| # taz.de -- Blockierte Fluchtwege am Mittelmeer: An den Rändern Europas | |
| > Die wahren Dramen um Europas Flüchtlinge spielen sich rund ums Mittelmeer | |
| > ab. Drei Orte, drei Geschichten. | |
| Bild: Kerzen für die ertrunkenen Flüchtlinge, die es nicht über das Mittelme… | |
| Bozen/Valetta/Tunis taz | Ende Juni, als die deutsche Regierung kurz davor | |
| war, zu zerbrechen, verkündete EU-Ratspräsident Donald Tusk nach einem | |
| Verhandlungsmarathon auf [1][dem Asylgipfel in Brüssel] per Twitter: Es | |
| gibt eine Einigung. Ein Punkt davon: bilaterale Rücknahmeabkommen. Am | |
| vergangenen Samstag kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel an, [2][14 | |
| solcher Abkommen mit verschiedenen EU-Staaten zu schließen]. Sie hatte | |
| dabei wohl vor allem im Sinn, die [3][Fluchtwege nach Deutschland zu | |
| blockieren] – doch es führen auch welche aus Deutschland hinaus. Die | |
| europäische Öffentlichkeit lernte daraufhin ein neues Wort: | |
| Sekundärmigranten. | |
| Sekundärmigranten sind Flüchtlinge, die ihren Asylantrag in einem Land | |
| stellen oder dort registriert werden, aber dann in ein anderes Land reisen. | |
| Sekundärmigranten sind eine Sorte Flüchtling, die in der Zukunftsvision der | |
| EU-Regierungschefs nicht mehr vorkommen soll. | |
| ## Bozen, Italien: Flucht aus Deutschland | |
| An einem lauen Junimorgen liegen zehn Männer in Decken gewickelt unter der | |
| Ponte Virgolo. Seite an Seite schlafend auf schmutzigen Matratzen, | |
| Isomatten, mit Felsbrocken befestigten Pappkartons, sehen sie aus wie | |
| Verwundete in einem Feldlazarett. Sulayman (alle Namen der Geflüchteten | |
| geändert) ist an diesem Morgen Ende Juni als Erster wach, mit einem | |
| Handtuch um die Schultern wird er gleich in den Fluss steigen, um sich im | |
| kalten Wasser des Eisacks zu waschen, der unter der Brücke fließt. Vor zwei | |
| Wochen ist er von Deutschland über Frankreich nach Italien geflohen und nun | |
| in Bozen gestrandet. | |
| Eines haben all die Männer unter der Brücke gemein: Sie sind Afghanen oder | |
| Pakistaner, kommen aus Norwegen, Dänemark, Schweden, aus Österreich und | |
| Deutschland, wo ihre Asylanträge abgelehnt wurden. Aus Angst, abgeschoben | |
| zu werden, sind sie weitergeflohen nach Italien. | |
| „Ich liebe Deutschland“, sagt Sulayman, 21 Jahre alt, Undercut-Frisur. Ein | |
| Satz, der unglaublich klingt aus dem Mund eines Mannes, der vor einem Monat | |
| in Deutschland seinen zweiten negativen Asylbescheid samt | |
| Abschiebeandrohung ausgestellt bekommen hat. „Ich hatte Schule in Köln, ich | |
| hatte Wohnung in Köln, ein Mann hat mir ein Ausbildungsplatz angeboten in | |
| einer Werkstatt – nur wenn Deutschland keine Papiere gibt, ist alles | |
| nichts.“ Aus seinem Rucksack holt er ein Hauptschulabschlusszeugnis hervor. | |
| Als sich 2015 viele Afghanen aufmachten nach Europa, zog er mit. Über die | |
| Balkanroute wie das Gros der 178.000 Afghanen, die im Jahr 2015 in Europa | |
| einen Asylantrag gestellt haben. Seiner wurde abgelehnt: Es gäbe sichere | |
| Regionen in Afghanistan, in denen junge Afghanen wie er ohne Lebensgefahr | |
| Fuß fassen könnten, so die Begründung der Richterin. „Deutschland will mich | |
| nicht, nach Afghanistan kann ich nicht, Italien? Sehen wir dann.“ | |
| Ein bisschen wirken die Afghanen unter der Brücke wie eine | |
| Selbsthilfegruppe verlorener Männer, die allesamt glauben, unfreiwillig | |
| Teil einer polit-taktischen Scharade geworden zu sein. Da ist Ali aus | |
| Dänemark, Mitte 30, mit Brillengläsern dick wie Panzerglas, der in feinstem | |
| Oxford-Englisch von seiner Zeit als Mitarbeiter des Welternährungsprogramms | |
| der Vereinten Nationen in Afghanistan erzählt, bevor ihn die Taliban aus | |
| dem Land gejagt hätten. | |
| Oder Firas, 19, der Niederösterreichisch auf B1-Niveau spricht und Never | |
| dont give up auf den Unterarm tätowiert hat. Oder Amar, 1,70 groß, der bei | |
| der burgenländischen Landesmeisterschaft im Ringen im letzten Jahr noch die | |
| Goldmedaille gewonnen hatte. Ein Satz, den jeder Einzelne von ihnen in | |
| unterschiedlicher Variation vorträgt: „Lieber unter der Brücke in Italien | |
| als der Krieg in Afghanistan.“ | |
| ## Rücknahmeabkommen mit Afghanistan | |
| Im Oktober 2016 hatte die EU gemeinsam mit der afghanischen Regierung ein | |
| Rücknahmeabkommen beschlossen, das es den EU-Staaten ermöglicht, abgelehnte | |
| afghanische Asylbewerber auch ohne gültige Ausweispapiere nach Kabul | |
| abzuschieben. Die EU hatte gedroht im Falle einer Nicht-Unterschrift die | |
| Entwicklungshilfe zu kürzen. Die skandinavischen Länder, Deutschland, | |
| Österreich schicken seitdem eifrig Afghanen zurück: Allein im Jahr 2017 | |
| gingen laut österreichischem Innenministerium 20 Charter-Maschinen mit | |
| Flüchtlingen aus Europa nach Kabul, Hunderte weitere Menschen wurden in | |
| Linienflieger gezwungen. | |
| Die, für die eine Rückkehr nach Afghanistan keine Option ist, ziehen | |
| weiter: Nach Frankreich, um in den Banlieues unterzutauchen, nach Italien, | |
| um erneut Asyl zu beantragen. 90 Prozent der afghanischen Asylbewerber | |
| bekommen in Italien einen Schutzstatus zugesprochen, mehr als in jedem | |
| anderen Staat. 2017 lag die Schutzquote für Afghanen im EU-Schnitt bei 47 | |
| Prozent. | |
| Drei Tage später, im Park vor dem Hauptbahnhof in Bozen. Ein Ort für | |
| Durchreisende. Zwischendrin Mohammad, 41 Jahre, raucht Selbstgedrehte aus | |
| der Hand. Vier Jahre hat er in einer Putzfirma in München gearbeitet. Hatte | |
| einen unbefristeten Vertrag. | |
| „Jeden Tag ist Krieg, und Deutschland sagt, Afghanistan ist ein sicheres | |
| Land. Wenn es ein sichereres Land ist, was machen die Nato-Soldaten in | |
| Afghanistan? Warum lebt die Familie unseres Präsidenten in Europa und | |
| Amerika? Warum haben unsere Abgeordneten alle zwei Staatsbürgerschaften?“ | |
| Es sind Fragen, auf die Mohammad keine Antworten erwartet. | |
| Ende Juni lernten Beobachter [4][ein zweites Fremdwort: | |
| Ausschiffungsplattformen]. Migranten, die auf See gerettet werden, sollen | |
| in Zentren in Nordafrika gebracht werden. Dort wird entschieden, ob sie ein | |
| Recht auf internationalen Schutz haben oder nicht. Dabei helfen sollen die | |
| Vereinten Nationen und die Internationale Organisation für Migration. Doch | |
| Nordafrika ist für viele [5][Flüchtlinge, die Asyl suchen, ein Niemandsland | |
| geworden]. | |
| ## Tunis, Tunesien: Die 35 Übriggebliebenen | |
| Kadri Salifu holt einen zerrissenen Wochenplan für die Essensausgabe aus | |
| seiner Hosentasche. So wie er es Tausende Male tun musste an den | |
| Polizeikontrollpunkten auf der Landstraße nach Tunis. Die vergilbte Liste | |
| aus dem Flüchtlingslager Shousha aus dem Jahr 2014 ist das einzige Papier, | |
| mit dem sich der Ghanaer ausweisen kann. Seit vier Jahren reisen Salifu und | |
| andere Flüchtlinge aus dem Süden Tunesiens regelmäßig in die tunesische | |
| Hauptstadt, um sich bei internationalen Hilfsorganisationen für das zu | |
| bwerben, worauf die Männer aus Westafrika seit sieben Jahren warten: ein | |
| Asylverfahren und die Ausreise in ein Drittland, um ein neues Leben | |
| anfangen zu können. Ohne Erfolg. Seit sieben Jahren leben die 35 | |
| Westafrikaner ohne Papiere, ohne Status, ohne Zukunft in Tunesien. | |
| Bis vor einem Jahr haben sie in einem Niemandsland an der | |
| libysch-tunesischen Grenze ausgeharrt, von dem jeder im Land schon einmal | |
| gehört hat. Shousha, lange Zeit ein Symbol für die Hilfsbereitschaft, mit | |
| der Hunderttausende aus dem benachbarten Libyen aufgenommen wurden, nachdem | |
| dort im Februar 2011 der Aufstand ausbrach. Salifu und seine Mitstreiter | |
| weigerten sich zu gehen, nachdem das Lager vor drei Jahren offiziell | |
| geschlossen wurde. | |
| Mehr als 200.000 Gastarbeiter hatte das Flüchtlingswerk der Vereinten | |
| Nationen aus Tripolis in die Einöde 12 Kilometer hinter der libyschen | |
| Grenze evakuiert. Die provisorische Zeltstadt an der Landstraße nach Djerba | |
| unter dem Schutz der Weltgemeinschaft wurde für Salifu und andere | |
| Gastarbeiter zur Heimat, sechs Jahre lang. „Unsere Pässe hatten unsere | |
| libyschen Arbeitgeber einbehalten, ich konnte nur meine Arbeitserlaubnis | |
| und die Sachen, die ich bei mir trug, nach Tunesien retten“, sagt der | |
| 36-Jährige mit stoischem Blick. | |
| Über den 200 Kilometer entfernten Flughafen der Touristeninsel wurden 2012 | |
| Bangladescher, Ägypter und Marokkaner von ihren Regierungen heimgeholt. Die | |
| Botschafter der westafrikanischen Regierungen ließen sich in Shousha nicht | |
| einmal blicken. Da sie in ihrer Heimat meist sowieso keine Arbeit hatten, | |
| verschwanden die meisten Flüchtlinge über die Grenze und die libysche | |
| Hafenstadt Zuwara nach Italien, als der Krieg vorbei war. Mit Schwarzarbeit | |
| oder Geld aus der Heimat zahlten sie die 1.000 Euro, die Schlepper für die | |
| achtstündige Überfahrt nach Europa verlangen. | |
| ## Kampf um ein Asylverfahren | |
| Doch ein paar blieben. „Mindestens sechs meiner direkten Zeltnachbarn | |
| starben auf dem Mittelmeer. Warum soll ich mein Leben dafür riskieren, als | |
| Illegaler in Europa versteckt zu leben?“ Doch Salifus Entscheidung, nicht | |
| um einen Platz in einem Gummiboot zu kämpfen, sondern um ein Asylverfahren, | |
| führt meist zu Kopfschütteln. | |
| Auch bei dem zuständigen Sachbearbeiter des UN-Flüchtlingswerkes UNHCR, der | |
| den Gestrandeten Ende 2012 den Flüchtlingsstatus aberkannte. „Sie kommen | |
| aus keinem Bürgerkriegsland“, sagte der jordanische Büroleiter in Zarzis, | |
| nachdem er mit jedem der Gruppe ein 60-minütiges Interview geführt hatte. | |
| Den Stammeskonflikt und die Angst vor der Blutrache der Regierungsarmee, | |
| die Kadri Salifu als Fluchtgrund aus seiner Heimat angab, waren kein | |
| ausreichender Grund. Falls der Flug in die Heimat zu teuer sei, sei die | |
| Route nach Norden ja auch eine Alternative, sagte man ihm bei der | |
| Verabschiedung. Denn in Tunesien gibt es trotz neuer Verfassung noch immer | |
| kein Asylgesetz, Salifu ist nun illegal im Land. | |
| Ausgerechnet diejenigen blieben übrig, die das Camp auf legalem Weg | |
| verlassen wollten. Das zeigt, wie kompliziert es für die EU werden wird, | |
| bereits in Nordafrika auszusortieren, wer weiterreisen darf und wer | |
| zurückkehren muss. Schon bald könnte in Shousha ein von der EU finanziertes | |
| Asylzentrum stehen, hört man in den Straßencafes. | |
| Die mittlerweile auf 35 geschrumpfte Gruppe pocht darauf, in einem | |
| rechtmäßigen Verfahren ihren Status als Flüchtlinge verteidigen zu können | |
| oder Asyl in einem Drittland zu beantragen. An die Botschaft der | |
| Elfenbeinküste könne er sich nicht wenden, sagt Salifu, da man ihm als | |
| desertiertem Regierungssoldaten dort sowieso weder hilft noch ein | |
| Reisedokument ausstellt, versichert er. | |
| „Warum setzt ihr euch nicht wie die anderen in ein Boot nach Europa, wie es | |
| junge Tunesier tun?“, fragt lachend ein Kioskbesitzer, der die Unterhaltung | |
| mit dem Reporter mitgehört hat. | |
| ## Ohne Hoffnung | |
| Am 17. Juni 2017 planierte die tunesische Armee die Reste der 3.000 Zelte | |
| der Zeltstadt Shousha und verfrachtete die ausharrenden Flüchtlinge | |
| ausgerechnet nach La Marsa – der mondäne Vorort von Tunis, wo die Mehrheit | |
| der Mitarbeiter der internationalen Organisationen lebt, die in Libyen und | |
| Tunesien im Einsatz sind. Salifu sieht die Diplomaten und NGO-Mitarbeiter | |
| jeden Tag auf seinem Rundgang zu Landbesitzern, die ihm Lebensmittel | |
| spenden. Aber er traut sich nicht, mit ihnen zu sprechen. Aus der Zeitung | |
| weiß er von dem Plan der Asylcenter in Tunesien. Er schüttelt den Kopf: | |
| „Wenn sie für uns in sieben Jahren keine Lösung gefunden haben, wie soll | |
| das für die Tausende funktionieren, die gerade auf dem Weg zum Mittelmeer | |
| sind?“ | |
| Anfang Juni, 89 Tage nach der Wahl, wird in Italien eine [6][Regierung aus | |
| populistischer Cinque Stelle und rechter Lega vereidigt]. Der neue | |
| Innenminister wird [7][Matteo Salvini, ein rechter Scharfmacher]. Schiffe, | |
| die auf dem Mittelmeer Flüchtlinge retten, nennt er „Vize-Schlepper“. Er | |
| verwehrt zwei Rettungsschiffen die Einfahrt in italienische Häfen. In | |
| dieser Woche sind [8][zwei von ihnen, die „Lifeline“ und die „Sea-Watch 3… | |
| in Malta gestrandet]. Sie dürfen den Hafen nicht verlassen. Gegen den | |
| [9][Kapitän der Lifeline wird ermittelt]. | |
| ## Valletta, Malta: Helfer vor Gericht | |
| Wie der Kadaver eines dicken, blauen Wals liegt die Sea-Watch 3 im Hafen | |
| von Valletta. Zwischen den toten Monitoren steht Kapitänin Pia Klemp, | |
| blaues Shirt mit abgeschnittenen Ärmeln: „Es ist ein übles Gefühl, wenn du | |
| weißt, dass du in diesem Moment Menschen das Leben retten könntest, aber | |
| irgendwelche Männer in klimatisierten Büros das verhindern, nur um ihre | |
| rechtspopulistische Politik durchzudrücken.“ Rettung verhindern statt | |
| Sterben verhindern, das sei die neue EU-Leitlinie. | |
| Am Montag hätte die Sea-Watch 3 auslaufen sollen in die | |
| Search-and-Rescue-Zone vor der libyschen Küste, es wäre Klemps siebte | |
| Seenotrettungsmission gewesen. Am Sonntagabend die Ernüchterung: Die | |
| maltesische Hafenbehörde verbietet dem Schiff, den Hafen zu verlassen. Zwei | |
| Schiffe der Organisation Sea-Eye werden ebenfalls festgehalten. Am Montag | |
| gibt die Luftaufsicht in Malta bekannt, dass auch das zivile | |
| Aufklärungsflugzeug „Moonbird“, das von Sea-Watch und der Schweizer | |
| Humanitären Pilotinitiative (HPI) betrieben wird, nicht mehr zu | |
| Search-and-Rescue-Zwecken starten darf. | |
| Es sind offensichtlich keine merkwürdigen Zufälle, eher scheinen es die | |
| Einzelteile einer langfristig angelegten europäischen Vision zu sein, in | |
| der die EU zu einer uneinnehmbaren Festung wird. Eine, in der die | |
| sogenannte libysche Küstenwache zum legitimen Vorstopper wird – die | |
| Seenotretter zu Intriganten, die es zu beseitigen gilt. | |
| Einer von ihnen steht seit Montag in Malta vor Gericht. Als Claus-Peter | |
| Reisch, rote Wangen, karierter Anzug, graues Haar ohne Frisur, vorbei an | |
| den Journalistenmikros und Fernsehkameras in das Gerichtsgebäude in | |
| Valletta schreitet, sieht er aus wie einer, der sich selbst noch nicht | |
| erklären kann, wie seine Person über Nacht zum größten Politikum der | |
| Europäischen Union wurde. | |
| ## Kapitän der Lifeline vor Gericht | |
| Lieber, so wird es der 57-jährige Bayer später sagen, stünde er gerade auf | |
| der Brücke seines Schiffs, als sich vor Gericht rechtfertigen zu müssen. | |
| Wie Pia Klemp ist Claus-Peter Reisch Kapitän eines deutschen | |
| Seenotrettungsschiffs, der Lifeline. Eine Woche lang war sein Schiff mit | |
| 233 Geflüchteten an Bord über das Mittelmeer gezuckelt, bis Malta es in den | |
| Hafen ließ – unter der Bedingung, dass andere EU-Staaten die Flüchtlinge | |
| aufnehmen. | |
| Gleich nach der Ankunft am Donnerstag wurde das Schiff von maltesischen | |
| Behörden beschlagnahmt, der Kapitän auf die Wache gebracht. Der Vorwurf, | |
| für den sich Claus-Peter Reisch vor Gericht jetzt rechtfertigen muss, | |
| lautet offiziell: Fehler bei der Schiffsregistrierung. | |
| Zwölf Monate Haft drohen dem Kapitän, vermutlich auf Bewährung. Angst hat | |
| er nicht. Reisch erscheint vor Gericht in Begleitung von Beamten der | |
| deutschen Botschaft, umringt von Anwälten. | |
| In Deutschland hatte der Satiriker Jan Böhmermann getwittert: | |
| „Zusammenhalten und gemeinsam nach vorne, auf das Gute schauen“. Er ruft | |
| auf, für Reischs Verteidigung zu spenden. 144.000 Euro kommen in drei Tagen | |
| zusammen. Genug für ein Team von Top-Juristen aus Malta und Italien. | |
| Für die Seenot-NGOs ist der Prozess politisch von höchster Bedeutung. Der | |
| Brandenburger AfD-Abgeordnete Andreas Kalbitz greift Böhmermann und | |
| Lifeline an. In einer Pressemitteilung behauptet er, bei dem Verein | |
| Lifeline handele es sich um „kriminelle Schleuser“, die meisten der | |
| Geretteten hätten „keinen Grund vor irgendetwas zu flüchten“. | |
| ## Nicht vorbestraft und einen guten Leumund | |
| „Ich bin nicht vorbestraft, habe einen guten Leumund, den Behörden alle | |
| Fragen beantwortet“, sagt er. Zudem sei er bereit, zurückzukommen und sich | |
| auch dem Rest der Verhandlung zu stellen. | |
| Doch es bleibt dabei: Er darf die Insel nicht verlassen. Seit August 2017 | |
| ist die Lifeline im Hafen von Valletta stationiert. Nie gab es | |
| Beanstandungen der Behörden. Jetzt ruft der Staatsanwalt einen Beamten des | |
| maltesischen Schiffsregisters in den Zeugenstand. Der behauptet, die | |
| Lifeline sei in den Niederlanden lediglich bei einem „Yachtclub“ | |
| registriert gewesen und habe deshalb nicht in internationalen Gewässern | |
| unter niederländischer Flagge fahren dürfen. Reischs Anwalt protestiert | |
| wütend. Nach zwei Stunden wird die Verhandlung auf den kommenden Dienstag | |
| vertagt. | |
| Als Reisch und die Anwälte aus dem Eingang treten, strecken diese ihnen | |
| mehr als ein Dutzend Kameras und Mikrofone entgegen. „Wie kann es sein, | |
| dass Leben retten eine Straftat ist?“ fragt Reisch. Sein Anwalt sagt, er | |
| wolle Vertreter des niederländischen Schiffsregisters als Zeugen laden. „An | |
| die haben wir sehr interessante Fragen.“ Das Schiff sei nicht „staatenlos�… | |
| In der Fußgängerzone, da wo Tausende Touristen entlang flanieren, haben | |
| Aktivisten Leichensäcke auf dem Boden ausgebreitet. Das Warten geht für sie | |
| weiter. Fast alle der Nothelfer sind ehrenamtlich hier. Am Dienstag hatte | |
| das „Missing Migrant Project“ der UN-Migrationsorganisation IOM gemeldet, | |
| dass erneut sechs Menschen von Libyen ertrunken sind. Seit Anfang Juni | |
| starben im zentralen Mittelmeer 584 Flüchtlinge und Migranten. | |
| 8 Jul 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Mini-Fluechtlingsgipfel-in-Bruessel/!5515037 | |
| [2] /Gespraeche-mit-Orban-und-Kurz/!5519152 | |
| [3] /EU-Gipfel-zu-Fluechtlingspolitik/!5514134 | |
| [4] /EU-Gipfel-zur-Fluechtlingspolitik/!5514193 | |
| [5] /Kommentar-Asylzentren-in-Afrika/!5514446 | |
| [6] /Italiens-neue-Regierung/!5507685 | |
| [7] /Debatte-Italiens-neue-Regierung/!5507654 | |
| [8] /Lifeline-und-Sea-Watch-im-Mittelmeer/!5514619 | |
| [9] /Lifeline-Kapitaen-vor-Gericht/!5515915 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
| Bartholomäus von Laffert | |
| Mirco Keilberth | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Flüchtlinge | |
| Mittelmeerroute | |
| Malta | |
| Tunis | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Seenotrettung | |
| Schleuser | |
| Dublin-System | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Migration | |
| Abschiebung | |
| Nato | |
| Seenotrettung | |
| Flüchtlingshilfe | |
| Verteidigungsetat | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Seenotrettung | |
| Viktor Orbán | |
| Sea-Watch | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Roman von Seenotretterin: Rauslassen, was sich anstaut | |
| Pia Klemp ist Seenotrettungsaktivistin, Anarchistin, Tierrechtlerin und | |
| schreiben kann sie auch. Ihr Roman über Seenotrettung ist ergreifend. | |
| Urteil im Schleuser-Prozess in Kiel kommt: Mittelmeer-Unglück vor Gericht | |
| Die Staatsanwalt Kiel fordert neun Jahre Haft für einen mutmaßlichen | |
| Schleuser, der am Tod von vier Menschen schuld sein soll. Darunter drei | |
| Kinder. | |
| Bilaterale Vereinbarung zu Dublin-Fällen: Spanien soll Migranten zurücknehmen | |
| Menschen, die an der deutschen Grenze aufgegriffen werden, aber bereits in | |
| Spanien Asyl beantragt haben, sollen rückgeführt werden. Dafür gebe es | |
| einen Deal. | |
| Flucht nach Europa: Aziz, der Schlepper | |
| Er ist 21 Jahre alt, aus Syrien, an der türkischen Küste setzt er | |
| Flüchtlinge in Boote. Dann versucht er selbst, es übers Mittelmeer zu | |
| schaffen. | |
| Geflüchtete in der EU: Der Traum von Paris | |
| Frankreich hat die Grenze nach Italien 2015 für Geflüchtete geschlossen. Im | |
| Küstenort Ventimiglia warten seither die Ausgesperrten. | |
| Abschiebung in die Obdachlosigkeit: Verzweifelt, aber gesund | |
| Eine Afghane wird nach Italien abgeschoben, obwohl Experten vor den | |
| Zuständen dort warnen. Kritik gibt es auch am Polizeiarzt. | |
| Kommentar Nato-Gipfel und Trump: Die neue Freund-Feind-Konfusion | |
| Die Nato-Partner blicken nervös auf die Anreise des US-Präsidenten zum | |
| Gipfel in Brüssel. Es ist an der Zeit, ihm eine neue Politik | |
| entgegenzusetzen. | |
| Kommentar Seenotrettung: Italiens Propagandaminister | |
| Italiens Innenminister Salvini teilte per Tweet mit, Marineschiffe | |
| internationaler Missionen blockieren zu wollen. Seine Hetze zahlt sich für | |
| ihn aus. | |
| Abschottung der Europäischen Union: Retter in Not | |
| Die Schiffe liegen an der Kette. Auf Malta sind Flüchtlingsretter zum | |
| Nichtstun verurteilt. Keiner will die Migranten aufnehmen. | |
| Mehr Geld für Verteidigung: Bund knausert bei Entwicklungsetat | |
| Das für die Entwicklungshilfe geplante Geld reicht nicht aus, um | |
| Fluchtursachen zu bekämpfen, kritisieren NGOs. Investiert wird in | |
| Verteidigung. | |
| „Seebrücke“-Demos für Seenotrettung: Masterplan Humanität | |
| In ganz Deutschland haben tausende Menschen für die Rettung von | |
| Schiffsbrüchigen demonstriert. Skandalös sei, dass der Protest überhaupt | |
| nötig ist. | |
| Aktivistin über „Aktion Seebrücke“: „Es muss viel mehr Rettung geben“ | |
| Samstag demonstrieren in sieben Städten Menschen für Seenotrettung. | |
| Mitorganisatorin Liza Pflaum fordert ein klares Zeichen gegen Abschottung. | |
| Gespräche mit Orbán und Kurz: Sie lassen Merkel und Co abblitzen | |
| Ungarn und Österreich wollen keine Flüchtlinge aus Deutschland | |
| zurücknehmen. Stattdessen soll die „Südroute“ geschlossen werden. | |
| Seenotrettung im Mittelmeer: Flugzeug auf Malta festgesetzt | |
| Nach der Blockade mehrerer Rettungsschiffe wurde auch das | |
| Aufklärungsflugzeug „Moonbird“ festgesetzt. Die evangelische Kirche | |
| kritisiert das Vorgehen. |