredakteure | |
> engagiert. Fast alle sind mittelalte, weiße Männer. | |
Bild: Ins „Spiegel“-Gebäude kommen Frauen wohl nicht so leicht rein – zu… | |
Er sei der „neue starke Mann an der Spitze des Nachrichtenmagazins“, | |
schrieben MedienjournalistInnen in der vorletzten Woche über Steffen | |
Klusmann. Klusmann wird neuer Chefredakteur des Spiegel. [1][Recht | |
überraschend erschien diese Meldung am vorvergangenen Mittwoch.] Da wussten | |
selbst die Redakteurinnen und Redakteure von Spiegel und Spiegel Online | |
noch nicht Bescheid. | |
Klusmann wird den Spiegel anders als sein Vorgänger Klaus Brinkbäumer nicht | |
allein führen. [2][Die bisherige Spiegel-Online-Chefin Barbara Hans] und | |
der Spiegel-Reporter Ulrich Fichtner werden ebenfalls ChefredakteurInnen. | |
Die neue Chefredaktion werde sich als „ein Team“ formieren, heißt es aus | |
dem Verlag. Klusmann werde „Vorsitzender des Teams“ sein. | |
Fast zeitgleich verschickte auch die Funke Mediengruppe eine | |
Pressemitteilung. Neuer Chefredakteur der zu Funke gehörenden Thüringer | |
Allgemeinen wird Jan Hollitzer. | |
Am Tag zuvor hatte der Tagesspiegel bekannt gegeben: Neuer Chefredakteur | |
wird Mathias Müller von Blumencron, der zuletzt Digitalchef der FAZ war. Er | |
wird die Holtzbrinck-Zeitung künftig gemeinsam mit Lorenz Maroldt leiten. | |
Der bisherige Ko-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff wechselt in den | |
Kreis der Herausgeber, wo er mit Giovanni di Lorenzo und Sebastian Turner | |
auf zwei männliche Kollegen trifft. | |
## Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich | |
Und damit nicht genug der neuen „starken Männer“ in den Medienchefetagen. | |
Allein in den vergangenen zwei Monaten wurde bekannt: Die Mediengruppe | |
Oberfranken, in der unter anderem der Fränkische Tag und die Bayerische | |
Rundschau erscheinen, befördert Thomas Mydlach und Boris Hächler zu | |
Chefredakteuren. Die Mediengruppe Frankfurt, die [3][die Frankfurter Neue | |
Presse und die Frankfurter Rundschau herausgibt], wird künftig von einer | |
Doppelspitze aus Matthias Thieme und Max Rempel geführt. Der Südkurier | |
macht Andreas Ambrosius und Jörg-Peter Rau zu Chefredakteuren und wird | |
damit künftig von vier Männern geleitet. Die Zeitungsgruppe Ostfriesland | |
bekommt ab November Joachim Braun als neuen Chefredakteur. | |
Dagegen verdampfen die Beförderungen von Barbara Hans beim Spiegel und von | |
Laura Himmelreich bei Vice, [4][wo sie zukünftig die deutschen, | |
österreichischen und schweizerischen Ableger verantwortet], wie der Tropfen | |
im ansonsten leeren Wasserkocher. Der Tagesspiegel schob zwar ein paar Tage | |
später noch hinterher, dass Anna Sauerbrey (neben Christian Tretbar) auch | |
Mitglied der Chefredaktion werde, aber eben nicht Chefredakteurin – und | |
auch nicht Stellvertreterin, sondern nur „Mitglieder der …“. Ein wichtiger | |
Unterschied. | |
Die Spitzenpositionen in deutschen Zeitungsverlagen werden halt noch immer | |
überwiegend mit Männern besetzt. Zwar tragen viele Medienhäuser die | |
Schlagworte Frauenförderung und Diversity vor sich her, verfolgt man aber, | |
wer wo Chef ist und wird, so sind das immer noch vor allem Männer. Oder | |
sind die Personalmeldungen der vergangenen zwei Monate nur eine zufällige | |
Häufung von Männernamen und gar nicht repräsentativ für die Medienszene? | |
„Ich fürchte nicht“, sagt Sabine Stamer von ProQuote Medien. Ihr Verein | |
zählt in einem Kamel- und einem Straußenrennen, wie hoch der | |
Frauenmachtanteil in deutschen Redaktionen ist. Ausgewertet werden die | |
Impressen der Medien. Je höher die Position, desto stärker fällt sie ins | |
Gewicht. Eine Ressortleiterin zählt also mehr als eine Stellvertretende | |
Ressortleiterin. Die Onlineredaktionen sind die Strauße. Da liegt ganz | |
hinten bild.de (15,1 Prozent). Derzeit in Führung: stern.de mit 52,4 | |
Prozent. Die Kamele sind die Printredaktionen: Beim Focus lag bei der | |
letzten Zählung im Juli 2018 der Frauenmachtanteil bei 9,1 Prozent. Das | |
langsamste Kamel im Stall. Vorne liegt der Spiegel mit 37,5 Prozent. | |
Deutschland auf dem letzten Platz | |
Gerade dort, an der Hamburger Ericusspitze, lasse sich eine positive | |
Tendenz beobachten, sagt Stamer. Vor sechs Jahren, bei der ersten Zählung, | |
lag der Frauenmachtanteil laut ProQuote noch bei 5,9 Prozent. Sechs Jahre | |
später sind es ebenjene 37,5 Prozent. | |
Und auch bei der aktuellen Neubesetzung wird mit Barbara Hans ja zum ersten | |
Mal eine Frau Chefredakteurin des Hauses. Zumindest auf dem Papier. | |
Schließlich sind sie, Klusmann und Fichtner alle ChefredakteurInnen, worauf | |
der Spiegel auf Nachfrage großen Wert legt. Aber: Klusmann ist in der | |
Chefetage der Primus inter pares. | |
„Ich sehe das gern, dass Barbara Hans da ist“, sagt Stamer. „Vor ein paar | |
Jahren wäre deren Position auch noch von einem Mann besetzt worden.“ Aber | |
noch lieber würde sie es sehen, „dass in so einer Dreierkonstellation auch | |
mal eine Frau ganz oben steht und sie eine Stellvertreterin hat und der | |
Dritte im Bunde ein Mann ist.“ | |
Allerdings sind die Medienhäuser mit dieser bemerkenswerten Art der | |
Frauenförderung in Deutschland nicht allein. Wiebke Ankersen ist | |
Geschäftsführerin der Allbright-Stiftung, die sich für mehr Frauen und | |
Diversität in den Führungspositionen der Wirtschaft engagiert. Sie hat | |
ausgewertet, wie viele Frauen es an den Spitzen der jeweils 30 größten | |
börsennotierten Firmen in Frankreich, Großbritannien, Polen, Schweden, den | |
USA und Deutschland gibt. Ihr Fazit: Nirgendwo sind so wenig Frauen in | |
Führungspositionen wie in Deutschland. | |
Divers besetzte Unternehmen sind produktiver | |
„Das liegt daran, dass die deutsche Wirtschaftselite, anders als die | |
angelsächsische oder skandinavische, sehr stark an Traditionen hängt: Das | |
haben wir schon immer so gemacht, das hat sich bewährt“, sagt Ankersen. | |
Generell lasse sich in allen Ländern beobachten: Wenn Unternehmen sich | |
nicht klar zum Ziel setzen, einen bestimmten Anteil an Führungspositionen | |
mit Frauen und divers zu besetzen, ergebe sich das nicht von allein. „Es | |
liegt in unserer Psychologie, dass wir am liebsten mit Menschen arbeiten, | |
die uns ähnlich sind. Weil das so schön einfach ist. Das heißt aber auch: | |
Der weiße, mittelalte, westdeutsche Mann – also der Durchschnittsmanager in | |
Deutschland – rekrutiert vor allem weiße, mittelalte, westdeutsche Männer.�… | |
Dabei ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass Unternehmen | |
produktiver sind, mehr Gewinn erwirtschaften und seltener in Krisen | |
geraten, wenn ihre Führungsteams möglichst divers besetzt sind. Das meint | |
nicht nur: mit Frauen, sondern auch mit Menschen mit Migrationshintergrund, | |
mit Behinderungen, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher sexueller | |
Orientierung. | |
„Unternehmen sind immer auf der Suche nach den Besten. Wenn also wirklich | |
nur Talent und Leistung zählen würden, dann müssten Führungsteams | |
automatisch relativ divers sein. Denn weiße westdeutsche Männer sind ja | |
nicht durch Geburt geeigneter als andere Menschen“, sagt Ankersen. | |
Das Standard-Argument | |
Warum haben sich in den vergangen zwei Monaten dennoch so viele | |
Geschäftsführer und Gesellschafter von Verlagen für männliche | |
Chefredakteure entschieden? | |
Die Zeitungsgruppe Ostfriesland will sich dazu nicht äußern. Auch der | |
Südkurier verweigert eine Antwort, genauso wie die Mediengruppe Frankfurt. | |
Andere betonen, wie wichtig ihnen Frauenförderung sei: „In … der gesamten | |
Mediengruppe Oberfranken … sind wir sehr daran interessiert, noch mehr | |
Vielfalt in unsere Teams zu bringen.“ Und: „Das ist uns in den letzten | |
Jahren zunehmend besser gelungen, obwohl es im Wettbewerb um die besten | |
Köpfe nicht immer einfach ist“, schreibt die Mediengruppe Oberfranken auf | |
taz-Nachfrage. Funke teilt mit: „Wir haben uns nicht gegen eine Frau, | |
sondern für Jan Hollitzer entschieden. Hätte es eine geeignete Kandidatin | |
mit denselben Qualitäten und einem vergleichbaren Lebenslauf gegeben, | |
hätten wir sie selbstverständlich gerne als neue Chefredakteurin | |
verpflichtet.“ | |
Das Argument: Man hätte gern eine Frau engagiert, habe aber keine geeignete | |
gefunden, hört auch Sabine Stamer von ProQuote immer wieder. „Auf die | |
Nachfrage, wo denn genau gesucht worden sei, gibt es dann meistens keine | |
Antwort“, sagt sie. | |
## Außen hart und innen ganz weich | |
Dass Führungspositionen oft mit dem gleichen Typ Mann besetzt werden, | |
prägt, was viele Menschen noch immer von einem Chef erwarten, sagt Wiebke | |
Ankersen von der Allbright-Stiftung. „Bisher gilt: Der Chef muss laut sein | |
und durchsetzungsstark.“ Das konnte man selbst nach Brinkbäumers Abberufung | |
aus der Spiegel-Chefredaktion lesen. Die Neue Zürcher Zeitung berichtete, | |
Brinkbäumers Kritiker hätten bemängelt, er sei „im Umgang nett und sanft“ | |
gewesen, „Eigenschaften, die einen angenehmen Kollegen, aber nicht | |
unbedingt einen guten Chefredaktor“ ausmachten. Daran, dass Brinkbäumer mal | |
gebrüllt habe, könne sich niemand in der Redaktion erinnern, schreibt die | |
NZZ weiter. | |
Als könne nur Chef sein, wer brüllt und hart ist. Als entscheide ein | |
Choleriker-Gütesiegel darüber, wer führen kann – und wer nicht. | |
Doch diese Denke scheint tief bei den zumeist männlichen Entscheidern | |
verankert zu sein. Auch deswegen kommen seltener Frauen an die Spitze. | |
„Männer sind häufig alten Rollenbildern verhaftet und trauen Frauen einen | |
Führungsjob nicht zu“, sagt Sabine Stamer. | |
2 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
Jürn Kruse | |
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